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Über die vierte Gewalt im Staat

Meinungsfreiheit ist ein wesentlicher Stützpfeiler der rechtsstaatlichen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft. Daher bilden die Medien inzwischen im modernen Rechtsstaat die vierte Gewalt.
Die Rolle der Medien im Staat
Foto: Sven Hoppe (dpa) | Wenn Demokratie nach einer angeblichen Aussage von Ernst Jünger der Zustand ist, in dem jeder jedem eine Frage stellen darf, dann braucht es die Vielfalt freier Medien, um kritische Fragen zu stellen.

Am 6. Januar 2020 war ich eingeladen zum 150. Jubiläum des Verlagshauses Lensing Media in Dortmund, gegründet 1870 durch Lambert Lensing als Buchhandlung und Verlag mit eindeutig katholischer Ausrichtung und enger Unterstützung des katholischen „Zentrum“, das im bald ausbrechenden Kulturkampf die Fahne der katholischen Meinungsfreiheit hochhielt und für eine kräftige politische Präsenz der Katholiken im mehrheitlich protestantischen Staat sorgte.

"Freiheit durch Wissen" als Motto

Der Verlag brachte bald die „Tremonia“ heraus, später umbenannt in „RuhrNachrichten“, der inzwischen größten und bedeutendsten Zeitung im westlichen Ruhrgebiet und in Teilen des Münsterlandes. In vierter Generation wird das Medienhaus und die Zeitung inzwischen von der Familie Lensing geführt: Ein höchst erfolgreiches Familienunternehmen, das zum Erfolg unserer mittelstandsbasierten Sozialen Marktwirtschaft beiträgt. Aber beim Jubiläum stand etwas anderes im Mittelpunkt: „Freiheit durch Wissen“ war das Motto. Dazu sprach in einer großartigen programmatischen Rede der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, der sich schon als Pastor in der DDR für Meinungsfreiheit einsetzte. Später folgte  eine Podiumsrunde, an der auch ich teilnehmen durfte.

Das Fazit des gelungenen Jubiläums zeigte sich doppelt: Meinungsfreiheit ist ein wesentlicher Stützpfeiler der rechtsstaatlichen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft. Daher bilden die Medien inzwischen wirklich, neben Legislative, Exekutive und Judikative im modernen Rechtsstaat die vierte Gewalt, was sich Montesquieu, der offizielle Erfinder der Gewaltenteilung im Staat, sicher noch nicht hätte träumen lassen. Aber es stimmt: Wenn Demokratie nach einer angeblichen Aussage von Ernst Jünger der Zustand ist, in dem jeder jedem eine Frage stellen darf (nicht nur eben die Frage „Warum bist du da?“, die ist nämlich explizit durch Artikel 1 Grundgesetz beantwortet), dann braucht es die Vielfalt freier Medien, um kritische Fragen zu stellen, und jede Form von Oligarchie, Korruption oder Gleichschaltung abzuwehren. Ein warnender Blick auf Konzepte illiberaler Demokratie in manchen mittel- und osteuropäischen Staaten zeigt das deutlich.

Aufgabe freier Medien, Wissen zu vermitteln

Und noch etwas: Die freien Medien haben nicht nur die Aufgabe, unbequeme Fragen zu stellen, sondern auch Wissen zu vermitteln, um die Flughöhe normaler Stammtische zu überbieten. Das gilt insbesondere im Blick auf benachteiligte und schwächere Personen in unserem Staat. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine großartige Reportage im SPIEGEL vor einigen Wochen über eine alleinerziehende Mutter einer erwachsenen Tochter mit Trisomie 21: Wer nach Lektüre dieses Berichts noch Zweifel hatte an notwendigem Schutz und Förderung behinderten Lebens, der hatte nicht richtig gelesen.

Das dient der Demokratie: Freiheit des Denkens und Freiheit des Fragens. Das ist die besondere Begabung des Menschen: Der Wahrheit näherkommen im gemeinsamen Nachdenken und Diskutieren, nicht zuerst im Rechthaben. Und das zu fördern ist die erste und wichtigste Aufgabe der freien Medien im Staat.

Der Autor ist Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der KSZ

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Peter Schallenberg Ernst Jünger Joachim Gauck Meinungsfreiheit Soziale Marktwirtschaft

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