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Wie ein Halm im Wind

Zunächst schien die Zeit der Union zuzuspielen: Sie konnte sich als Corona-Krisenmanagerin profilieren. Doch das ist längst vorbei. Jetzt werden grundsätzliche Probleme der CDU deutlich.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa) | Bundesgesundheitsminister Jens Spahn - der immerhin vor dem Parteitag zeitweise als Kanzlerkandidat gehandelt worden ist - bekommt das Impf-Chaos nicht in den Griff.

Die CDU-Parteimanager  im Berliner Adenauer-Haus hatten in den letzten Monaten eine Lieblingslektüre: Umfragen. Die Union konnte in den Bevölkerung als Corona-Krisenmanagerin punkten. Entsprechend gut sahen die Werte aus. Der Sieg in der Bundestagswahl schien geritzt. Das ist nun längst vorbei. Und das liegt nicht nur an der Maskenaffäre, sie ist lediglich das Tüpfelchen auf dem i.

Es hapert an allen Ecken und Enden

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn - der immerhin vor dem Parteitag zeitweise als Kanzlerkandidat gehandelt worden ist - bekommt das Impf-Chaos nicht in den Griff. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erzeugt mit seiner Beschwichtigungsstrategie in den durch den Lockdown betroffenen Branchen mehr Unmut als Hoffnung - mal ganz abgesehen davon, dass keine konsistente Linie bei der Bekämpfung der Wirtschaftsschäden zu erkennen ist. Und der Sphinx von Berlin, der Kanzlerin, wird ihr altes Rollenmodell zunehmend zum Verhängnis. Die Unaufgeregtheit, das bedächtige Auf-Sicht-Fahren, kurz die Attribute, die ihre Fans früher als die Idealeigenschaften einer Krisenmanagerin herausgestrichen haben, sie werden von immer mehr Menschen ganz anders gedeutet: als emotionale Kälte, als Ideenlosigkeit und vor allem als Unfähigkeit, mit dem Volk zu kommunizieren.

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Jede Pressekonferenz sorgt für mehr Verwirrung. Anstatt große Linien aufzuzeigen, die jeder verstehen kann, verfängt sich Merkel in bürokratischen Spezialregelungen, die niemand mehr völlig überblickt. "Merkel muss weg" - das hört man heute nicht mehr nur bei Pegida-Demonstrationen, man würde eine ähnliche Stimmung vernehmen, wenn Einzelhändler oder Gastronomen zusammenkämen - wenn sie es denn könnten. 

Trotzdem: Wer jetzt glaubt, bald sei die Kanzlerin Merkel Geschichte, darf sich nicht täuschen. Die öffentliche Meinung ist manchmal schizophren. Die Kritik an der Kanzlerin mag steigen. Sie lässt sich von den Ereignissen treiben wie ein Halm im Wind. Aber in der Not greift der Bürger lieber nach einem Strohhalm als ins Nichts. Denn wo sind die Alternativen? Die SPD ist - um im Bild zu bleiben - eher ein Halm-Bonsai. Die FDP gibt sich zwar wacker Mühe, Profil zu zeigen - aber reicht das aus? Bei den Grünen ist nicht ganz klar, ob sie Schwarz-Grün anstreben oder sich im Herzen doch nach Rot-Rot-Grün sehnen. Und die AfD streitet munter mit sich selbst. 

Tritt Merkel noch einmal an?

Das erklärt die Gerüchte, Merkel könne noch einmal antreten. Und mangels attraktiver Alternativen könnte sie es vielleicht sogar schaffen. Allerdings wäre das eben kein Votum für die Merkel-Politik, sondern lediglich eine Entscheidung gegen die Anderen. "Sie kennen mich", der alte Wahlslogan könnte wieder funktionieren. 

Für das gesamte politische Klima wäre so eine Entwicklung allerdings fatal. Die Union würde dann der SPD auf ihrem Weg zur Selbstverzwergung folgen. Statt einem letzten Rest  von programmatischer Substanz würde es dann tatsächlich nur noch Merkel geben. Die CDU hat sich schon immer gerne von der Zeit treiben lassen. Statt programmtischer Entwürfe setzt sie lieber auf die Ausstrahlungskraft ihrer Führungsleute: Auf den Kanzler kommt es an - und ansonsten gilt: keine Experimente. Das mag in harmlosen Zeiten funktionieren, in der Krise läuft man so ins Leere. Das muss Armin Laschet wissen. Er muss jetzt ein Machtwort sprechen, wenn er nicht weiter im Schatten der Kanzlerin stehen will. Am Montag nach der Landtagswahl in Baden Württemberg hat er die Gelegenheit dazu, es ist vielleicht die letzte.  

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Sebastian Sasse

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