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Leitartikel: Die „Woche für das Leben“

Von Stefan Rehder

„Kinderwunsch – Wunschkind – Designerbaby“ lautet das Motto, unter welches die katholische und evangelische Kirche in diesem und im kommenden Jahr die von ihnen initiierte bundesweite „Woche für das Leben“ gestellt haben (2017: 29. April bis 6. Mai). Abgesehen davon, dass sich die Kirchen nach jahrelanger Abstinenz damit wieder einmal einem „hartem“ Lebensrechtsthema zuwenden, hätte die Wahl des Mottos diesmal nicht passender ausfallen können. Im kommenden Jahr jährt sich zum 40. Mal der Tag, an dem der britische Tierphysiologe Robert Edwards und der schottische Gynäkologe Patrick Steptoe am 25. Juli 1978 im Royal Oldham Hospital in Manchester die an einem Eileiterverschluss leidende Lesley Brown vom weltweit ersten im Labor erzeugten Baby entbanden.

Auch wenn die anfänglich hemmungslose Begeisterung der säkularen Welt über die In-vitro-Fertilisation (IVF) längst vielerorts einer gewissen Nachdenklichkeit gewichen ist, so wird doch immer noch weitgehend ignoriert, dass sich die Reproduktionsmedizin längst zu einer globalen, milliardenschweren Industrie entwickelt hat. Zu einer gigantischen Wachstumsbranche, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und sich keineswegs darauf beschränkt, eine vorhandene Nachfrage zu befriedigen, sondern die, wie viele andere Industrien auch, mit zahlreichen ihrer Offerten eine solche erst erzeugt. Allein in den Vereinigten Staaten von Amerika konkurrieren laut der aktuellen Analyse des Marktforschungsunternehmen Market Data Enterprises inzwischen mehr als 480 Fruchtbarkeitskliniken und mehr als 100 Samenbanken miteinander um die Gunst kinderloser Paare. Rund 39 Jahre nach der Geburt des ersten Retortenbabys werden allein im Land der unbegrenzten Möglichkeiten jedes Jahr mehr als 50 000 im Labor erzeugte Kinder geboren. Und auch wenn wir noch weit davon entfernt scheinen, die Zeugung völlig aus den Betten zu verbannen und gänzlich ins Labor zu verlegen, so hat Letzteres doch bereits ein Ausmaß erreicht, das sich bedrohlich auf den Zusammenhalt von Gesellschaften und das in ihnen vorherrschende Menschenbild auswirkt. Längst werden Kinder immer seltener als „Gabe“, und immer häufiger als „Habe“ (Gerl-Falkovitz) betrachtet, als „Projekt“, dem man sich planerisch widmen und das man nach seinen Wünschen „gestalten“ kann. Die notwendigen „Bauteile“ – Samen- und Eizellen – sind längst global käuflich und handelbar, können in Katalogen ausgewählt und bestellt werden. Wer will, kann heute vielerorts Kinder nach Geschlecht selektieren („social sexing“) und sich so eine „ausbalancierte“ Familie zulegen, in der sich Jungen und Mädchen die Waage halten. Selbst Schwangerschaften lassen sich heute „outsourcen“ (Leihmutterschaft), ein Angebot, von dem etwa Hollywood-Stars längst auch ohne Vorliegen einer medizinischen Indikation Gebrauch machen. Mit den kürzlich entdeckten neuartigen und von Molekularbiologen modifizierten Genscheren (CRISPR/Cas9) ist das „Genome-Editing“, die Manipulation der Keimbahn, technisch möglich geworden. Sollte diese noch junge Technologie beherrschbar werden, würde sie der Produktion von tatsächlichen Designerbabies den Weg ebnen.

Die Kirchen haben diese Entwicklung in der Vergangenheit nicht verhindern können und sie werden das – wenn kein Wunder geschieht – auch in Zukunft nicht vermögen. Was sie jedoch können, ist Christen Argumente an die Hand zu geben, die suchenden Menschen ethische Orientierung bieten und die überzeugend darlegen, warum sie sich selbst solcher Praktiken enthalten sollten.

Stefan Rehder
Foto: DT | Stefan Rehder.
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