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Christ zu sein ist lebensgefährlich

Die gottgleiche Verehrung der Kim-Dynastie lässt keinerlei Spielraum für andere Religionen zu – Die Verfolgung hat unter Kim Jong Un zugenommen. Von Carl-Heinz Pierk
Nordkorea
Foto: dpa | Nordkoreanerinnen wurden am Montag in Pjöngjang versammelt, um ihre Treue zum Regime zu demonstrieren. Im Hintergrund sind die Porträts von Staatsgründer Kim Il Sung und seinem Sohn Kim Jong Il zu sehen.

Im Konflikt zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten von Amerika wird der Ton zunehmend schärfer. Auch wenn das verbale Säbelrasseln immer lauter wird: Aus dem Blickfeld gerät, dass es sich bei Nordkorea um einen der repressivsten Staaten der Erde handelt. Führerkult und Diktatur beherrschen das Leben von 24 Millionen Menschen in dem am meisten abgeschotteten Land der Welt. Die Bevölkerung ist im eigenen Land eingesperrt. Alle grundlegenden Menschenrechte werden mit Füßen getreten.

Während Millionen chronisch unterernährt sind, leistet sich das kleine Land mit einem 1,2-Millionen-Heer eine der größten Armeen weltweit. Mag der Informationsfluss aus Nordkorea auch spärlich sein, einzelne Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen, gelegentlichen Besuchern des Landes oder von in Südkorea lebenden nordkoreanischen Flüchtlingen fügen sich doch zu einem aufschlussreichen Bild zusammen. Ein Bild, das Beklemmung auslöst.

Unvorstellbar ist der bizarre Personenkult um die Kim-Familie. Ihre gottgleiche Verehrung lässt keinerlei Spielraum für eine andere Religion zu. Der „Große Führer“ Kim Il Sung (1912–1994), der das Land von der japanischen Fremdherrschaft befreit und nach dem Koreakrieg (1950 bis 1953) in einen sozialistischen Einheitsstaat umgewandelt hat, wird offiziell als „ewiger Präsident“ verehrt. Zusammen mit seinem Sohn und Nachfolger, dem „Geliebten Führer“ Kim Jong Il (1942–2011), ist er im Land allgegenwärtig.

Jeder Nordkoreaner, so berichtet Alexander Kraljic, Generalsekretär der „Arbeitsgemeinschaft der Gemeinden aus Afrika und Asien“ (ARGE AAG) in Wien, trägt ein Abzeichen seiner Führer; in den Häusern haben ihre Bilder einen Ehrenplatz. Sogar zwei Blumen sind nach ihnen benannt: die rosa Orchidee „Kimilsungie“ und die rote „Kimjongilie“ aus der Familie der Begonien. An allen bedeutsamen Orten, hat Kraljic in Nordkorea beobachtet, finden sich Gedenktafeln und Statuen, die größten am Mansu-Hügel in Pjöngjang, wo man sich auch als Ausländer verneigen und Blumen niederlegen muss.

Es sind besondere Erlebnisse: „Den tiefsten Eindruck hinterlässt jedoch ein Besuch des Mausoleums der beiden Führer, einem Palast in der Größe von Schloss Schönbrunn. Auf 500 Meter langen Rollsteigen fährt man, von Trauermusik begleitet, an Fotos der beiden Führer vorüber, bis man die Grabhalle Kim Il Sungs erreicht. Bevor man diese betreten darf, wird man mit speziellen Düsen gereinigt, um keinen Staub auf der Kleidung mitzutragen. In einem rötlich beleuchteten Raum, umgeben von Ehrenwachen, ruht in einem gläsernen Sarkophag der Leichnam des Staatsgründers, zu dessen Füßen und an dessen Seiten man sich ehrfürchtig verneigen muss. Das gleiche Ritual vollzieht sich in der Grabhalle Kim Jong Ils. Anschließend erklärt eine Dolmetscherin mit tränenerstickter Stimme, dass das Licht seiner Führer dem koreanischen Volk ewig leuchten und den Weg in eine glanzvolle Zukunft weisen wird.“

Das Regime duldet keine anderen Götter neben sich

Das politische System des Landes gründet sich auf Juche („Dschutsche“ ausgesprochen). Es handelt sich um die von Kim Il Sung entwickelte Staatsdoktrin, die den Marxismus-Leninismus durch eine auf Nordkorea zugeschnitte Form des Sozialismus ersetzt. Wörtlich bedeutet es „Autarkie“ und bezeichnet die politische, militärische und wirtschaftliche Eigenständigkeit des Landes. Jeder Einfluss von außen wird als Kolonialisierungsversuch zurückgewiesen. Die Juche-Ideologie wird dabei vom Regime gezielt als Ersatzreligion propagiert.

Auf Bildern der beiden Führer findet sich im Hintergrund oft der heilige Berg Paektu, der in der Mythologie als Sitz der Götter gilt. Von dort befehligte Kim Il Sung den Abwehrkampf gegen die Japaner, dort soll auch in einer Berghütte Kim Jong Il geboren worden sein. Alexander Kraljic resümiert: „Darstellungen von Vater, Mutter und Sohn erinnern an die heilige Familie und werden bewusst als nordkoreanische Trinität stilisiert. Auch sonst werden biblische Motive adaptiert, etwa wenn der jugendliche Kim Il Sung im Gespräch mit konfuzianischen Weisen die Grundzüge der Juche-Ideologie entwickelt. Juche-Säulen stehen in jedem Dorf und sind wie die Kim-Statuen Orte kollektiver Verehrung. So gesehen erscheint es verständlich, dass das Regime keine anderen Götter neben sich duldet.“

Christ-Sein ist in diesem kommunistisch regierten Land lebensgefährlich. Schon unter der strengen Herrschaft des Diktators Kim Jong Il verschwanden weit mehr als 150 000 Christen spurlos. Ado Greve vom Hilfswerk „Open Doors“ schätzt, dass es etwa 50 000 bis 70 000 Christen in Arbeitslagern gibt. Die Verfolgung habe unter Kim Jong Un zugenommen. Die Grenzen seien streng bewacht. Es gebe mehr Stacheldrahtzäune und Elektrozäune als vor einigen Jahren. Spezielle Abteilungen der Polizei würden geschult, um Christen als solche zu identifizieren und auch, um sich unbemerkt Untergrundgemeinden anschließen zu können, um sie anschließend ausheben zu können.

Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), ergänzt: „In Nordkorea sind sechs außerordentlich große Hauptlager bekannt, daneben etwa 200 kleinere Nebenlager und andere Strafeinrichtungen. Die exakte Zahl der Häftlinge ist unbekannt, die Schätzungen der Vereinten Nationen und anderer Institutionen schwanken zwischen 60 000 und 250 000 Menschen, die aus nichtigen Gründen – oder nach internationalen Rechtsmaßstäben ohne Grund – ein Sklavendasein fristen. Manche sind in Haft, weil Vorfahren von ihnen aus Südkorea stammten, andere, weil Familienangehörige nach China geflohen sind.“ Es sind vor allem Christen.

Spannend, zugleich auch tragisch, ist die Geschichte des Christentums in Nordkorea. Im 18. Jahrhundert gelangte das Christentum über China nach Korea, konnte dort aber aufgrund staatlicher Repressionen nur im Untergrund praktiziert werden, informiert Alexander Kraljic. Als im 19. Jahrhundert Europäer und Amerikaner die wirtschaftliche Öffnung des Landes erzwangen, kamen auch die ersten katholischen und evangelischen Missionare nach Korea. In der Folge breitete sich das Christentum rasch aus und durchdrang die bisher konfuzianisch und buddhistisch geprägte Gesellschaft.

In Südkorea gehören heute etwa 30 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche an. Im Norden hingegen setzte mit der Machtübernahme Kim Il Sungs und besonders im Zuge des Koreakrieges eine beispiellose Verfolgungswelle ein. Viele Christen flohen in den Süden oder wurden als angebliche US-Kollaborateure in Internierungslager gesperrt. Sämtliche Kirchen wurden zerstört, Priester und Pastoren hingerichtet, ausländische Geistliche des Landes verwiesen. Ähnliche Maßnahmen trafen auch die anderen Religionsgemeinschaften.

Die Demokratische Volksrepublik Korea, so die offizielle Bezeichnung, definiert sich als atheistischer Staat nach den Prinzipien der Juche-Ideologie, gewährt allerdings nach der Verfassung von 1992 Glaubens- und Kultfreiheit, sofern diese nicht die staatliche oder soziale Ordnung untergraben (Artikel 68). Ähnlich wie in China wurden von der kommunistischen Partei kontrollierte Religionsvereinigungen für Christen, Buddhisten und andere Gruppen gegründet, die für deren religiöse Belange zuständig sind und nach staatlichen Vorgaben Gottesdienste und Gemeindeversammlungen organisieren. Zwischen 1988 und 2006 wurden dafür in Pjöngjang vier Kirchen errichtet – eine katholische, eine orthodoxe und zwei evangelische –, außerdem wurden einige wenige buddhistische Tempel für kultische Feiern geöffnet, um im Ausland den Anschein von Religionsfreiheit zu erwecken.

Martin Lessenthin von der IGFM spricht von „Showkirchen“ und einer „Theatertruppe“, deren Aufgabe nichts anderes als die Huldigung des Diktators sei. Es handele sich um Staatsangestellte, die dort so etwas wie Gottesdienst aufführen würden. Die einheimischen Gottesdienstbesucher seien registriert und würden mit Bussen zur Kirche hin- und zurückgefahren. Gesangbücher und geistliche Literatur würden streng geprüft und an die Staatsideologie angepasst, hat das internationale christliche Hilfswerk „Christian Solidarity International“ (CSI) erfahren.

Nach nordkoreanischen Angaben gab es 2002 etwa 12 000 Protestanten, 800 Katholiken und 10 000 Buddhisten, während westliche Beobachter von weitaus höheren Zahlen an Gläubigen im Untergrund ausgehen, berichtet Alexander Kraljic. Die offiziellen Gemeinden seien nach Berichten von Überläufern von Geheimdienstmitarbeitern unterwandert. Alle anderen Arten von Versammlungen gelten als illegal und werden als konspirative Akte verfolgt. Dies gilt für Gebetstreffen in Privathäusern wie für familiäre Feiern zu Weihnachten und Ostern. Oft genügt der Besitz einer Bibel, um für mehrere Jahre in Haft zu kommen.

Ausländer sind mit den Codes Koreas nicht vertraut

Dennoch, so meint der Nordkorea-Kenner Kraljic, gebe es auch vorsichtige positive Signale. Der ehemalige Abtprimas Notker Wolf habe berichtet, dass 2005 in Rason ein von den Benediktinern finanziertes Hospital eröffnet worden sei und er selbst in der katholischen Kirche von Pjöngjang mit westlichen Botschaftsangehörigen und Einheimischen eine Messe habe feiern können. Während katholische Besucher, wenn sie die Regeln befolgen, im Allgemeinen keine Probleme zu befürchten haben, würden freikirchliche Gruppen, insbesondere aus den USA, mit großem Argwohn betrachtet: „Manchmal werden Personen festgenommen, weil sie angeblich Bibeln oder anderes als ,staatsfeindlich‘ eingestuftes religiöses Material verteilen. Das Misstrauen des Regimes besteht allerdings nicht ganz zu Unrecht, da einige evangelikale Websites offen zum Widerstand gegen den kommunistischen ,Antichrist‘ bis hin zum Martyrium aufrufen und damit den Christen im Land sicherlich keinen Dienst erweisen.“

Gibt es Kompromisse für Christen? Ado Greve von „Open Doors“ skizziert ein Drehbuch: Wenn sich zwei Christen in Nordkorea zu einem „Gottesdienst“ treffen, kann das so aussehen: Es ist kalt. Dennoch aber setzt sich ein Mann auf eine Parkbank. Er schaut sich – oberflächlich betrachtet – die Landschaft an. Ein anderer Mann kommt anscheinend zufällig vorbei und setzt sich zu ihm. Sie schweigen die meiste Zeit, wechseln nur ab und zu ein paar Worte. So tauschen sie zwischendurch Bibelverse und Gebetsanliegen und Informationen aus und stärken sich gegenseitig im Glauben. Dann gehen sie wieder ihrer Wege.

Alexander Kraljic meint, Nord- und Südkorea hätten seit Ende des Koreakrieges gelernt, mit der Teilung und der subjektiv empfundenen Bedrohung durch den Nachbarn umzugehen. Beide Seiten bemühen sich offiziell um eine Wiedervereinigung, von deren Verwirklichung sie allerdings sehr unterschiedliche Vorstellungen haben. Südkorea ist heute eine „westliche“ Demokratie mit hohem Lebensstandard und einem funktionierenden Sozialsystem. Bis Ende der 1980er Jahre wurde das Land allerdings von Militärregierungen beherrscht, unter denen die demokratischen Grundrechte missachtet wurden und die Mehrheit der Bevölkerung vom wirtschaftlichen Aufschwung ausgeschlossen war, sodass Nordkorea mit seinen Kollektivierungs- und Sozialprogrammen in den Augen mancher Kommentatoren bisweilen sogar als das „bessere Korea“ galt.

Spätestens seit der nuklearen Aufrüstung des Nordens unter Kim Jong Il und Kim Jong Un und den fortwährenden Menschenrechtsverletzungen hat das nordkoreanische Regime die internationale Gemeinschaft gegen sich aufgebracht. Die martialischen Drohgebärden sind nicht nur in den Augen der Nachbarstaaten höchst beunruhigend. Wieviel davon stimmt und was Propaganda ist, lässt sich schwer einschätzen. Gefährlich wird die Situation vor allem dadurch, dass auswärtige „Player“, die mit den kulturellen „Codes“ der koreanischen Rhetorik nicht vertraut sind, Aussagen falsch interpretieren und sich zu folgenreichen Handlungen hinreißen lassen könnten. Wie immer die aktuelle Krise ausgeht, Hauptprofiteur wird wohl vor allem China sein, das sich bereits jetzt als Militär- und Wirtschaftsmacht sowie als diplomatischer Vermittler in Ostasien positioniert hat. China leistet inzwischen den beschlossenen UN-Sanktionen Folge und stoppt die Einfuhr von Eisen und Meeresfrüchten aus Nordkorea. Damit droht Pjöngjang der wichtigste Handelspartner wegzubrechen.

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