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Durchs wilde Absurdistan

§ 219a StGB: Mit den Stimmen von Union und SPD hat der Bundestag vergangenen Donnerstag das Werbeverbot für Abtreibungen reformiert. Eine Nachbetrachtung in fünf Akten. Von Stefan Rehder
Theaterzentrum
Foto: dpa | Ob der letzte Vorhang im Politik-Theater um den Paragraphen 219 a schon gefallen ist, muss sich noch zeigen.

I. Akt

Das Positive zuerst: Viele Bürger wären gern stolz auf die von ihnen gewählten Volksvertreter. Nur: Leicht machen diese ihnen das selten. Das war auch beim Streit um den Paragrafen 219a Strafgesetzbuch nicht anders. Da verhandelten CDU/CSU und SPD erst monatelang ergebnislos über die Reform des Werbeverbots für Abtreibungen und dann geht plötzlich alles ratzfatz. Gleich fünf Bundesminister hatten die in dieser Frage heillos zerstrittenen Koalitionäre aufbieten müssen und das nur, um am Ende einen Kompromiss zu präsentieren, mit dem niemand zufrieden ist. Die Regierungsparteien nicht, die der Opposition nicht, die Lebensrechtler nicht, die drei vor Gericht stehenden Ärztinnen nicht und die Abtreibungslobby schon gar nicht. Dass Politiker sich nicht berufen fühlen, Probleme sachgerecht zu lösen, sondern lediglich einen Ausgleich der tatsächlichen oder auch nur gefühlten Interessen herbeizuführen, ist für viele im Lande immer noch gewöhnungsbedürftig. Sieht man davon einmal ab, muss man der Großen Koalition zu ihrem Kunststück allerdings gratulieren: Mit der Reform des § 219a Strafgesetzbuch alle in nahezu vergleichbarem Umfang unglücklich zu machen, schafft nicht jeder.

II. Akt

Rekordverdächtig: Am Ende benötigt die Große Koalition nicht einmal zwei Sitzungswochen, um das gelockerte Werbeverbot für vorgeburtliche Kindstötungen im Schweinsgalopp unter den Tisch zu schlagen. 12. Februar: Einbringung des Entwurfs eines „Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“ (Bundestagsdrucksache 19/763). 15. Februar: Erste Lesung, Dauer der Debatte: 38 Minuten. 18. Februar: Öffentliche Anhörung im federführenden Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz. 21. Februar: Zweite und Dritte Lesung, Dauer der Debatte: 77 Minuten. Anschließend namentliche Abstimmung. Ergebnis: 371 Abgeordnete stimmen für den „faulen Kompromiss“, 277 dagegen. Vier enthalten sich.

III. Akt

Unter dem Strich: Künftig dürfen Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen (etwa von Pro Familia) die vorgeburtliche Kindstötungen vornehmen, darauf öffentlich hinweisen. Ein neuer Absatz 4 im nun reformierten § 219a StGB sorgt dafür, dass dies künftig nicht mehr strafbar ist. Für weitere Informationen müssen sie jedoch auf staatlich organisierte Informationsangebote verweisen beziehungsweise verlinken. Dort darf dann auch über Methoden, Risiken für die Schwangeren und Ähnliches informiert werden.

Außerdem schreibt die verabschiedete Reform eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vor. Mit ihr soll sichergestellt werden, dass es künftig eine von der Bundesärztekammer erstellte und monatlich aktualisierte Liste mit Ärztinnen und Ärzten gibt, die mitteilen, dass sie vorgeburtliche Kindstötungen im Einklang mit Paragraf § 218a Absatz 1 bis 3 durchführen. Diese Liste soll ebenfalls Angaben zu den von Ärzten dabei angebotenen Methoden enthalten. Die Liste wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht. Auch der bundesweit zentrale Notruf „Schwangere in Not“ sowie die Schwangerschaftsberatungsstellen und -konfliktberatungsstellen sollen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz Auskunft über die in der Liste enthaltenen Angaben erteilen können.

IV. Akt

21. Februar, 17.47 Uhr: Fliegeralarm unter der Reichstagskuppel: Die Opposition schickt intellektuelle Tiefflieger an die Front. Um den Job der Staffelführerin bewirbt sich die grüne Bundestagsabgeordnete Katja Keul. Sie moniert: „Eine Ärztin, die darauf hinweist, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, und auf die staatliche Informationsstelle verweist, soll sich damit nicht mehr strafbar machen. Anders ist es, wenn sie exakt den gleichen Inhalt dieser staatlichen Seite auf ihre eigene Seite kopiert. Die identische Mitteilung über die gleiche Information ist im einen Fall gewollt und wird staatlich gefördert und wird im anderen Fall mit zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht!“ Das sei absurd.

Ist es nicht. Absurd ist vielmehr, dass die Spitzenkandidatin der niedersächsischen Grünen offenbar Opfer ihres eigenen Framings geworden ist, das Werbung neu rahmt und als Information ausgibt. Denn es geht natürlich nicht darum, dass dieselbe Information einmal strafbar wäre und einmal nicht. Sondern darum, das derselbe Text in einem Kontext als Information angesehen werden kann, während er in einem völlig anderen als verbotene Werbung, also eine rechtswidrige Tat betrachtet werden muss. Da die staatliche Stelle (gemeint ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA) keine Abtreibungen anbietet, kann ihre Information auch keine Werbung sein. Ganz anders verhält sich das aber bei einem Arzt, Krankenhaus oder einer Einrichtung, die vorgeburtliche Kindstötungen um eines „Vermögensvorteils“ anbieten. Auch verbietet der § 219a StGB nicht, generell Ärzten, Krankenhäusern oder Einrichtungen, Informationen zu Abtreibungen öffentlich bereitzustellen, sondern nur denen, die solche auch selbst anbieten.

Im übrigen: Was Ärzte, die selbst Abtreibungen anbieten, mitunter unter „sachlicher Information“ verstehen, kann man in dem Faltblatt nachlesen, das die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel auf ihrer Webseite potenziellen Patientinnen zum Download anbot und mit dem sie über den Ablauf der von ihr offerierten vorgeburtlichen Kindstötungen „aufklärte“. Dort hieß es: „Mit einem Plastikröhrchen wird anschließend das Schwangerschaftsgewebe abgesaugt“ oder auch: „Sie bekommen mehrere Tabletten eines Medikamentes (Prostaglandin), das die Ausstoßung des Schwangerschaftsgewebes fördert.“

Derart krasse Desinformationen zu verbreiten, dürfte der BZgA eher schwerfallen, obgleich auch dort nicht alles ideologiefrei ist, was als Information angeboten wird.

V. Akt

Wer die über ein Jahr andauernde Debatte über die Abschaffung beziehungsweise den Erhalt des Werbeverbots für Abtreibungen von Anfang bis Ende verfolgt hat, fühlt sich, als sei er ihren Protagonisten durchs wilde Absurdistan nachgereist. Doch die traurigste Erkenntnis ist eine ganze andere: Nämlich die, wer sich unterwegs alles in der Rolle des Steigbügelhalters für Hänel & Co. gefiel.

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