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Was die Enzyklika „Humanae vitae“ lehrt

Die Würde der Frau im Licht der Enzyklika „Humanae vitae“. Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Humanae Vitae: Die Positive Aussage über die Frau
Foto: (195504225)

Worin liegt die bis heute nachhallende Anstößigkeit der Enzyklika „Humanae vitae“, die im ominösen Jahr 1968 herauskam? In dem Satz: „dass ‚jeder eheliche Akt‘ von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben muss“. Und weiter: Diese Lehre gründe „in einer von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte – liebende Vereinigung und Fortpflanzung –, die beide dem ehelichen Akt innewohnen. Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen“. Wahrhaftig Spreng-Sätze! Auch wenn sie nicht neu sind, wirkten sie doch in der aufgeheizten Atmosphäre der sexuellen Revolution nicht nur antiquiert, sondern klar herausfordernd. Dazu kam die medizinische Entwicklung, auch wenn das erste extrakorporal erzeugte „Retortenbaby“ erst 1978 geboren wurde.

Humane Vitae stellt eine Herausforderung dar

Die Enzyklika ist sich ihrer Herausforderung bewusst. Sie führt selbst zwei gewichtige Einwände an, die abzuwägen sind. Der erste ist psychologischer Art und berührt die Ganzheitlichkeit der Ehe, die sich ja nicht aus einzelnen Akten zusammensetzt; von daher ist die Frage zulässig, ob wirklich jeder einzelne Akt eine so außerordentliche Bedeutsamkeit trägt. Das Ganze ist mehr als seine Teile, Ehe ist mehr als die Summe von Geschlechtsverkehr. Das gilt vor allem dann, wenn ein grundsätzlicher Wille zu Kindern vorhanden ist. Der zweite Einwand ist empirischer Art: Die Natur selbst trennt Liebe und Zeugung voneinander: entweder an den unfruchtbaren Tagen der Frau, während einer Schwangerschaft oder bei natürlicher Unfruchtbarkeit des Mannes, jedenfalls im Alter, was alles kein Ehehindernis darstellt. Auch unabsichtlich unfruchtbare Ehen dürfen ja deswegen nicht aufgelöst werden. Der Einwand lautet daher: Die Natur hat Liebe und Zeugung nicht eisern zusammengeschmiedet. Insofern hat der Schöpfer selbst das Band zwischen Liebe und Zeugung gelockert.

Humanae vitae
Foto: KNA

Jeder einzelne Akt ist in seiner doppelten Zielrichtung wichtig

Dennoch bleibt die päpstliche Lehraussage bei der ursprünglichen Betonung, jeder einzelne Akt sei in seiner doppelten Zielrichtung wichtig: Hingabe und Wille zum Kind. Es liegt auf der Hand, dass sowohl die Kürze des Dokuments als auch die Erlaubnis, die von Natur aus unfruchtbaren Tage zu „nutzen“, die erhobenen Bedenken nicht ausräumen. Vor allem Letzteres enthält ja auch die Absicht, ein Kind auszuschließen, wie es sonst manipulativ oder chemisch (etwa durch die Pille) geschieht. Was unterscheidet dann Absicht von Absicht? Dieser ungelöste Sachverhalt gehört möglicherweise zu den Themen, die in dieser unserer Wirklichkeit nicht befriedigend ausgetragen werden können und wozu rationale Argumente keineswegs ausreichen.

Der Gedankengang der Enzyklika führt mittelbar stärker auf die Frau zurück

Daher sei diese Schwierigkeit nicht von der Frage der Absicht aus verfolgt, sondern von anderer Seite her beleuchtet: Was bewirkt es für die Frau, wenn Liebe und Fruchtbarkeit getrennt werden? Ergeben sich daraus Einsichten in ihre Leiblichkeit, die die Enzyklika in ein bedenkenswertes Licht stellen? Die Frau (mulier) wird nur zweimal wörtlich in dem Dokument angeführt, sonst wird von Ehegatten oder Eltern gesprochen. Doch führt der Gedankengang der Enzyklika mittelbar stärker auf die Frau als auf den Mann zurück, weil der Ausweg zur vernünftigen Planung von Kindern ihren Monatsrhythmus einbezieht.

Die Rücksicht auf die Leiblichkeit der Frau ein klarer Gewinn

Ohne dass dies ausgeführt wird, ist die Rücksicht auf die Leiblichkeit der Frau ein klarer Gewinn in der ganzen Frage. Das lässt sich eindrücklich feststellen, wenn das Gegenteil der Fall ist: Wo nämlich die Fruchtbarkeit der Frau chemisch oder physikalisch (etwa durch eine Spirale) geblockt wird. In einer Zeitströmung, welche die „grüne Natur“ verherrlicht, bleibt unverständlich, weshalb junge Frauen über zwei bis drei Jahrzehnte ihren Monatsrhythmus abstellen und damit leider schon sehr früh einsetzen, teilweise schon in der Pubertät. Gynäkologische und psychologische Erfahrungen sprechen jedenfalls lautstark und nachlesbar dagegen.

Die Zugehörigkeit von Mann und Frau wird gestört

Auch die manipulative Unterbrechung des Geschlechtsaktes erlaubt nicht, dass das innige Zugehören von Mann und Frau über die feine Abstimmung ihrer Organe erfahrbar wird, sondern stört ihre Zugehörigkeit am Höhepunkt. Geradezu leibhaft verletzt aber wird die Frau durch anschließende Praktiken wie die „Pille danach“ oder gar die Abtreibung, und leibhafte Verletzung schließt seelische Verletzung zwangsläufig ein.

Psychologisch gesehen führt die beständige Sterilisierung des weiblichen Rhythmus zu einem „allzeit bereit“, das kein Gespräch zwischen den Eheleuten mehr braucht, das auch die Rücksichtnahme des Mannes schmälert und keineswegs den Lustgewinn steigert. Wo keine Askese, dort auch kein Lustgewinn! Insofern kann die beständige Neutralisierung und „Bereithaltung“ des weiblichen Leibes auch als Sargnagel des Feminismus gesehen werden. Emanzipation auf Kosten vorwiegend der weiblichen Leiblichkeit ist Emanzipation vom eigenen Leib, seinen Ansprüchen und Seligkeiten – zugunsten einer verdeckten und uneingestandenen Unterwerfung unter den Mann. Die Enzyklika spricht vom weiblichen Leib als „Werkzeug der Triebbefriedigung“.

Das Erzwingen von Zeugung

Diese Bedenken gelten auch umgekehrt: für das Erzwingen von Zeugung. Zwar hat die Enzyklika dazu keine ausführliche Argumentation vorgelegt, aber ebenso lässt sich heute sehen, was das Abkoppeln der Zeugung von der Liebe auslöst: Ei- und Samenbanken mit Gen-Beipackzettel, anonyme Zeugungen im Labor, bezahlte Samen- und Eizell-Spender statt Vätern und Müttern, „zurückgegebene“ oder abgetriebene Kinder, sofern sie der Erwartung bei der „Bestellung“ nicht entsprechen. Das Kind wird Werkzeug einer Wunscherfüllung: Es wird gemacht, und nicht gezeugt. Die Frau wird damit zum bloßen „Uterus“ herabgesetzt, was an der „Leihmutter“ drastischen Ausdruck findet und sich durchaus treffend mit dem Ausdruck „Gebärmaschine“ verdeutlichen lässt. Er gilt zu Recht als verpönt, aber der Sache nach findet mit der Leihmutterschaft genau diese technische Verdinglichung des weiblichen Unterleibs statt.

Die Positive Aussage über die Frau

Die Enzyklika wäre freilich unterschätzt, wenn man sie nur von den Folgen ihrer Nicht-Beachtung aus lesen würde – es wäre ein allzu bitterer Triumph. Daher nochmals zur positiven Aussage über die Frau. Wenn tatsächlich jeder eheliche Akt Hingabe und Fruchtbarkeit einschließen soll, so bedeutet das für Frau wie Mann ein besonderes Achten auf ihren Leib und die Mitteilung ihrer Befindlichkeit. Es bedeutet, dafür eine Sprache zu gewinnen, es bedeutet ein Ernstnehmen der weiblichen Verfassung, auch Stimmung, durch den Mann, zu dem er sonst nicht erzogen wird. Der viel tiefere leibliche Einsatz der Frau für das Kind bedeutet klarerweise eine Asymmetrie der Geschlechter. Sie muss immer wieder zu einem Gespräch führen: über die Belastbarkeit der Frau durch Geburten, über gemeinsame Lösungen, über verteilte Arbeit – statt einer Automatik der Unfruchtbarkeit.

„Zehn Prinzipien für einen neuen Humanismus“

Um dazu eine agnostische Stimme zu hören: Die in Paris lebende Psychoanalytikerin Julia Kristeva formulierte 2012 „Zehn Prinzipien für einen neuen Humanismus“, worin sie deutlich den Einbezug der Leibhaftigkeit in das Verständnis des Menschen fordert. Dasein ist Leibsein – mit je anderen Folgerungen für Frau wie für Mann. Damit wird der „blinde Fleck“ der bisherigen Frauenbewegung aufgedeckt und zur Rede gestellt, wider das Verstummen auch im christlichen Haus und wider die Angst vor einem „prämodernen“ binnenkatholischen Denken im Blick auf die Mütterlichkeit. Wörtlich: „Der Kampf für eine ökonomische, rechtliche und politische Gleichstellung erfordert ein neues Nachdenken über die Wahl und die Verantwortung der Mutterschaft. Die Säkularisierung hat eine Zivilisation hervorgebracht, in der es bis heute als einziger immer noch an einem Diskurs über die Rolle der Mutter mangelt. Das Band der Liebe zwischen Mutter und Kind, diesem ersten Anderen, das die Morgenröte der Liebe und der Menschwerdung darstellt, dieses Band, durch das die biologische Kontinuität Sinn, Alterität und Wort wird, ist eine Rückbindung. Diese Rückbindung an die Mutter unterscheidet sich von der Religiosität wie auch von der väterlichen Funktion, die sie beide komplementiert und damit zu einem vollwertigen Teil innerhalb der humanistischen Ethik wird.“

Keine ernstzunehmenden Diskurse über Mutterschaft

Letztlich fordert Kristeva die Neuformulierung einer „Ethik der Moderne“; weibliche Subjektivität bleibe in der bisherigen Ethik gleichsam wortlos. Frauen prägen nach ihrer These „mit ihrem Wunsch nach Reproduktion (Stabilität)“ eine andere politische und kulturelle Ethik. Fazit: Seit langem gibt es keine ernstzunehmenden Diskurse mehr über Mutterschaft – auch nicht von Frauen mit Frauen. Warum? Die Forderungen nach Gleichheit von Mann und Frau stören die dennoch und eindeutig bestehenden Unterschiede. Dabei ist es der „lockende Unterschied“, der die Anziehung der Geschlechter ausmacht. So wäre die Enzyklika ein Anlass, wieder über die Andersheit zu sprechen, die Mann und Frau kennzeichnen, über die Objektivität des männlichen und weiblichen Leibes und seine je besondere Art zu leben und zu lieben.

Eine heroische und prophetische Tat des Papstes

Ob Ida Friederike Görres als Zeitzeugin der zum Teil wüsten Debatten um die Enzyklika Recht behalten wird? In einem Brief schreibt sie am 15. August 1968: „Ich verteidige den Papst UND seine Enzyklika mit Leidenschaft. Trotzdem die natürlich AUCH, aber durchaus nicht NUR, sehr bedauerliche Mängel hat – sowohl entscheidende Lücken als auch bedauerliche Formulierungen. TROTZDEM. Es war eine heroische Tat, eine prophetische, dass der Papst als einzige Instanz auf der ganzen Welt gegen diesen ganz entsetzlichen, alles überschwemmenden Astarte- und Molochdienst aufgetreten ist und die unerhörten Menschenopfer, die ihm gebracht werden. Dass er DAS gewagt hat und dafür den Hass seiner eigenen Kirche in so weitgehendem Maß auf sich genommen, (ist) wirklich ein Zeichen des Widerspruchs geworden... Die sogenannte Nachwelt, von der wir immer so zutraulich denken, wird das besser erkennen.“

Auszüge: Was die Enzyklika „Humanae Vitae“ lehrt

„Im Hinblick auf die gesundheitliche, wirtschaftliche, seelische und soziale Situation bedeutet verantwortungsbewusste Elternschaft, dass man entweder, nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem größeren Kinderreichtum entschließt, oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des Sittengesetzes zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf weitere Kinder zu verzichten.“

„Jene Akte, die eine intime und keusche Vereinigung der Gatten darstellen und die das menschliche Leben weitertragen, sind, wie das letzte Konzil betont hat, ‚zu achten und zu ehren‘; sie bleiben auch sittlich erlaubt bei vorauszusehender Unfruchtbarkeit, wenn deren Ursache keineswegs im Willen der Gatten liegt … wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe, und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft, zu der der Mensch berufen ist.“

„Ein Akt gegenseitiger Liebe widerspricht dem göttlichen Plan, nach dem die Ehe entworfen ist, und dem Willen des ersten Urhebers menschlichen Lebens, wenn er der vom Schöpfergott in ihn nach besonderen Gesetzen hineingelegten Eignung, zur Weckung neuen Lebens beizutragen, abträglich ist. Wenn jemand daher einerseits Gottes Gabe genießt und andererseits – wenn auch nur teilweise – Sinn und Ziel dieser Gabe ausschließt, handelt er somit im Widerspruch zur Natur des Mannes und der Frau und deren inniger Verbundenheit; er stellt sich damit gegen Gottes Plan und heiligen Willen.“

„Der direkte Abbruch einer begonnenen Zeugung, vor allem die direkte Abtreibung … sind kein rechtmäßiger Weg, die Zahl der Kinder zu beschränken, und daher absolut zu verwerfen. Gleicherweise muss … die direkte, dauernde oder zeitlich begrenzte Sterilisierung des Mannes oder der Frau verurteilt werden. Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel.“

„Die Kirche bleibt sich und ihrer Lehre treu, wenn sie einerseits die Berücksichtigung der empfängnisfreien Zeiten durch die Gatten für erlaubt hält, andererseits den Gebrauch direkt empfängnisverhütender Mittel als immer unerlaubt verwirft – auch wenn für diese andere Praxis immer wieder ehrbare und schwerwiegende Gründe angeführt werden.“

Wenige Tage nach der Veröffentlichung der Enzyklika nahm Paul VI. am 31. Juli 1968 in einer Ansprache in Castel Gandolfo Stellung zum Text und seiner Entstehung:

„Noch nie haben Wir die Last Unseres Amtes so empfunden wie in diesem Fall … Wir vernahmen die lauten Stimmen der öffentlichen Meinung und der Presse, hörten aber auch die leiseren, tief in Unser Vater- und Hirtenherz eindringenden so vieler Menschen, besonders überaus achtenswerter Frauen, die von der Not des schwierigen Problems und ihrer noch schwereren Erfahrung berichteten. Wir haben die wissenschaftlichen Berichte über die besorgniserregenden Probleme des Wachstums der Menschheit durchgelesen … Wie oft hatten Wir den Eindruck, von dieser Masse von Dokumenten beinahe erdrückt zu werden, und wie oft haben Wir menschlich gesprochen die Unfähigkeit Unserer armen Person vor der gewaltigen apostolischen Pflicht festgestellt, über dieses Problem eine Entscheidung auszusprechen.“

Hier gibt es die komplette Enzyklika Humane vitae auf deutsch zu lesen:

http://www.vatican.va/content/paul-vi/de/encyclicals/documents/hf_p-vi_enc_25071968_humanae-vitae.html

 

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