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Recht auf Gewissensfreiheit wird ausgehöhlt

Der spanische Staatskirchenrechtler Rafael Palomino wirft internationalen Institutionen Angriffe auf den Gewissensvorbehalt bei Abtreibung und aktiver Sterbehilfe vor.
Demonstration gegen Abtreibung in Madrid
Foto: Oscar Gonzalez via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Demonstration gegen Abtreibung in Madrid: jedoch In den letzten Jahren würden Abtreibung und aktive Sterbehilfe in internationalen Gremien als „neue Menschenrechte“ durchgesetzt, beklagt Palomino.

Rafael Palomino, spanischer Staatskirchenrechtler, äußert sich in einem Essay auf der Online-Plattform „Aceprensa“ kritisch zum Umgang internationaler Institutionen mit Abtreibung und aktiver Sterbehilfe. Sein zentraler Vorwurf: Das Recht auf Gewissensfreiheit werde immer mehr beschnitten.

Der Professor, der an der Complutense-Universität in Madrid lehrt, erinnert daran, dass der sogenannte „Matić-Bericht“ („Entschließungsantrag zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit“), dem das Europäische Parlament am 24. Juni 2021 zustimmte, Abtreibungen als Teil der Gesundheitsfürsorge von Frauen vorsieht, und die EU-Mitgliedsstaaten dazu aufruft, Abtreibungen zu entkriminalisieren und Hindernisse dafür aus dem Weg zu räumen.

Verweigerung aus Gewissensgründen nicht mehr legitim?

Der Bericht bedauere, „dass es gelegentlich in den Mitgliedstaaten gängige Praxis ist, dass Ärzte und manchmal ganze medizinische Einrichtungen Gesundheitsdienstleistungen auf Basis einer sogenannten Gewissensklausel ablehnen, was dazu führt, dass die Betreuung eines Schwangerschaftsabbruchs aus religiösen oder Gewissensgründen verweigert wird, und wodurch das Leben und die Rechte der Frauen gefährdet werden“.

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Der Autor sieht dies als Wendepunkt, denn solange Abtreibung und aktive Sterbehilfe „rechtlich als streng geregelte Ausnahmen vom Recht auf Leben verstanden wurden“, sei die Verweigerung aus Gewissensgründen „als legitime Handlung anerkannt worden, die das staatliche Recht zu respektieren hatte.“ So habe beispielsweise das spanische Verfassungsgericht 1985 erklärt: „Die Verweigerung aus Gewissensgründen gehört zum Inhalt des Grundrechts auf weltanschauliche und religiöse Freiheit, das in Art. 16.1 der Verfassung anerkannt wird.“

Seit jedoch in den letzten Jahren Abtreibung und aktive Sterbehilfe in internationalen Gremien als „neue Menschenrechte“ durchgesetzt würden, müsste „die schrittweise Unterdrückung jeder Form von Widerspruch, insbesondere des Gewissensvorbehalts, erfolgen.“

Unterdrückung von Widerspruch

Zwar seien Abtreibung und aktive Sterbehilfe in keinem internationalen Abkommen oder in keiner Verfassung als „Menschenrecht“ anerkannt. Aber: „In verschiedenen politischen und akademischen Kreisen, in internationalen Organisationen und Gerichten wird gegen die Verweigerung aus Gewissensgründen vorgegangen, und diese zerstört.“

So stelle die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihren neuen Richtlinien von 2022 „für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch“ fest, dass „die Verweigerung aus Gewissensgründen weiterhin ein Hindernis für den Zugang zu einem qualitativ hochwertigen medizinischen Schwangerschaftsabbruch darstellt“. Zwar habe der Europarat 2010 das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen stärker berücksichtigt. Der Europäische Gerichtshof habe sich jedoch 2001 (Fall Pichon und Sajous) und 2020 (Fall Grimmark und Stehen) geweigert, die Verweigerung aus Gewissensgründen im Gesundheitsbereich anzuerkennen – während er die Verweigerung des Militärdienstes begrüße (Fall Bayatyan von 2011).

Warum wird gegen das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen vorgegangen, fragt sich der Autor: Vielleicht sei dies ein Schritt auf dem Weg zur Anerkennung von Abtreibung und aktiver Sterbehilfe als Menschenrechte. Oder: „Vielleicht ist man der Ansicht, dass es nach deren gesellschaftlicher und rechtlicher Normalisierung keinen Raum mehr für Widerspruch gibt.“

Warnzeichen für den nahenden moralischen Totalitarismus

Die Verweigerung aus Gewissensgründen sei deshalb zum Feind geworden, den es zu besiegen gilt, „weil sie eine prophetische Stimme ist, die zu alternativen Lösungen aufruft, weil sie uns daran erinnert, dass es andere Wege gibt, um zu verstehen, was wirklich wichtig ist.“ Werde der gesellschaftliche Konsens in wichtigen ethischen Fragen auf ein Minimum reduziert, lediglich auf ein „Recht auf Leben“ – das allerdings „jeder auf fast entgegengesetzte Weise interpretiert“ –, dann halte „der Respekt von Minderheitsmeinungen Dialog und Pluralität offen“. Werde dieser Respekt dadurch kassiert, dass der Gewissensvorbehalt eingeschränkt oder abgeschafft werde, dann sei dies „ein Warnzeichen für den nahenden moralischen Totalitarismus.“

Zuletzt zitiert Palomino das „lehrmäßige Schreiben“ der spanischen Bischofskonferenz vom März 2022 über den Gewissensvorbehalt bei der Mitwirkung an der aktiven Sterbehilfe und der Abtreibung: „Wenn die Regierenden die ihr zur Verfügung stehenden Mittel dazu nutzen, um ein bestimmtes Menschen- und Lebensbild zu verbreiten, überschreiten sie ihre Aufgaben.“  DT/jg

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