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Kampfmodus in Italien

Der Wahlkampf im Stiefelstaat hat auch ein Gesetz zur Patientenverfügung blockiert. Von Guido Horst
Für Matteo Salvini von der Lega ist die Patientenverfügung kein Wahlkampfthema.
Foto: dpa | Für Matteo Salvini von der Lega ist die Patientenverfügung kein Wahlkampfthema.

Das Interesse scheint gering zu sein. Bereits am 20. April dieses Jahres hatte die italienische Abgeordnetenkammer einen Gesetzesentwurf zu Fragen der medizinischen Therapien am Lebensende verabschiedet, der im Wesentlichen der deutschen Patientenverfügung entspricht, was im Italienischen unter der Bezeichnung „Biotestamento“ läuft: Jeder hat das Recht, selber über lebensverlängernde Maßnahmen zu entscheiden, wenn er an einer todbringenden Krankheit leidet. Aber seither liegt das Gesetz in der zweiten Kammer des italienischen Parlaments, dem Senat, und allen Ansagen zum Trotz, den Gesetzesentwurf noch vor Weihnachten endgültig verabschieden zu wollen, rührt sich nichts, weder im Senat, noch in der öffentlichen Diskussion ist es ein Thema.

Dabei hatte sich die Kirche, die in Italien in bioethischen Fragen stets wahr und ernst genommen wird, schon zu der Patientenverfügung geäußert. Papst Franziskus hatte am 16. November anlässlich einer gemeinsam von der Päpstlichen Akademie für das Leben und der „World Medical Association“ veranstalteten Tagung über das Lebensende per schriftlicher Botschaft festgestellt, dass alle demokratischen Gesellschaften Lösungen finden müssten, die Todkranke betreffen. Diese müssten nicht „um jeden Preis“ medizinisch behandelt werden, meinte der Papst. Es sei moralisch vertretbar, auf therapeutische Mittel zu verzichten oder diese einzustellen, wenn sie in keinem Verhältnis zum erhofften Ergebnis stünden. Es gehe in solchen Fällen nicht darum, den Tod herbeizuführen, sondern zu akzeptieren, dass man ihn nicht verhindern könne. Dies sei deutlich von der Euthanasie zu unterscheiden, die „nach wie vor unerlaubt ist, da sie das Leben unterbricht und zum Tod führt“, stellte der Papst klar. Der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenzen, Kardinal Gualtiero Bassetti, bekräftigte daraufhin in einem Zeitungsinterview, mit der Äußerung des Papstes sei die Haltung der katholischen Kirche klar. Er begrüßte, dass Italien das Thema Patientenverfügungen nun endlich gesetzlich regeln wolle. Doch nichts geschieht. Warum?

Nach einer fast fünf Jahre währenden Legislaturperiode, die mit den drei Ministerpräsidenten Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni jeweils eine von einer Mitte-Links-Koalition getragene Regierung erlebt hatte, ballen sich nun die Bewegungen aller politischen Kräfte des Landes zu einer schwärenden Gewitterwolke zusammen, die den Namen Wahlkampf trägt und nur noch das Schmieden von Bündnissen und Personalrochaden kennt. Etwas Anderes hat da keinen Platz mehr. Bezeichnend die Stellungnahme des Chefs der „Lega Nord“, Matteo Salvini. Vor laufender Kamera nach dem „Biotestamento“ gefragt, meinte er vor wenigen Tagen: „Mehr als um das Lebensende kümmere ich mich um das Leben. Ich würde mir wünschen, dass sich dieses Parlament um die Italiener kümmern würde, die leben. Und um den guten Tod kümmern wir uns dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist.“ Ende der Durchsage.

Diese Stellungnahme ist typisch. Die „Lega Nord“ Salvinis, die im laufenden Wahlkampf das Wörtchen „Nord“ fallen lassen will, weil sie nach dem Vorbild der „Front National“ einer Marine Le Pen eine landesweit auftretende und operierende Partei werden möchte, setzt auf Bauchgefühle und irrationale Ängste. So hat sie am vergangenen Wochenende in Rom eine Demonstration gegen das so genannte „Ius Soli“ abgehalten, ein weiteres Gesetzesvorhaben der Regierung Gentiloni, das im Parteienkampf der vergangenen Woche auf der Strecke geblieben ist. Das „Ius Soli“ meint das gesetzlich verbriefte Recht für dauerhaft in Italien lebende Flüchtlingskinder, nach einer ordnungsgemäß absolvierten Schulzeit auch die italienische Staatsbürgerschaft beantragen zu dürfen. Wie das „Biotestamento“ hat auch das „Ius Soli“ kaum noch Nachrichtenwert. Es geht nur noch um die Gretchenfrage: Wer wird mit wem die neue Regierung des Landes stellen, wenn im März oder April gewählt werden wird?

Das alte Schema Links gegen Rechts ist Vergangenheit. Inzwischen ist die „Bewegung der fünf Sterne“ des Ex-Komikers Beppe Grillo die stärkste Kraft im Land. 29 Prozent belegt sie bei Umfragen. Mit ihrem Modell einer direkten Demokratie, die jede Festlegung in politischen Fragen von einer Mitgliederbefragung abhängig macht, ist sie weder links noch rechts einzuordnen. Die Regierung Gentiloni hat dem Rechnung getragen, indem sie in einer letzten Kraftanstrengung doch noch ein Verfahren durch beide Kammern des Parlaments gebracht hat: ein neues Wahlgesetz, das ein Verhältnis-, kein Mehrheitswahlrecht verbindlich macht, das nicht mehr die nach Wahlen stärkste Partei, sondern die stärkste Koalition mit einer sicheren Regierungsmehrheit „belohnt“.

Und hier liegt das Problem: Die „Bewegung der fünf Sterne“ lässt nicht erkennen, mit irgendeiner der alten Parteien koalieren zu wollen. Sie könnte stärkste Partei werden, aber von dem Rechtsbündnis übertrumpft werden, das Matteo Salvini und der recycelte 81-jährige Silvio Berlusconi zusammengeschustert haben. Während Ex-Regierungschef und Parteichef Matteo Renzi den Niedergang der völlig zersplitterten Linken verwaltet, wittert die Rechte Italiens Morgenluft. Und die könnte das „Biotestamento“, die Patientenverfügung nach deutschem Vorbild, schnell über die parlamentarischen Hürden bringen.

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