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Indien und die EU zwischen Freihandel und Religionsfreiheit

Unter Narendra Modi hat sich die Lage religiöser Minderheiten in Indien verschlechtert. Doch die EU scheint wirtschaftliche über menschenrechtliche Interessen zu stellen. Von Andreas Thonhauser
EU trifft Indien
Foto: dpa | Nach außen präsentieren sie sich einig: EU-Ratspräsident Donald Tusk (links), der indische Premier Narendra Modi (mitte) und EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Junker.

Mit großem Interesse verfolgten Wirtschaftstreibende das gestrige Treffen der Präsidenten der EU-Kommission und des Europäischen Rates mit dem indischen Premierminister Narendra Modi. Jean-Claude Juncker und Donald Tusk waren nach Neu Delhi gereist, um am jährlich stattfindenden EU-Indien Gipfel über bestehende und künftige Handelsabkommen zu sprechen. Dieses Treffen jährte sich am 06. Oktober zum 14. Mal. Mehr als 77 Milliarden Euro machte das Handelsvolumen zwischen EU und Indien im Jahr 2015 aus. Tendenz steigend.

Aber nicht nur die Wirtschaft verfolgte den Gipfel mit hoher Aufmerksamkeit. Bereits im vergangenen Jahr hatten Menschenrechtsorganisationen und Abgeordnete zum Europäischen Parlament eingemahnt, neben Freihandel, Besteuerungen und Förderungen auch die Menschenrechte auf den Verhandlungstisch zu bringen. Besonders was das Thema Religionsfreiheit in Indien betrifft, äußerten Politiker und NGOs große Bedenken. Zu Recht.

Seit dem Amtsantritt Narendra Modis hat sich die Situation religiöser Minderheiten in Indien drastisch verschlechtert. Dabei ist der Kopf der Bharatiya Janata Partei (BJP) als Politiker angetreten, um einen Weg der Öffnung und Modernisierung für den asiatischen Subkontinent zu beschreiten. Tatsächlich nahmen bereits im ersten Jahr seiner Amtsführung die Übergriffe auf Mitglieder religiöser Minderheiten drastisch zu. Die indische Menschenrechtsorganisation ANHAD aus Neu Delhi berichtete von 43 Toten in mehr als 600 Fällen, die sich in den ersten zwölf Monaten seit Modis Wahl zum Premierminister im Sommer 2014 ereignet hatten. 194 davon betrafen Christen, der Rest Muslime.

Zufall dürfte das nicht gewesen sein, denn Modis Partei gilt als politischer Arm der so genannten Hindutva Bewegung. Diese setzt sich für ein rein hinduistisches Indien ein und möchte das Land von allen Andersdenkenden „säubern“. Insbesondere Christen und Muslime scheinen ein rotes Tuch für die Anhänger der nationalistischen Ideologie zu sein. Das Christentum ist vor allem für die so genannten Dalits, die „Unberührbaren“, attraktiv. Sie stehen außerhalb des hinduistischen Kastensystems und werden in vielen Regionen noch immer wie Abschaum behandelt. Die Botschaft des Christentums sprengt diese sozialen Verhältnisse. Dass Gott alle Menschen gleichermaßen liebt und zur Erlösung aller gestorben und auferstanden sein soll, ist revolutionär.

Allerdings ist es nicht so einfach, sich öffentlich zum christlichen Glauben zu bekennen. In sieben von 29 indischen Bundesstaaten gibt es „Anti-Konversionsgesetze“, die den Übertritt vom Hinduismus zu einer anderen oder keiner Religion zu einem kriminellen Delikt machen, so er nicht langfristig zuvor angezeigt wird. Die BJP deckt und fördert diese Religionsgesetze offen. Die Stimmung in der Bevölkerung wird gegen Andersgläubige zunehmend aufgehetzt. Der aktuelle Bericht des US-Außenministeriums zur Religionsfreiheit in Indien erwähnt bereits 300 Fälle von Christenverfolgung im Jahr 2016, fast eine Verdopplung zum Jahr zuvor. Die Dunkelziffer ist natürlich weitaus höher. Viele wagen es gar nicht Übergriffe anzuzeigen, aus Angst vor Vergeltung und oft sind Polizei und Justiz auf der Seite der Aggressoren.

Verbündete Anwälte von ADF International, einer christlichen Menschenrechtsorganisation, die sich weltweit für freie Glaubensausübung einsetzt, übernehmen oft jene Fälle, die doch vor einem Gericht landen. So wurden etwa im Mai dieses Jahres sieben Pastoren im Bahnhof von Ratlam in Madhya Pradesh verhaftet. Sie wollten gemeinsam mit 60 Kindern zu einem christlichen Sommercamp fahren. Drei Tage lang hielt man die Minderjährigen im Gefängnis fest. Die Eltern der Kinder hatten sofort nach der Verhaftung schriftlich bestätigt, dass sie ihr Einverständnis zur Teilnahme am Camp gegeben hatten. Dennoch erhob man Anklage gegen die Pastoren wegen Kindesentführung, Gewalt gegen Minderjährige und Missionierung. Drei Monate lang mussten sie im Gefängnis ausharren, bis man sie endlich gegen Kaution freiließ. Auch das war nur aufgrund einer Intervention des indischen Höchstgerichts möglich. Sie warten nun auf ihre Verhandlung. Es werden ihnen bis zu sieben Jahre Haft angedroht.

Aufgrund solcher Vorfälle adressierten mehrere EU-Abgeordnete einen offenen Brief an die Präsidenten Juncker und Tusk, sowie an die EU-Außenministerin Frederica Mogherini, die ebenfalls am Gipfel in Neu-Delhi teilnahm. In dem Brief, der der Redaktion vorliegt, fordern die Unterzeichner die EU-Repräsentanten auf, die Anti-Konversionsgesetze ebenso wie die wachsende Verfolgung offen anzusprechen. Die Abgeordneten listen konkrete Fälle, wie etwa die kürzliche Ermordung der kritischen Journalistin Gauri Lankesh. Sie kritisierte die BJP offen für ihre Hetze gegen religiöse Minderheiten.

Außerdem beanstanden die EU-Parlamentarier die Verweigerung von Visa auf Basis religiöser Gründe. Das verstoße gegen das Grundrecht der Gewissens- und Religionsfreiheit, für deren Verteidigung die Europäische Union einstünde. Deshalb könne die EU nicht einfach wegsehen, wenn sie sich nicht der Komplizenschaft schuldig machen wolle. Es wäre die „Pflicht der EU-Rats- und Kommissionspräsidenten“, diese Tatsachen zu thematisieren und den Premierminister aufzufordern, sich für eine Verbesserung der Situation umgehend einzusetzen. Konkret fordern sie eine Garantie für die Sicherheit religiöser Minderheiten, die Zurücknahme diskriminierender Gesetze, Training von Polizisten und Juristen hinsichtlich der Rechte religiöser Minderheiten und öffentliche Kampagnen, die über die wichtigen gesellschaftlichen Beiträge von Christen, Muslimen und andere Religionen informieren.

Der Schutz der Rechte religiöser Minderheiten ist bis dato keine Bedingung seitens der EU für den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Indien. Lars Adaktusson beklagt das in seinem Kommentar für die Brüsseler Online-Publikation Euractiv. Der schwedische Abgeordnete zum Europäischen Parlament unterzeichnete den Brief an die EU-Präsidenten ebenfalls. Er weist darauf hin, dass es zunehmend unglaubwürdig werde, sich zwar ständig zu den Menschenrechten zu bekennen, die Einhaltung derselben aber nicht gegenüber Dritten einzufordern, sobald es um wirtschaftliche Interessen gehe. Die EU dürfe nicht nur freien Handel und Marktwirtschaft vorantreiben, sondern müsse sich auch weltweit für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen.

Das Recht auf freie Religionsausübung ist elementarer Bestandteil der Menschenrechte, zu denen sich Indien offiziell bekennt und die es in seiner Verfassung schützt. Die aktuelle Regierung scheint das zu ignorieren. Umso wichtiger wäre ein klares Bekenntnis der EU. Als einer der wichtigsten Wirtschaftspartner des Subkontinents hätte die Staatengemeinschaft genügend Druckmittel in der Hand, um sich effektiv für verfolgte religiöse Minderheiten einzusetzen. Allein der politische Wille scheint bei Juncker, Tusk und Mogherini noch zu fehlen.

Der Autor leitet die Kommunikationsabteilung für ADF International.

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