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Reformen zielen auf Investoren ab

Der Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons erklärt die Strategie von Kronprinz Mohamed bin Salman. Von Sebastian Sasse
König Salman und Kronprinz Mohammed
Foto: dpa | Vertrauliches Gespräch zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohamed bin Salman mit seinem Vater König Salman.

Herr Sons, der saudi-arabische Kronprinz Mohamed bin Salman ist dabei, die politischen Machtverhältnisse in seinem Land zu verändern. Er selbst spricht von Reformen. Wie ist das zu bewerten?

Der Kronprinz verfolgt im Grunde eine populistische Strategie. Hier durchaus ähnlich wie Donald Trump. Er macht sich zum Sprachrohr der Unzufriedenen. Das sind vor allem die jungen Menschen. 70 Prozent der Bevölkerung ist unter 30 Jahren alt, davon ist die Hälfte unter 18. 30 bis 40 Prozent dieser jungen Leute sind arbeitslos. Mohamed bin Salman ist 32 und gehört selbst zu dieser Generation.

Um sie für seine Projekte zu gewinnen, hat er zwei Brüche vollzogen. Zum Einen hat er eine Trennlinie zu dem Establishment gezogen. Bisher galt unter den Mitgliedern der Elite, vor allem für die rund 8 000 Prinzen des Königshauses: Eine Hand wäscht die andere. Man ist sich nicht gegenseitig in die Quere gekommen. Ein Ergebnis ist Korruption. Dass der Kronprinz dagegen vorgehen will, hat er durch die Verhaftungen in den letzten Tagen deutlich bewiesen, bei denen auch Mitglieder des Königshauses inhaftiert worden sind.

Der zweite Akzent: Ein Bruch mit dem konservativen Flügel der wahabistischen Geistlichkeit. Auch führende Kleriker sind verhaftet worden. Schon vorher hatte sich Mohamed als eher unreligiös präsentiert, zumindest für saudi-arabische Verhältnisse. Ein Zeichen in diese Richtung war etwa, dass das Autofahrverbot für Frauen aufgehoben worden ist. Allerdings wird es auch hier rote Linien geben, die auch er nicht überschreiten kann. Doch das ist bisher offenbar noch nicht geschehen.

Eine Veränderung zeigt sich auch in der Art, wie der Kronprinz kommuniziert. Bislang war es üblich, dass die Herrscher mehr oder weniger einschläfernde lange Reden gehalten haben. Mohamed nutzt auch die sozialen Netzwerke zum Kontakt mit dem Volk.

Der Kronprinz hat sich zu einem „moderaten Islam“ bekannt. Zudem ist der maronitische Patriarch, Kardinal Rai, nach Saudi-Arabien eingeladen worden. Zeichnet sich hier auch eine religionspolitische Wende ab?

Wenn der Kronprinz vom „moderaten Islam“ spricht, dann geht das ganz sicher nicht in die Richtung einer pluralistischen Gesellschaft in unserem Sinne. Dieser Akzent zielt vor allem gegen den Iran. Der Land ist unter Mohamed bin Salman zum Hauptfeind Saudi-Arabiens geworden - vor allem aus geostrategischem und politischem Konkurrenzdenken. Daneben hängt das auch damit zusammen, dass dort mehrheitlich Schiiten leben. Aus Sicht der Saudis, die rigide Wahabiten sind, gehören die Iraner nicht bloß einer anderen islamischen Konfession an, für sie sind die Schiiten Ungläubige. Zudem sorgt die Konzentration auf einen Hauptfeind für eine größere Geschlossenheit im Inland. Alle Saudis versammeln sich sozusagen hinter Mohamed, der das Land gegenüber dem Iran verteidigt. „Moderater Islam“, das bezieht sich für den Kronprinz auf die Zeit vor der iranischen Revolution im Jahr 1979. Mit dem Umsturz ist nach dieser Sichtweise ein politischer Islam an die Macht gekommen, der vor allem deswegen für das saudische Königshaus gefährlich ist, weil er republikanische Wurzeln hat. Deswegen lehnen die Saudis auch die Muslimbrüder ab. Die sind aus ihrer Sicht Extremisten, die die eigene monarchische Ordnung gefährden. Zu der Einladung von Kardinal Rai: Meiner Einschätzung nach ist das weniger ein religions-, sondern eher ein außenpolitischer Akzent. Man sieht in dem Kardinal einen wichtigen Akteur bei der künftigen Entwicklung im Libanon.

Welche Reformen hat sich der Kronprinz genau vorgenommen?

Seine Agenda bezieht sich vor allem auf wirtschaftspolitische Fragen. Bis 2030 will er sein Programm umsetzen. Realistischerweise muss man aber davon ausgehen, dass es viel länger dauern wird. Im Grunde geht es um ein Jahrhundertprojekt. Ein wichtiger Ausgangspunkt dafür: Der Ölpreis sinkt. Darauf musste man irgendwie reagieren. Es geht darum, dass das Land vom Erdöl unabhängiger wird. Ein zweiter Faktor: Die Infrastruktur ist sehr schlecht ausgebaut. Mohamed al Salman setzt nun auf verschiedene Maßnahmen: Er will ausländische Investoren anlocken. Auch vor diesem Hintergrund sind die Reformbemühungen zu verstehen. So sollen positive Signale an ausländische Investoren ausgesendet werden. Auch will der Kronprinz die Privatwirtschaft stärken. So soll etwa der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco demnächst teilprivatisiert werden.

Auf welche Ideen stützt sich der Kronprinz und wer unterstützt ihn?

Welche Berater Mohamed bin Salman hat, kann man leider nicht so genau sagen. Was aber auffällig ist, sind die guten Beziehungen zu den USA. Offenbar wird für ihn in Washington eine effektive Lobby-Arbeit betrieben. Das merkt man am guten Verhältnis von ihm zu Donald Trump, was beim Besuch des Präsidenten in Riad deutlich geworden ist.

Anders als die meisten anderen saudischen Prinzen aus seiner Generation hat Mohamed nicht in den USA oder in England studiert, sondern in seiner Heimat. Er spricht aber gut Englisch. Und er hat sich Rat bei amerikanischen Unternehmensberatern geholt. Deswegen wird Mohamed auch der „McKinsey-Prinz“ genannt. Man merkt, dass er sich mit den Prinzipien der PR auseinandergesetzt hat und sie auch umsetzt. Inwieweit er dabei tatsächlich von westlichen Beratern gesteuert wird, das ist schwer zu sagen.

Seine wichtigste Machtstütze ist aber natürlich sein Vater, König Salman. Dieser unterstützt offensichtlich die Linie seines Sohnes und gibt ihm Rückendeckung.

Gewerkschaften existieren nicht. Das Militär ist eher schwach und daher keine Gefahr. Eine Ausnahme wäre die Nationalgarde. Die hat sich Mohamed, der auch Verteidigungsminister ist, direkt unterstellt. Im Land selbst gibt es kaum Oppositionelle, sie sind größtenteils emigriert.

Das Königshaus gilt für die Mehrzahl der Menschen in Saudi-Arabien als die einzige Kraft, die die Ordnung im Land garantieren kann. Würde dieser Ordnungsfaktor wegfallen, befürchten viele, würde Anarchie ausbrechen. In der Bevölkerung gibt es einen großen Wunsch nach Stabilität. Deswegen wird die Autorität des Herrscherhauses nicht in Frage gestellt.

Wie sieht Ihre Prognose für die weitere Entwicklung des Landes aus?

Die Agenda des Kronprinzen, die er ja bis 2030 umsetzen will, ist sehr ambitioniert. Das zeigt sich etwa an dem Plan im Grenzgebiet zu Jordanien und Ägypten eine länderübergreifende künstliche Stadt zu errichten. Ich halte das eher für ein Prestige-Projekt, das nach außen strahlen soll.

Es wäre zu wünschen, dass sich im Land so etwas wie eine mittelständische Struktur entwickelt. Außenpolitisch wäre es positiv, wenn Saudi-Arabien wieder zu seiner alten Rolle zurückfindet und zu einer Kraft werden, die auf Vermittlung und Ausgleich setzt.

Der Kronprinz Mohamed bin Salman verfolgt im Konflikt mit dem Iran aber im Moment eher eine politische Eskalationsstrategie. Es ist zu hoffen, dass die Dämonisierung des Iran irgendwann wieder zu Ende ist und Saudi-Arabien dann wieder zu einer Realpolitik zurückkehren wird.

 

Hintergrund:

Sebastian Sons arbeitet seit November 2014 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er wirkt dort an dem Programm Naher Osten und Nordafrika im Rahmen des Projekts „Engagement der Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar und Vereinigte Arabische Emirate in Ägypten und Tunesien“ mit. Davor war er als wissenschaftlicher Abteilungsleiter beim Deutschen Orient-Institut in Berlin und als Journalist tätig.

Sons, Jahrgang 1981, promoviert derzeit zur Eingliederung von pakistanischen Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sebastian Sons hat zuvor Islamwissenschaften, Neuere Geschichte und Politikwissenschaften studiert. Seine Studienorte waren Berlin und Damaskus.

Im letzten Jahr hat er das Buch „Auf Sand gebaut“ veröffentlicht, in dem er sich mit Saudi-Arabien als problematischem Verbündeten beschäftigt. Zudem äußert sich Sons regelmäßig als Saudi-Arabien-Experte in den Medien. Er hat regelmäßig das Land bereist und schon zahlreiche Studien, Artikel und Zeitschriftenbeiträge zur saudischen Politik und zum gesellschaftlichen Wandel des Landes verfasst.

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