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Keine Einigung in Sicht: § 219 a Im Wortlaut

Werbeverbot bei Abtreibung: Opposition setzt Thema auf Bundestagstagesordnung – Ärztin Hänel unterliegt bei Berufung: Von Stefan Rehder
Beginn Berufungsprozess gegen Gießener Ärztin
Foto: dpa | Vor dem Gießener Amtsgericht, an dem das Berufungsverfahren von Kristina Hänel verhandelt wurde, demonstrierten Frauen für eine Aufhebung des Werbeverbots.

Möglicherweise wird sich der Bundestag am heutigen Donnerstag noch einmal im Plenum mit dem Werbeverbot für Abtreibungen befassen. Ob es dazu tatsächlich kommt, entscheidet sich erst heute Morgen. Zwar lautet TOP 12 der vorläufigen Tagesordnung „StGB – Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“. Auch sieht der Zeitplan eine 45-minütige Debatte zu den bereits in erster Lesung beratenen Gesetzentwürfen von Linken (Bundestagsdrucksache 19/93), Grünen (Bundestagsdrucksache 19/630), der FDP (Bundestagsdrucksache 19/820) und zu den Beschlussempfehlungen des federführenden Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vor (Beginn: ab 16.55 Uhr). Doch weil zwischen den Fraktionen keine Einigung über die Tagesordnung erzielt werden konnte, muss diese nun mit Sitzungsbeginn zunächst vom Plenum genehmigt werden.

Politik rechnet nicht mit einer Abstimmung

So oder so rechnet in Berlin niemand damit, dass die Anträge dort heute auch zur Abstimmung gestellt werden. Dem Vernehmen nach will die Opposition, die das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, den Druck auf die Große Koalition erhöhen. Die hatte eine Einigung ursprünglich bis Herbst in Aussicht gestellt und Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) mit der Erarbeitung eines Kompromissvorschlags beauftragt. Während die SPD – ebenso wie Linke und Grüne – für die ersatzlose Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch ist, wollen CDU und CSU jedoch am Werbeverbot festhalten.

Für die Union gehöre der § 219a StGB „unverzichtbar zum staatlichen Schutzkonzept“, bekräftigte unlängst deren rechtspolitische Sprecherin, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Das Bundesverfassungsgericht habe den Staat verpflichtet, das Lebensrecht und die Menschenwürde des Kindes zu schützen. Das sei auch das Ziel der Schwangerenkonfliktberatung. „Eine Werbung, die Abtreibungen als normale medizinische Leistung darstellt“, sei mit dieser Zielrichtung nicht vereinbar.

Das sehen nicht alle so. Am vergangenen Freitag verhandelte das Landgericht Gießen erneut die Frage, ob die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel, die Besucher ihrer Praxishomepage davon in Kenntnis setzt, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt, damit gegen das strafbewehrte Werbeverbot für Abtreibungen verstieß. Nötig war das, weil Hänel gegen das Urteil des Amtsgerichts Gießen, das sie vergangenen November in erster Instanz zur Zahlung einer Geldstrafe von 6 000 Euro verurteilt hatte, Berufung einlegte. Bei der Verhandlung vor dem Landgericht bezeichnete Hänels Anwalt, Karlheinz Merkel, den § 219a StGB als verfassungswidrig. In ihrer jetzigen Form sei die Norm „nicht vereinbar mit dem Grundgesetz“ und verstoße sowohl gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit als auch gegen die Berufsfreiheit von Ärzten. Daher solle das Gericht den Fall seiner Mandantin dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Das lehnte der Vorsitzende Richter Johannes Nink jedoch ab. Ein Landgericht sei damit „überfordert“, erklärt Nink, der die Berufung Hänels abwies, das Urteil des Amtsgerichts für rechtens erklärte und dessen Schuldspruch bestätigte. Das hinderte den Richter jedoch nicht, anschließend aus der Rolle zu fallen. Nicht nur, dass er seinerseits Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Werbeverbots für Abtreibungen artikulierte. Als Richter immerhin ein Organ der Rechtspflege, kritisierte Nink auch den 1995 gefundenen politischen Kompromiss. Die „Beratungslösung“ nannte er ein „Feigenblatt“, der Verurteilten riet er gar: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz.“

Hänel will in die Revision gehen

Hänel-Anwalt Merkel kündigte an, seine Mandantin werde gegen die Entscheidung nun Revision beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main beantragen.

Das stimmt mit der Strategie überein, die die Gießener Ärztin schon in der Vergangenheit dargelegt hatte: Kristina Hänel selbst hatte im Vorfeld des Prozesses schon mehrfach erklärt, sie wolle notfalls mit ihrem Fall bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen.

„Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise

1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder

2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Themen & Autoren
Bundesverfassungsgericht CDU CSU Deutscher Bundestag Elisabeth Winkelmeier-Becker FDP Katarina Barley SPD Schwangerschaftsabbruch

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