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Bleibt Österreich verlässlich?

Mit einer europaweiten Panikreaktion wie im Jahr 2000, als ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel eine Koalition mit Jörg Haiders FPÖ wagte, ist diesmal nicht zu rechnen. Von Stephan Baier

Mit einer europaweiten Panikreaktion wie im Jahr 2000, als ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel eine Koalition mit Jörg Haiders FPÖ wagte, ist diesmal nicht zu rechnen. Die damaligen Sanktionen gegen Österreich waren ebenso unbegründet wie kontraproduktiv. Doch wie Haider damals alle europapolitischen Positionen der FPÖ räumen musste, um für salonfähig befunden zu werden, so kapitulierte auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor dem europapolitischen Pragmatismus des neuen Kanzlers Sebastian Kurz. Strache gelobte öffentlich, sich an EU-Beschlüsse zu halten und Europarecht stets zu respektieren. Ein Volksbegehren zum Austritt Österreichs aus der EU wird von beiden Koalitionären ausdrücklich ausgeschlossen. Und obwohl die FPÖ für das Außenministerium keinen Partei-Hardliner nominierte, sondern die besonnene und sachkundige Orient-Expertin Karin Kneissl, wandern alle gewichtigen EU-Agenden mit Kurz ins Bundeskanzleramt. Wer sich in Brüssel Sorgen um Österreichs europapolitischen Kurs machte, darf tief durchatmen und sich entspannen: Europapolitik wird in Wien künftig im Bundeskanzleramt gemacht. Österreichs Regierungslinie zu Europa lautet: Subsidiarität. Kurz und Strache bekennen sich zu einem starken, aber subsidiären Europa – vielleicht mit weniger Zuständigkeiten als dies mancher in Brüssel gerne hätte, dafür aber stark in diesen Bereichen.

Eine Wende deutet sich hingegen in der Familien-Politik an: Die neue Regierung sieht Familie „als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern“ und will ihr – durch steuerliche Entlastung und Steuergerechtigkeit – auch (Steuer-)Geld zurückgeben. Das, und die Betonung der „Verschiedenheit von Mann und Frau“, somit die Abkehr vom ideologischen Gender-Unsinn, bringt Österreichs „linke Reichshälfte“ auf die Palme. Der Rest der Gesellschaft darf aufatmen, denn die jahrzehntelange, fast systematische finanzielle und rechtliche Benachteiligung von Ehe und Familie hat eine Gerechtigkeitslücke entstehen lassen, die nur in mühevoller geduldiger Sacharbeit einigermaßen zu schließen ist. Generationengerechtigkeit statt Gender-Mainstreaming wäre da zumindest ein Anfang.

Eine Wende zeichnet sich auch gegenüber dem gewandelten Islam in Österreich ab: War die politische Klasse – einschließlich des vormaligen Integrationsstaatssekretärs Sebastian Kurz – bis vor kurzem stolz auf das Islamgesetz von 1912, das den (zunächst mehrheitlich bosnischen) Islam in Österreich beheimatete, so hat sich hier die islamische Wirklichkeit schneller verändert als die politische Einordnung. Die neue Regierung hat dem „politischen Islam“ ebenso den Krieg erklärt wie „jeglicher Form von politischer und religiöser Einflussnahme aus dem Ausland“: Der politische Islam habe „keinen Platz in unserer Gesellschaft“, vielmehr müsse die Mehrheit der Muslime in Österreich hiervor geschützt werden.

Für Aufregung sorgt in der Alpenrepublik aus historischen Gründen, dass Innen- und Verteidigungsressort – und damit Polizei und Militär sowie alle Geheimdienste – in FPÖ-Hand gerieten. Das ist in der Tat ein Schönheitsfehler, doch wandelt Österreich heute, anders als in der Zwischenkriegszeit, nicht am Rande eines Bürgerkriegs. Österreichs Demokratie ist stabil genug und die Kontrolle durch Bundespräsident und Parlament ist stark genug, eine solche Schieflage auszuhalten.

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