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Deutschland wird muslimischer

Anteil der Muslime soll sich bis 2050 verdoppeln – Demographie-Experte Meinhard Miegel warnt vor Alarmismus. Von Sebastian Sasse
Muslima vor dem Brandenburger Tor
Foto: dpa | Der muslimische Bevölkerungsanteil nimmt zu: Was bedeutet das für Deutschland?

Der Anteil der Muslime an der deutschen Bevölkerung wird sich bis zum Jahr 2050 gut verdoppeln. Er würde dann bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von elf Prozent liegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Pew-Forschungsinstituts, das in Washington seinen Sitz hat. Als Grundlage für diese Prognose haben die Wissenschaftler die bisherige Entwicklung von Einwanderung und Arbeitsmigration in den zurückliegenden Jahrzehnten nach Deutschland herangezogen.

Sie haben neben dieser Prognose auch noch zwei weitere Szenarien entworfen: Sollte die Zuwanderung wie in den Jahren der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von 2014 bis 2016 verlaufen, würde der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung bei 20 Prozent liegen. Die andere Projektion: Fände eine Null-Migration ab jetzt statt, läge der Anteil der Muslime zur Jahrhundertmitte bei neun Prozent. Diese beiden letzten Szenarien sind allerdings unrealistisch und dienten den Forschern vor allem dazu, mögliche Alternativen aufzuzeigen.

Die entscheidenden Faktoren, auf die die Forscher neben einer weiteren Zuwanderung die Bevölkerungsentwicklung zurückführen, sind einerseits das geringe Durchschnittsalter der Muslime, andererseits eine höhere Geburtenrate. Das Durchschnittsalter der in Deutschland lebenden Muslime liegt bei 31 Jahren, Nicht-Muslime sind im Schnitt 47 Jahre alt. Die Geburtsrate ist bei den muslimischen Frauen in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht sehr viel höher als bei nicht-muslimischen. Muslimische Frauen haben im Schnitt 1,9 Kinder, nicht-muslimische 1,4.

Diese Entwicklung lässt sich also auf demographische Faktoren zurückführen. Wie sieht aber nun die geeignete Reaktion der Politik aus? Für Meinhard Miegel ist das die entscheidende Frage, die sich angesichts dieser Studienergebnisse ergibt. Miegel, der schon seit den 70er Jahren auf die gesellschaftlichen Folgen demographischer Entwicklungen hingewiesen hat und lange Jahre das zusammen mit Kurt Biedenkopf gegründete Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft geleitet hat, warnt vor Alarmismus. Es gelte sich der Situation zu stellen und diese nicht sofort als Problem abzuqualifizieren. Miegel plädiert für eine nüchterne Analyse: „Es ist eine Tatsache, dass die Zuwanderung auch künftig stattfinden wird. Das hängt mit dem Ungleichgewicht an Gerechtigkeit zusammen, das global herrscht. Wir leben in einer transparenten Welt“, so der Sozialwissenschaftler und Publizist gegenüber dieser Zeitung. Deswegen könne man dauerhaft nicht verhindern, dass Menschen nach Europa aufbrechen würden. Freilich, und das streicht Miegel hervor, müsse nun diese Situation politisch gestaltet werden. Und hier warnt er vor einer zu emotionalen Sichtweise.

Sowohl die Rede von der „Festung Europa“ wie auch eine idealisierte Willkommenskultur-Euphorie seien letztlich verfehlte Reaktionen. Stattdessen müsse die Politik den Zuwanderungsstrom ordnen und organisieren. Sie müsse dafür sorgen, dass diejenigen, die kommen, Zugang zur Bildung bekommen und effektiv integriert werden. Um diesen Prozess anzugehen, müsse zuerst akzeptiert werden, dass es Zuwanderung geben wird. Die Frage sei hier also nicht Ja oder Nein, sondern es gehe um die Qualität. Gleichzeitig lehnt Miegel aber auch die Position ab, die davon ausgeht, dass allein durch Zuwanderung etwa der Fachkräftemangel behoben werden könnte. „Ich bin gegen so einen ,Import von Humankapital‘“, betont er. Denn man dürfe nicht die Situation der Herkunftsländer aus dem Blick lassen. „Es kann nicht sein, dass wir die Eliten aus diesen Ländern abziehen. Das ist im Moment aber die einzige Form der Einwanderung, die bei uns diskutiert wird und einigermaßen tolerabel erscheint.“ Stattdessen rät er dazu, bei der Zuwanderung darauf zu achten, dass nicht nur Hochqualifizierte kommen würden. „Es müssen Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sein.“

Schließlich weist Meinhard Miegel darauf hin, dass Angst kein guter Ratgeber in der Politik sei. Auch das Pew-Forschungsinstitut hatte bereits in einer früheren Studie darauf aufmerksam gemacht, dass im Gegensatz zu Ungarn, Polen, Griechenland oder Italien die meisten Deutschen durch die Zuwanderung von muslimischen Zuwanderern nicht „ernsthaft besorgt“ seien. Gleichwohl betont Miegel: „Die Menschen müssen verstehen, dass wir hier auf einem Stern leben. Unser Wohlstand ist weltweit einmalig.“ Es müsse eine Bereitschaft zur globalen Verantwortung bestehen und zum Teilen. „Die Politik hat die Aufgabe, deutlich zu machen, dass die Zuwanderer niemandem etwas wegnehmen.“

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