Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Oberhirte der klaren Worte

Christen und Muslime fühlen sich durch den Besuch des Papstes in Ägypten ermutigt. Von Michaela Koller
Papst in Ägypten
Foto: dpa | Papst Franziskus bei der Einfahrt in das Stadion auf einem Militärflugplatz in Kairo, wo er die Heilige Messe hielt. Aus Angst vor Anschlägen fand die Zeremonie unter starken Sicherheitsvorkehrungen statt.

Ein Besuch, reich an deutlichen, in die Zukunft gerichteten Botschaften, eine nachhaltige Begegnung der Ermahnung, des Trostes und der Ermutigung, so könnte die 27-Stunden-Stippvisite von Papst Franziskus bezeichnet werden. Sonst ein Oberhirte der Gesten, nutzte Franziskus die kurze Zeit für klare Worte, die nicht nur bei katholischen und orthodoxen Christen, sondern auch bei Muslimen aufmerksam gehört wurden und offenbar zum Weiterdenken anregen.

Die 43-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin und Familienmutter Dalia Hammouda, eine Muslima in Jeans, T-Shirt und Segeltuchschuhen, die kein Kopftuch trägt, sagt im Gespräch mit der „Tagespost“: „Wir sind alle sehr begeistert von seinem Auftreten hier, alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, seien sie auch Muslime oder Christen.“ Dass er gerade jetzt in dieser Zeit nicht davor zurückgeschreckt habe, nach Ägypten zu kommen, so kurz nach den blutigen Anschlägen auf zwei christliche Kirche, vermittele zwischen den Zeilen, dass in der Region nicht alles feindselig sei. Schließlich seien solche Anschläge ein weltweites Phänomen. Unterm Strich habe der Besuch eines so hochrangigen christlichen Repräsentanten das Selbstbewusstsein aller Ägypter gestärkt.

Der politische Analyst und ehemalige Botschafter Gamil Mattar, muslimisch-säkular, ergänzt, Franziskus habe authentisch vermittelt, wie wichtig es ihm war, in das Land am Nil zu kommen. „Dass er herkomme, weil Jesus hier Aufnahme gefunden hatte, war eine zentrale Aussage.“ Franziskus habe seine Wertschätzung in den arabischen Worten „Misr um al dugna“ – „Ägypten ist die Mutter der Welt“ ausgedrückt. „Er hat damit mehr beeindruckt als alle anderen westlichen Repräsentanten, die zu uns gekommen sind, etwa Barack Obama im Jahr 2009.“ Die „Rede an die islamische Welt“ in der Kairoer Universität des vormaligen US-Präsidenten war immerhin international positiv aufgenommen worden.

In den Medien spiegelt sich zudem wider, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche konkrete Forderungen auch in heiklen Punkten stellte, wohinter andere bislang zurückblieben: „Mehr als eine Milliarde katholische Christen haben den Besuch von Papst Franziskus und seine Reden verfolgt, die nicht bloß Nettigkeiten, sondern wahrhaftige Reden waren und ein Zeugnis von Ägypten als Land des Friedens, wo Allah zu seinem Propheten Moses sprach und das Volk die Heilige Familie der Jungfrau Maria und Jesus aufnahm“, schreibt Salah Montasser in der staatlichen Zeitung Al Ahram.

Ulrike von Ruecker vom Vorstand der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Kairo sagt: „Viele Ägypter beginnen jetzt, nachdem der Papst abgereist ist, sich mit den Botschaften, die er hier hinterlassen hat, auseinanderzusetzen.“ Sie stellt den jungen ägyptischen Katholiken Choucri Asmar vor. Er gehört zum Vorbereitungskomitee, durfte Franziskus in der Nuntiatur persönlich begegnen und bestätigt, was von Ruecker sagt: „Ich bin gefragt worden, in einfachen Worten zusammenzufassen, was der Papst während seines Besuchs gesagt hat. An die Regierung richtet er den Appell: ,Euer Land ist die Quelle früher Zivilisation, fördert den Frieden und schützt die Menschenrechte‘.“ Von den Islamgelehrten der Universität Al-Azhar fordert er ein, den gegenseitigen Respekt unter den Religionsgemeinschaften zu stärken.

Die eigene Herde hingegen ermutigt er, nicht zu verzagen und auch ihre Feinde zu lieben. Asmar sieht auch „starke Schritte“ Richtung Einheit auf die Christen anderer Denominationen, insbesondere die koptisch-orthodoxe Kirche, zu. Karoline Kamel, eine koptisch-orthodoxe Christin, bestätigt diese Sicht: „Die gemeinsame Erklärung mit unserem Papst Tawadros bedeutet eine gegenseitige Anerkennung der Taufe, längst überfällig, aber bei einigen unter uns noch umstritten.“ Kamel spielt auf die Gegner des Patriarchen von Alexandrien, Tawadros II., an, der seit 2012 auf dem Stuhl des heiligen Markus sitzt und Freude an Reformen und Ökumene zeigt. Trotz der Zurückhaltung in Sachen Ökumene in einigen Kreisen seien sich alle Christen darüber einig, wie ermutigend der Besuch des „Baba Watikan“ in dieser Zeit ihrer Bedrängnis nachwirkt.

Dabei bleiben Bilder von jubelnden Menschengruppen und vom Bad in der Menge in den eigens für den Besuch herausgeputzten vornehmen Vierteln Kairos, Zamalek und Maadi, aus. Wohl noch nie zuvor ist eine Apostolische Reise unter solchen Sicherheitsvorkehrungen und damit verbundener Anspannung unternommen worden.

Vor der einzigen öffentlichen Begegnung mit dem hohen Gast aus Rom am Samstag ab 10 Uhr müssen Pilger aus Kairo um fünf Uhr morgens durch eine Sicherheitsschleuse, werden auf der Suche nach gefährlichen Gegenständen abgetastet, bevor sie von Pfadfindern angewiesen, gruppenweise in die Busse einsteigen können. „Bitte lassen Sie Mobiltelefone, Wasserflaschen oder Parfum, alles, was flüssig oder scharfkantig ist, im Bus zurück“, bittet ein Pfadfinder. Am Eingang des Stadions erfolgt dann eine weitere Sicherheitskontrolle.

Dadurch wird spürbar, dass die zweite Hälfte des Mottos „Der Papst des Friedens im Ägypten des Friedens“ eine Sehnsuchtsformel, eine Möglichkeit bleibt, wie die Geschichte mit dem Frieden von Camp David einmal gezeigt hat, aber der Verwirklichung harrt. Ganz konkret lieferte Franziskus am Freitag nachmittag eine Roadmap zum Land des Friedens: Trennung von Staat und Religion, Gleichheit aller Bürger, Menschenrechte, insbesondere Religions- und Meinungsfreiheit, soziale Gerechtigkeit und Hinwendung zu den Schwächsten. All das forderte er in einer Rede, die er vor dem Präsident Abdel Fattah Al-Sisi und Vertretern der Gesellschaft hielt. Er lud ihn damit auch zur selbstkritischen Korrektur ein. Noch am Vortag hatte der Präsident ein Gesetz unterzeichnete, demzufolge er bei der Besetzung des Obersten Gerichtshofs mitbestimmt, ein klarer Angriff auf die Gewaltenteilung. Ägypter, die nicht zitiert werden möchten, sprechen über ihre Angst davor, dass aus ihrem Land eine zweite Türkei wird.

An die höchste sunnitische Rechtsautorität, die der Großscheich von Al-Azhar, Ahmed Mohammed Al-Tayyeb darstellt, gerichtet, betonte er in seiner Ansprache bei der interreligiösen Konferenz zum Auftakt die Unvereinbarkeit von Religion und Gewalt. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Verurteilung von Terroristen, sondern warnt auch vor sozialer, erzieherischer oder psychologischer Gewalt. „Der Glaube, der nicht aus einem aufrechten Herzen und einer echten Liebe zum Barmherzigen Gott hervorgeht, ist eine Form konventioneller oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit, die den Menschen nicht befreit, sondern ihn erdrückt.“

In seiner Predigt bei der öffentlichen heiligen Messe schließlich ruft der Oberhirte seine eigene Herde dazu auf, Frömmigkeit bis zur demütigen Feindesliebe gedeihen zu lassen. „Extremismus der Nächstenliebe“ nennt er es im „Stadion des 30. Juni“, das nach dem Datum eines Putsches benannt ist. Der erste mehrheitlich gewählte Präsident Mohammed Mursi wurde 2013 durch die Armee gestürzt, weil das Volk von ihm nicht mehr regiert werden wollte. Es konnte wohl kaum einen gesicherteren Platz in Kairo geben, von wo diese Botschaft dramatischer in die Welt hinausgesandt werden konnte: „Der Papst des Friedens im Stadion des Blutes“, hieß es unter den Ägyptern hinter vorgehaltener Hand.

Ein Blick zurück: Am 8. Februar 2015 starben vor dem Eingangstor 22 Fans des Fußballclubs Zamalek SC gewaltsam, und bislang gibt es zwei Versionen der Ursache: Der Polizei, die dies von sich weist, wird vorgeworfen, Fans, die zum Eintritt berechtigt waren, mit Stacheldraht eingezäunt und anschließend auf sie mit Munition und Wasserwerfern gezielt zu haben. Fußballfans spielten schon während der Revolution die Rolle, Massen gegen die Regierung zusammengebracht zu haben. Im Jahr 2012 waren bei einer Panik 74 Menschen in einem Stadion in Port Said umgekommen, als ganze Blocks am Verlassen gehindert worden waren. Nur durch diese Vorgeschichte erschließt sich die Architektur des Luftwaffenstadions, wo die katholische Christen ihren Papst nur über hohe Zäune und durch Stacheldraht hindurch sehen konnten.

Die „Tagespost“ begleitet Mitglieder der griechisch-katholisch-melkitischen Pfarrgemeinde Sankt Kyrillos aus Kairo-Heliopolis in einem der vielen Busse hier an den westlichen Stadtrand. Direkt gegenüber der Altarbühne auf der Tribüne haben sie die beste Aussicht, den Papst zu sehen. Kappen mit dem Besuchsmotto, dazu passende Spruchbänder als Schal um die Schultern gelegt, mit weißen und gelben Luftballons sowie Vatikan-Ägypten-Fähnchen in der Rechten, sitzen wir voller Erwartung schon kurz nach sieben Uhr bereit. Geistliche Lieder, mal Sakropop, mal traditionell koptisch, erschallen über die Lautsprecher. Die Spannung steigt mit den Hubschraubern der ägyptischen Luftwaffe, die plötzlich über dem Stadion auftauchen und während der Messe im Minutentakt das Gelände dröhnend überwachen.

Das Stadion bleibt schließlich halbleer, obwohl sich viele Gläubige vergeblich um Eintrittskarten bemüht haben. Um Punkt halb zehn Uhr ist das schwarze Auto mit der Kennnummer SCV1 auf den Übertragungswänden zu sehen. Die Anwesenden winken kräftig mit den Fähnchen, den Blick auf eine vorüberfliegende Drohne fokussiert, von der aus wir gefilmt werden. Kräftiger Jubel brandet auf, als der Papst durch den Eingang gefahren wird. Im Block, wo die Sankt-Kyrillos-Gemeinde sitzt, steigen die Ballons in den Himmel. Einige davon bleiben am Stacheldraht über dem Zaun hängen, der sich zwischen Tribüne und Aschebahn entlang eines Grabens erhebt. Vor dem Graben stehen an einem Metallzaun Sicherheitskräfte in Zivil. Hinter dem Zaun überwachen Scharfschützen an jedem Tor die heilige Messe.

Hier, an diesem Ort, innen und außen mit Stacheldraht gesichert, unter dem wachen Auge des Militärregimes, betet die kleine Herde, die Botschaft der Liebe möge über dieses sakrale Terrarium hinaus dringen. Von seinem Wagen, auf dem Franziskus stehend die Gläubigen segnet, steigt er nur kurz herab, bleibt jedoch allein unter Sicherheitskräften und Fotografen. Ab diesem Zeitpunkt verstummt jeglicher Jubel.

Sie sollten nun wie die Emmausjünger, von denen im Evangelium die Rede war, voll Freude, Mut und Glauben in ihr tägliches Leben, zu ihren Familien, zur Arbeit und zur geliebten Heimat zurückkehren. „Habt keine Angst, alle zu lieben, Freunde und Feinde, denn in der gelebten Liebe liegt die Kraft und der Reichtum des Gläubigen“, sagt Franziskus zu ihnen. Dies sind Worte, die durch den Stacheldraht hindurch zu den Anwesenden und all den Zuschauern vor den Fernsehern hindurchdringen.

Themen & Autoren

Kirche