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Leitartikel: Wohin treibt die AfD?

Von Stefan Rehder

Auf dem Schlachtfeld menschlicher Beziehungen sei der Rückzug oft die beste Strategie, heißt es. Und da viele Mitglieder der AfD-Führungsriege einander in herzlicher Abneigung fest verbunden sind, unterschätzte, wer die zwölfminütige Videobotschaft Frauke Petrys für ein Eingeständnis des Scheiterns oder gar das Dokument einer Niederlage hielte, die Parteivorsitzende gewaltig. In Wirklichkeit ist die Erklärung Petrys – wenige Tage vor dem heute in Köln beginnenden AfD-Bundesparteitag – weder als alleinige Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im Herbst noch als Teil eines Teams zur Verfügung stehen zu wollen, ein kluger Schachzug. Mit ihm nimmt sich Petry gleich zweimal aus der Schusslinie. Sollte der Ausgang der Bundestagswahl die hohen Erwartungen enttäuschen, die die AfD nach den erfolgreichen Landtagswahlen des vergangenen Jahres inzwischen überall hegen zu können meint, wird die Suche in der Partei nach einem Sündenbock nicht lange auf sich warten lassen. Sodann will Petry erreichen, dass sich die AfD in Köln mit ihrem „Zukunftsantrag“ beschäftigt, der eine strategische Neuausrichtung der Partei zum Ziel hat. Mit ihm betritt sie jedoch ein derart vermintes Gelände, dass sie fürchten muss, selbst im Erfolgsfalle bei Wahlen für ein Spitzenteam von den Unterlegenen abgestraft und als Parteivorsitzende nachhaltig beschädigt zu werden. Beidem ist sie nun aus dem Weg gegangen.

Ob sich der Bundesparteitag überhaupt mit Petrys Antrag befassen wird, muss abgewartet werden. Wie die in weiten Teilen undisziplinierte, politisch pubertierende und schnell zu kränkende Partei, die jegliches Bemühen um Ordnung und Leitung leicht als unbotmäßige Gängelung empfindet, entscheiden wird, lässt sich unmöglich vorhersehen. Sollte der Parteitag aber über Petrys Antrag abstimmen, wäre alles andere als eine knappe Entscheidung eine Überraschung. Denn im Grunde stehen sich in der AfD – ähnlich wie Realos und Fundis bei den Grünen – zwei fast gleich starke Lager gegenüber: Auf der einen Seite jene, die wie Petry selbst Politik gestalten wollen, was die Bereitschaft zum politischen Kompromiss ebenso einschließt wie die Übernahme von Regierungsverantwortung in Koalitionen; auf der anderen Seite jene, die wie AfD-Vize Alexander Gauland auf Fundamentalopposition setzen und politische Veränderung in erster Linie dadurch zu erreichen suchen, dass sie andere Parteien vor sich hertreiben und dazu bringen, eigene Themen und Positionen mehr oder weniger modifiziert zu übernehmen.

Dass beide Strategien funktionieren und gesellschaftliche Veränderungen bewirken können, haben die Grünen gezeigt. Vor ihrer realpolitischen Neuausrichtung Anfang der 90er Jahre haben sie mit ihrer Fundamentalopposition die etablierten Parteien etwa dazu gebracht, der Umweltpolitik einen weit größeren Stellenwert einzuräumen. Heute stellen sie in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten eines Flächenlandes. Allerdings hat sich die Partei dazu von ihrem linken, radikalökologischen Flügel trennen müssen. Ähnliches stünde auch der AfD bevor. Nur, dass es bei ihr der nationalistische Flügel um Björn Höcke wäre, der aus der Partei gedrängt werden müsste. Für ein Ausschwitzen des rechten Gedankenmülls gibt es in der AfD aber bislang keine Mehrheit. Petrys Rückzug wird die Bühne für ihn erst einmal vergrößern. Für die öffentliche Wahrnehmung der AfD, in der sie noch weiter nach rechts rücken wird, ist das nicht ungefährlich. Für Petry selbst hält sich der Schaden dagegen in Grenzen. Sie handelt nach der Devise, ein cleverer Politiker macht nicht alle Fehler selbst. Er lässt auch seinen Parteifreunden eine Chance.

Stefan Rehder
Foto: DT | Stefan Rehder.
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