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Leitartikel: Österreichische Gretchenfragen

Von Stephan Baier
Stephan Baier.
Foto: DT | Stephan Baier.

Jede Religion hat ihre Dogmen, ihre Häresien und ihre je eigenen Gretchenfragen. Ein Dogma der Linksliberalen ist die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Lebensgemeinschaften. Ihre Gretchenfrage lautet darum: Nun sag, wie hast du 's mit der Ehe für alle? Die SPD in Deutschland hat diese als Gleichstellung vermarktete Attacke auf die Ehe zur Koalitionsfrage erhoben; die SPÖ in Österreich versucht den bisherigen Koalitionspartner damit vor der Wahl in Verlegenheit zu bringen. Seit der junge Außenminister Sebastian Kurz die ÖVP übernahm, Neuwahlen auslöste und in allen Umfragen führt, ist bei der roten Kanzlerpartei glasklar, dass nicht die als rechtspopulistisch verfemte FPÖ, sondern der Langzeit-Regierungspartner ÖVP der Hauptfeind vor der Wahl am 15. Oktober ist. Also konzentriert sich die SPÖ darauf, die Werte der Christdemokraten unter Feuer zu nehmen.

Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern versicherte zum Wahlkampfauftakt, die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe sei ihm „persönlich ein wirklich großes Anliegen“. Also bastelte Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) rasch einen entsprechenden Gesetzentwurf und übermittelte ihn der ÖVP. Die Homo-„Ehe“ soll noch im September Wirklichkeit werden, sagt die SPÖ. Sie meint damit: Die ÖVP muss vor der Wahl zum Schwur gezwungen werden. FPÖ und „Team Stronach“ haben bereits abgewunken; die Stimmen von NEOS und Grünen jedoch reichen der SPÖ nicht zur Mehrheit. Kanzler Kern nutzte ein Interview mit der linksliberalen Zeitung „Der Standard“, einer publizistischen Speerspitze der Homo-Lobby, um dem Herausforderer Kurz auszurichten, an der „Ehe für alle“ werde man erkennen, „ob die ÖVP die verzopfte, rückständige Partei ist oder eine ÖVP neu“. So einfach ist das für linksliberale Ideologen, die mit der religiösen Substanz der Ehe auch Jahrtausende menschheitsgeschichtlicher Erfahrung über Bord geworfen haben. So fahrlässig gehen Politiker mit der Keimzelle der Gesellschaft um. Und doch wäre es naiv, darin nur ein Hasardspiel enthemmter Wahlkämpfer zu sehen. Hinter dem Dogma, Ehe nach Belieben definieren und reorganisieren zu können, steht die Hybris, einen neuen Menschen schaffen und nach ideologischen Vorgaben formen zu wollen.

Europaweit haben Christdemokraten diesem linksliberalen Kreuzzug in den vergangenen Jahrzehnten wenig entgegengesetzt. So auch in Österreich: 2010 wurde von Rot-Schwarz die „Eingetragene Partnerschaft“ eingeführt, 2013 die Stiefkindadoption erlaubt, 2016 das Adoptionsverbot aufgehoben. Dass „nur“ Erwachsene sich verpartnern dürfen, ist der Homo-Lobby ein Dorn im Auge; „Gleichstellung“ würde Verpartnerung ab 16 Jahren bringen. Die Grünen, deren Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek in lesbischer Partnerschaft lebt, ließen Plakate mit persönlichem Appell an den ÖVP-Chef drucken: „Machen wir es, Kurz: Ja zur Ehe für alle.“ Im Bild sind Kern und Kurz im Hochzeitsanzug zu sehen. Sebastian Kurz jedoch lässt sich nicht erpressen: Die aktuelle Regelung sei „solide“, schmetterte er die Forderungen nach Homo-„Ehe“ ab. Das ist tapfer. Aber auch klug, weiß er doch, dass die SPÖ nur von ihrer eigenen Gretchenfrage ablenken will. Sie lautet: Wie hast du 's mit Straches FPÖ? Eine Gewissens- und Koalitionsfrage, die Österreichs Sozialdemokraten fast zerreißt.

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