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„Komm, Heiliger Geist“

An Pfingsten feiern Christen den ehemals euphorischen Aufbruch der Kirche – Rechnen wir auch heute noch mit Gott? Von Bernhard Meuser
A dove flies after being released before the start of the 2014 World Cup opening match between Brazil and Croatia at the Corinthians arena in Sao Paul
Foto: Reuters | Rechnen wir noch mit Eingriffen Gottes, mit geistgewirkten Aufbrüchen, innerhalb, aber auch außerhalb der sakramental verfassten Katholischen Kirche?

Der Gelehrte holte weit aus. Von einem Paradigmenwechsel war die Rede, von sozialen Umwälzungen, von einem religionsgeschichtlichen Kairos, von den Verdiensten des Römischen Reiches beim Ausbau interkontinentaler Verkehrsverbindungen. Der Mann versuchte Pfingsten zu erklären. Je länger er redete, desto offenkundiger scheiterte er aber an der Ur-Explosion, der Kernfusion des Christentums, an jenen paar Jahrzehnten, in denen ein paar randständige Gestalten aus Galiläa – die Resttruppe eines hingerichteten Wanderrabbis – die gesamte antike Welt auf den Kopf stellten. Erstaunlicherweise ohne jede Anwendung von Waffen, scheinbar nur mit Überredung.

Mit der Brille des Altertumsforschers kann man eine Menge Dinge für den Erfolg des Urchristentums glaubhaft machen. Und doch erklären sie nichts, wenn man den Faktor auslässt, den Wissenschaft nicht fassen kann, es sei denn in der Betrachtung seiner Effekte: den Heiligen Geist. Das Elementarereignis lag eben nicht in der Luft und es kam auch nicht vom Straßenbau. Etwas Unerfindliches, Unbegreifliches erfasste ein paar einfache Leute, die gerade dabei waren, ihren Biografien rückwärts abzuwickeln: Fischer würden ihren Kollegen begründen müssen, warum sie wegen einem durchgeknallten Prediger die Flatter gemacht hatten, betuchte Damen sollten ihren Männern etwas sagen zu den hysterischen Anwandlungen, die sie dazu trieben, Haus und Hof im Stich zu lassen und obendrein mit ihrem Vermögen die Jesus-Truppe auszuhalten.

Aus Sicht der Historiker ist Pfingsten das Bermudadreieck der Theologie. Unser kluger Wissenschaftler hätte sich vor der Zunft blamiert, hätte er gesagt: „Der Heilige Geist kam auf sie herab. In der Kraft Gottes machten die Fischer vom See Genezareth und ihre meist ebenso schlichten Nachfolger Millionen von Menschen zu Jüngern Jesu und tauften sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Sie würden gerne „natürlich“ erklären, was aus der Summe aller natürlichen Faktoren nicht zu erklären ist. Sie hätten gerne eine innergeschichtliche Logik, etwas mit Ursache und Wirkung. Warum das? Warum hier? Warum mit diesen?

Aber die Gnade ist die Gnade. Sie kommt ansatzlos, grundlos, plötzlich. Die Gnade ist unberechenbar. Die Gnade ist anarchisch. Die Gnade ist die Domain der überlegenen Freiheit Gottes. An Pfingsten handelt Gott. ER macht auf souveräne, herrliche Art Geschichte, wo menschliche Geschichte gerade an ihr definitives Ende gekommen war. ER ist das/ der Grundstürzende. ER ist die Ursache des gewaltigen Sogs. ER ist das Feuer, das zum Flächenbrand wurde. ER ist die Glut, die kalte Herzen transformierte. ER ist die souveräne, Grenzen sprengende Kraft des Wortes. ER ist in der Kühnheit, ja dem Todesmut vor Fürstenthronen, ER ist der Sieg in der Siegesgewissheit des versprengten Häufleins, dem die Depression von gestern noch in den Kleidern hing. Von Heilungen durch die Jünger wird berichtet, von Wundern und Totenerweckungen – und auch hier ist Gott im Spiel, Gott, der in die Geschichte eingreift. Wer denn sonst? Hier ist doch nicht von magischen Jüngertricks die Rede!

Unter den christlichen Festen ist Pfingsten die laufende Nummer drei, wenn denn der Inhalt des Festes überhaupt noch bekannt ist. Einer aktuellen Erhebung zufolge wissen nur noch 47 Prozent der Deutschen, dass dieses Fest irgendetwas mit dem Heiligen Geist zu tun hat; 30 Prozent haben einen falsche Vorstellung von Pfingsten und 23 Prozent der Bevölkerung haben keine Ahnung, was da gefeiert wird. Schlimmer als das Nichtwissen der Öffentlichkeit ist die innerkirchliche Verdrängung von Pfingsten. Unter Verdrängung versteht die Psychoanalyse einen vergessenen innerpsychischen Abwehrmechanismus, mittels dessen „tabuisierte oder bedrohliche Sachverhalte oder Vorstellungen von der bewussten Wahrnehmung ausgeschlossen“ (Wikipedia) werden.

Die innerkirchliche Pfingstverdrängung gibt es auf verschiedenen Ebenen. Gewöhnlich ereignet sie sich als historische Versiegelung: Pfingsten, das ist eine Geschichte aus der Urzeit des Christentums, ein einmal gewesener euphorischer Aufbruch, der mit dem Heute nichts zu tun hat. Man tut so, als sei aus chaotischen charismatischen Anfängen spätestens mit Konstantin eine Art abgekühlte kirchliche Normalität entstanden, mit einem öffentlichen Kultus, mit vertraglichen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, mit Kirchenmacht, Kirchenrecht, Kirchenbesitz und so weiter.

Ein etwas genauerer Blick in die Kirchengeschichte sollte uns belehren, wie prekär es ist, wenn die Samenkörner des Gottesreiches in allzu fette Erde eingepflanzt werden. Eine Reihe von Bischöfen, die zum Konzil von Nicaea reisten, waren verhärmte, von der Verfolgung gezeichnete Gestalten, manche hatten die Sehnen durchschnitten oder das Augenlicht verloren. Ein Menschenalter später reisten Bischöfe in der kaiserlichen Post; sie waren besoldet in der Klasse der höchsten Reichsbeamten, verfügten über eine eigene Gerichtsbarkeit und sammelten enorme Reichtümer an. Glücklicherweise kennt die Kirche immer wieder den charismatischen Protest gegen die „Gewohnheitsreligion“ (Jörg Lauster), greifbar etwa bei Katherina von Siena, Franz von Assisi, und auch bei den Päpsten Benedikt und Franziskus.

Die verkannte Freiburger Rede war ein mutiger charismatischer Einspruch gegen die deutsche Gewohnheitsreligion, die, in der fetten Erde des Reichskonkordates ruhend, strukturell an ihr ewiges Leben glaubt, auch wenn sich die Menschen massenhaft von ihr abwenden. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Was ist hier die geistliche Botschaft? Was will der Gott uns damit sagen? „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,29).

In Fällen, in denen das Gewohnte nicht mehr greift, soll man die Gewohnheit abschaffen, nicht die Religion. Der Kirche ist es immer schwergefallen, der Schwerkraft der Macht zu entsagen und der Schwerkraft der Gnade zu folgen. Es war nie leicht, von der kaiserlichen Post und anderen Privilegien Abschied zu nehmen. Wie weise erinnert Benedikt: „Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben.“ Viele trauern heute über die vermeintliche Liquidation der Kirche. Ja, das ist schmerzhaft, wenn Kirchen umgewidmet oder abgerissen werden. Aber das Wesen der Kirche ist nicht ihre Petrifizierung in Gebäuden und Institutionen.

Die Kirche – das ist der heute lebendig wirkende Gott. Der Gott von Pfingsten ist ein Gott, der ständig liquidiert, das heißt: verflüssigt, Dinge in Fluss bringt, neues Leben heranschwemmt, abgestandene Wasser in Bewegung setzt. Dabei gehen wohl auch etliche katholische Landratsämter über die Wupper. Er ist es, der „was wir bauen mild über uns zerbricht“ (Eichendorff).

Ist uns noch bewusst, dass Pfingsten bis heute nicht aufgehört hat? Haben wir noch die Sensoren, der Anarchie der Gnade nachzuspüren? Rechnen wir noch mit Eingriffen Gottes, mit geistgewirkten Aufbrüchen, innerhalb, aber auch außerhalb der sakramental verfassten Katholischen Kirche?

Beten wir ernsthaft: Komm, Heiliger Geist, wenn wir insgeheim Veränderung ausschließen und alles wollen, bloß nicht gestört werden von einem Geist, der weht, wo er will?

Der Autor ist Geschäftsführer der YOUCAT-Foundation

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