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„Säkular, nicht laizistisch“

Haben christlich-jüdische Prägung und das wird auch so bleiben, meint FDP-Generalsekretärin Nicola Beer im „Tagespost“-Gespräch. Von Oliver Maksan
Hessische Kultusministerin Nicola Beer
Foto: dpa | „Damit die Menschen nicht den Glauben an und das Vertrauen in unseren Staat und die Demokratie verlieren, muss wieder eine faire Balance zwischen Bürger und Staat hergestellt und für einen durchsetzungsfähigen ...
Frau Beer, Ihre Partei hat sich in den vier Jahren außerparlamentarischer Opposition Besinnung verordnet. Ihr Ziel, heißt es, sei nicht die Bildung einer Regierungskoalition um jeden Preis. Vielmehr müsse sich die FDP fragen, warum sie in den Bundestag gewählt werden wolle. Also: Warum will die FDP wieder in den Bundestag? Was hat dem Land in den vier letzten Jahren gefehlt? Wirtschaftlich steht Deutschland auch ohne FDP prächtig da.

Das täuscht. Freie Demokraten sind nicht nur eine wirtschaftspolitisch profilierte Partei, sondern eine mit Themen für alle in der Mitte der Gesellschaft, deren Stimme im Bundestag über die eigene Anhängerschaft hinaus vermisst wird. Zum Wirtschaftlichen: Deutschland profitierte in den letzten Jahren als Exportland vom schwachen Außenwert des Euros, niedrigen Rohstoffpreisen und niedrigen Zinsen. Dies kaschiert momentan, dass wir auf Verschleiß fahren: Absicherung und Ausbau unserer Außenhandelsbeziehungen beispielsweise über neue Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP wurde von der Bundesregierung sträflich vernachlässigt. Die Investitionen liegen unterhalb der Abschreibungen und bei den großen Zukunftsfragen herrscht purer Stillstand, der uns schon bald gefährlich werden kann.

Zum Beispiel?

Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung und Deutschland befindet sich im digitalen Dornröschenschlaf. Kupferkabel statt Glasfaser, Funklöcher außerhalb der Ballungszentren – nicht nur die USA, sondern auch Länder wie Estland und sogar Bulgarien hängen uns ab. Statt die Kompetenzen intelligent zu bündeln, hat die Bundesregierung sie über fünf Ressorts verteilt. Das muss dringend geändert werden. In den letzten vier Jahren hat zudem eine Sozialdemokratisierung des Deutschen Bundestages stattgefunden. Marktwirtschaftliche Positionen konnte man mit der Lupe suchen. Die Belastungen vor allem für die Mitte der Gesellschaft bei Bürokratie, Steuern und Abgaben steigt. Die Rentenkasse ist nach den Reformen der GroKo aus dem Tritt, sie muss enkelfit gestaltet werden. Wir werden gebraucht. Dringend sogar, um hier entscheidende Trendwenden herbeizuführen.

Aber mit welcher Koalition lassen sich Ihre Ziele am ehesten durchsetzen? Schwarz-Gelb scheint ja nicht mehr die natürliche Option zu sein. Und zu Jamaika fehlt Ihnen die Phantasie, wie Sie jetzt gesagt haben.

Wir spekulieren nicht über Koalitionen, wir werben um möglichst viel Unterstützung aus der Bevölkerung für unsere Themen und Lösungsvorschläge. Umso besser können wir dann mit einem großen Team für die notwendigen Trendwenden eintreten – ob als putzmuntere Opposition oder in einer Regierung. Jeglicher Koalitionsvertrag muss deutlich unsere Handschrift tragen – so wie in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Ansonsten ziehen wir die Opposition einer Regierung ohne Ambitionen vor. Jetzt ist es aber vor allem wichtig, stärker zu werden als die extremen Parteien am linken und rechten Rand. Der dritte Platz im Parlament muss von Demokraten besetzt werden.

Deshalb wollen Sie der AfD auf den letzten Metern die Wähler abspenstig machen: Russlands Annexion der Krim wollen Sie als dauerhaftes Provisorium akzeptieren, Flüchtlinge müssen irgendwann zurück in die Heimat, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) halten Sie nicht für verfassungskonform: Linke-Chef Riexinger wirft Ihnen schon fischen im braunen Teich vor.

Dass ausgerechnet die Linke uns vorwirft, unsere Angel in die braune Brühe zu halten, ist absurd. In Puncto Krim hat Christian Lindner die Ablehnung der russischen Annexion keineswegs relativiert, sondern als völkerrechtswidrig gebrandmarkt. Er hat lediglich darauf verwiesen, dass – um in Verhandlungen weiterzukommen – die Besetzung der Krim „eingefroren“ werden muss. Man kann doch nicht das Ergebnis von Verhandlungen zur Bedingung für ihren Beginn machen, damit kommt man nicht weiter. Von der Anhänglichkeit der Parteien an den Rändern und auch von Teilen der SPD gegenüber Putin und Russland sind wir aber deutlich entfernt. Das NetzDG ist so, wie es derzeit konzipiert ist, untauglich. Selbstverständlich müssen wir als Gesellschaft strafrechtliche Inhalte sowohl offline als auch online bekämpfen. Doch das ist im Sinne des Gewaltmonopols des Staates Sache von Polizei und Justiz, nicht von privaten Zensoren. Hier wird der Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts, sich im Zweifel für die Meinungsfreiheit zu entscheiden, auf den Kopf gestellt. Im Zweifel zu Löschen ist Ausdruck eines Gesinnungsstrafrechts, welches die Meinungsfreiheit in ihrer Wichtigkeit verkennt.

Und die Flüchtlingsfrage?

Unsere Position zu Flüchtlingen vertreten wir schon seit Jahren und sie entspricht geltendem Recht: Wer persönlich verfolgt wird, hat Anrecht auf Asyl. Wer hier als Bürgerkriegsflüchtling temporären Schutz genießt, muss nach Beendigung der Gefahrenlage wieder zurückkehren. Das hat nichts gemein mit der Abschottungspolitik der AfD. Das von uns geforderte Einwanderungsrecht nach einem fairen, transparenten Punktesystem würde es dann jenen Bürgerkriegsflüchtlingen, die sich hier integriert haben, ermöglichen, sich regulär um Einwanderung und dauerhaften Aufenthalt zu bewerben.

Der Islam ist in aller Munde. Durch Flucht und Migration leben mehr Muslime im Land als jemals zuvor. Was will Ihre Partei tun, um Menschen, die aus einem anderen Wertekreis als dem des Grundgesetzes kommen, zu integrieren? Reicht es, Ihnen das Grundgesetz auf arabisch in die Hand zu drücken?

Das Grundgesetz in die Hand zu drücken reicht nicht, sein Wert muss auch vermittelt und seine Verbindlichkeit eingeschärft werden. Integration ist eine Mammutaufgabe. Ich bin begeistert, wie viele Bürgerinnen und Bürger sich nach wie vor ehrenamtlich dabei engagieren. Darüber hinaus müssen wir gerade bei jungen Menschen dafür sorgen, dass sie Bildung erhalten und Arbeitsmöglichkeiten bekommen. Mitschüler und Arbeitskollegen sind die besten Integrationshelfer. Wir müssen vermitteln, dass zu unserer Kultur Offenheit gehört, dass aber dem Ausleben der eigenen Freiheit exakt dort die Grenzen gesetzt sind, wo sie die Grenzen anderer überschreitet. Und bei Verstößen muss sich der Rechtsstaat als durchsetzungsfähig erweisen.

Ihre Partei lehnt ein allgemeines Burkaverbot im Wahlprogramm ab. Ist das nicht das falsche Signal an Integrationsverweigerer?

Ich finde Vollverschleierung schwer zu ertragen. Dennoch: Hat sich eine Frau aus freien Stücken dazu entschieden, dann muss man dies in unserem Rechtsstaat erstmal akzeptieren. Das gebietet die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gegenüber jedem, der meint, sich aus Gründen der Religion auf eine bestimmte Art und Weise kleiden zu müssen. Für uns ist aber wichtig, dass man Menschen in die Augen schauen kann: Im Straßenverkehr, auf der Behörde, vor Gericht und in der Schule geht das nicht mit Burka.

Viele Menschen fürchten eine Islamisierung Deutschlands. Zu Recht? Oder wird der Islam nie so zu Deutschland gehören wie das Christentum zu unserem Land gehört?

Wir haben von unserer Geschichte her eine christlich-jüdische Prägung in Deutschland und das wird, soweit man es absehen kann, auch so bleiben. Als evangelische Christin möchte ich andere Christen ausdrücklich ermutigen, den eigenen Glauben in unserer weltoffenen und liberalen Gesellschaft sichtbar zu leben. Damit nicht vereinbar und nicht akzeptabel ist es, wenn Anhänger des Islam in Koranschulen Hass gegen Andersgläubige predigen und Übergriffe auf Nicht-Moslems oder auf zum Christentum konvertierte Ex-Muslime erfolgen. Hier muss sofort und streng sanktioniert werden. Sinnvoll und notwendig wäre es auch, die massive finanzielle Einflussnahme ausländischer Staaten, wie der Türkei oder Saudi Arabien, auf Moscheegemeinden in Deutschland zu unterbinden.

Es gibt wertkonservative Katholiken, die die Union unter Frau Merkel für zu weit nach links gerückt halten, aber auch nicht AfD wählen wollen. Sie erwägen, beispielsweise nach wirtschafts- oder bildungspolitischen Kriterien zu wählen. Welches Angebot machen Sie solchen Bürgern?

Wir rücken die Menschen in den Mittelpunkt, keine Ideologien. Politik ist unseres Erachtens kein Selbstzweck, auch keine technokratische Angelegenheit, sondern muss dem Wohl der Menschen dienen. Wir wollen den Einzelnen stark machen, und durch weltbeste Bildung in die Lage versetzen, die eigenen Potenziale zu entfalten. Dazu bedarf es einer Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, damit nicht einer mit dem Finger auf den anderen und dessen Verantwortung zeigt, sondern unser Bildungswesen schlichtweg besser wird. Bürgerinnen und Bürger sollen nicht staatlich bevormundet, sondern durch Bildung zu einem eigenverantwortlichen Leben befähigt werden. Sozialer Aufstieg aus eigener Leistung muss wieder möglich werden. Dazu gehört auch, dass bürokratische Hürden abgebaut werden, damit Existenzgründungen erleichtert werden. Wir müssen wieder technologieoffen in Forschung und Entwicklung investieren, um die Zukunft zu gestalten, Wachstum und Wohlstand zu erreichen, von dem auch diejenigen profitieren, die phasenweise staatliche Unterstützung benötigen. Wir vertreten offensiv die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft, wonach zunächst erwirtschaftet werden muss, was dann verteilt werden kann.

Kirchentreuen Katholiken macht es Ihre Partei indes nicht immer leicht. Ihr Vize Kubicki hat die katholische Kirche kürzlich als verfassungsfeindlich bezeichnet, weil sie keine Frauen zu Priestern weihe. Ist das Herrn Kubickis Privatmeinung oder spricht er damit für die Partei?

Eine freidemokratische Partei muss sich schon von ihrer Geschichte her als eine weltliche Partei verstehen. Wir sind offen für alle Religionen und Weltanschauungen und ebenso vielfältig ist unsere Mitgliedschaft zusammengesetzt. So gibt es nicht nur Fachausschüsse zum Thema Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sondern zum Teil auch konfessionelle Arbeitskreise, wie etwa den katholisch-liberalen Arbeitskreis der FDP in Bayern. Das zeigt, dass Katholiken, wie übrigens auch andere Gläubige, eine Heimat in der FDP haben. Gleichwohl wird bei uns offen über Entwicklungen in den Kirche und Religionsgemeinschaften diskutiert. Und Wolfgang Kubicki hat hier sehr pointiert seine Meinung geäußert.

Halten Sie das deutsche Staat-Kirche-Verhältnis für optimal oder würden Sie Änderungen bevorzugen? Stichwort Kirchensteuer, Staatsleistungen, theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten.

Zur Freiheit des Einzelnen gehört die Suche nach dem Sinn und den Werten des eigenen Lebens, die viele Menschen in ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung und Weltanschauung finden. Daher soll jeder seine Religion frei ausüben oder anderen Überzeugungen folgen können, so wie es das Grundgesetz garantiert. Deutschland ist ein säkularer, aber kein laizistischer Staat, und das ist gut. Wir befürworten Kooperationen zwischen Staat und Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften, plädieren dabei jedoch sehr dafür, dass staatliche Zuwendungen in diesem Zusammenhang transparent gehalten werden. Unstreitig leisten die Kirchen großartige, für die gesamte Gesellschaft wertvolle Arbeit zum Beispiel im sozialen oder kulturellen Bereich.

Aber der Dissens zwischen FDP und Kirche ist doch unübersehbar: Ihre Partei hat sich für die „Ehe für alle“ eingesetzt, die katholische Kirche lehnte sie ab. Halten Sie die neudefinierte Ehe wirklich für grundgesetzkompatibel? Die Verfassungsväter und -mütter hatten das sicher nicht so im Sinn.

Wenn Menschen füreinander eintreten und Verantwortung füreinander übernehmen, dann ist das positiv – unabhängig von der sexuellen Orientierung. Die breite Zustimmung in Gesellschaft und Deutschem Bundestag hat ja gezeigt, dass sich die Zeiten geändert haben. Ich finde das positiv und als Juristin sehe ich das auch als verfassungskonform an. Denn eine Auslegung des Grundgesetzes erfolgt ja nicht nur mit historischer Betrachtung, sondern auch für Fragen, die sich so in der Vergangenheit nicht gestellt haben.

Sie fordern einen offenen Umgang mit der Reproduktionsmedizin. Eizellspende soll erlaubt werden, unter Auflagen auch die nicht-kommerzielle Leihmutterschaft. Welche Auflagen wären dies?

Es gibt viel Trauer und Schmerz bei Paaren, die auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. Wer sind wir, dem Lebensglück von Menschen rigorose Riegel vorzuschieben? Die Eizellspende oder auch eine nicht-kommerzielle Leihmutterschaft können unter bestimmten Umständen eine richtige Entscheidung sein. Natürlich müssten ethische Fragen individuell geklärt werden. Psychologische Betreuung ist dabei aus meiner Sicht unabdingbar.

Und warum schließen Sie die kommerzielle Leihmutterschaft aus?

Weder Eizellspende noch Leihmutterschaft darf zum Erwerbszweig mutieren; wie bei Lebendspenden von Organen müssen sie frei sein von kommerziellen Interessen. Niemand sollte beispielsweise die Not einer Frau ausnutzen können, um sie durch Zahlungen hoher Summen zur Spende von Eizellen oder zum Austragen eines Kindes zu bewegen.

Nicola Beer, 2013 vom FDP-Bundesparteitag zur Generalsekretärin der Freien Demokratischen Partei gewählt und von diesem 2015 im Amt bestätigt, verfügt über keine der typischen Berufspolitiker-Biografien. Und das, obwohl sie mit 18 Mitglied der Jungen Liberalen wird und drei Jahre später der FDP beitritt. Geboren 1970 in Wiesbaden, lebt Beer seit frühester Kindheit in Frankfurt am Main. Nach dem deutsch-französischen bilingualen Abitur an der Frankfurter Ziehenschule absolviert die Protestantin in der Mainmetropole eine Ausbildung zur Bankkauffrau und beginnt anschließend ein Jura-Studium an der dortigen Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Nach Abschluss des Zweiten Staatsexamens arbeitete die Mutter von Zwillingen zehn Jahre lang als Rechtsanwältin in einer Frankfurter Kanzlei, ehe sie zur Staatssekretärin für Europaangelegenheiten (2009–2012) und hessischen Kultusministerin (2012–2014) berufen wird. Das Mitglied des hessischen Landtags kandidiert bei der Bundestagswahl für den Wahlkreis Frankfurt I. DT/reh

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