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„Bürgerliche in der AfD werden zerrieben“

Anette Schultner ist aus der AfD ausgetreten. Die 44-jährige Protestantin war bisher Vorsitzende der Gruppe „Christen in der AfD“. Im Interview erklärt sie, warum sie eine Mitgliedschaft mit ihrem christlichen Selbstverständnis nicht mehr vereinbaren konnte. Von Sebastian Sasse
Anette Schultner
Foto: privat | Anette Schultner gehörte der CDU an, ehe sie in die AfD eintrat.

Frau Schultner, warum sind Sie aus der AfD ausgetreten?

Meinem Austritt sind eine lange Reihe von Erlebnissen vorausgegangen, die sicher nicht einzeln, aber im Zusammenwirken zu meiner Entscheidung führten. Ein Beispiel: Der Vorstand hatte erfahren, dass ein Vorstandsmitglied der „Christen in der AfD“ vor Jahren der NPD mal Geld gespendet hatte. Wäre es nach mir gegangen, wäre auf dem ChrAfD-Eintrittsformular künftig ein Feld hinzugefügt worden, in dem jeder Eintrittswillige gefragt wird, ob er in der Vergangenheit in keiner verfassungsfeindlichen Organisation Mitglied war und eine solche auch nicht unterstützt hat. In den mit großem Abstand weit meisten Fällen sicher unnötig, hätte das doch im Einzelfall wichtige Hinweise geben und bei falschem Ausfüllen auch zu einem vereinfachten Ausschluss des Mitglieds führen können. Doch für diesen Vorschlag habe ich leider keine Mehrheit bekommen. Und dann gab es in der AfD immer wieder Situationen, die zeigten: Die AfD wird gar nicht mal an den sich immer noch eindeutig in einer Minderheit befindenden Radikalen in ihren Reihen scheitern, sondern an den bürgerlich-konservativen bis -liberalen Kräften, die viel zu oft nicht bereit sind, mutig, geradlinig und wehrhaft ihre Position zu verteidigen und stattdessen dem rechten Flügel viel zu viele Zugeständnisse machen. Sich manchmal eine Zeitlang aufregen, aber am Ende fast alles entschuldigen, reicht nicht. Wie absolut kontraproduktiv für die Ausrichtung der AfD als bürgerliche Kraft die gegenseitigen Unterstützer-Bündnisse aus Teilen der Parteispitze mit dem Höcke-Flügel sind, dürfte selbsterklärend sein.

Wo liegen die Unterschiede zwischen Ihrer Position und dem aus Ihrer Sicht radikalen Flügel um Björn Höcke?

Die Unterschiede zu Teilen des rechten Flügel zeigen sich zum Beispiel in der Haltung zu Israel. Aber ebenso in Positionen zur Partnerschaft mit den USA und der NATO. Ich stehe auch der völlig undifferenzierten Putin-Begeisterung von vielen kritisch gegenüber. Wirklich haarsträubend habe ich aber die Rede von Björn Höcke empfunden, als er sich zu dem vermeintlichen Reproduktionsverhalten der meisten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent geäußert hat mit ihrer Beschreibung als r-Strategen – als würden sie sich wie Mäuse oder Grasfrösche verhalten. Als Christin muss ich mich diesem Menschenbild, das dort deutlich geworden ist, entgegenstellen.

Die Rede war im Dezember 2015. Sie sind aber erst jetzt ausgetreten. Warum so spät?

Mein unbedingtes Ziel war ja immer, dass es in Deutschland wieder eine bundesweite bürgerlich-konservative Partei mit auch klar christlichem Stempel geben muss. So lange ich noch die Chance für die AfD sah, dass sie in etwa das werden könnte, hieß es eben auch bleiben und darum weiter kämpfen. Gegen Ende August dieses Jahres war für mich ein Punkt erreicht, ich hatte dazu schon etwas in Ihrer ersten Frage ausgeführt, wo ich aber einfach erkannte, dass die Partei in der Mehrzahl der Landesverbände mittlerweile wirklich am Nasenring des Höcke-Flügels hing. Ich habe dann bewusst die Bundestagswahl und die niedersächsische Landtagswahl mit meinem Austritt abgewartet, obwohl ich keine Kandidatin war. Nicht wirklich überraschend wurde ich beim Austritt jetzt nach den Wahlen schon von manchen mit absurden Verschwörungstheorien konfrontiert. Wäre ich kurz vor der Wahl ausgetreten, wäre das alles aber noch ungleich verrückter gewesen, da bin ich sicher. Man hätte dann meine Austrittsmotivation noch viel leichter gezielt falsch verorten können und entsprechende Gerüchte streuen, statt sich mit meinen Argumenten zu beschäftigen.

Sie haben sich darum bemüht, in den Kirchen um Verständnis dafür zu werben, dass konservative Christen in der AfD eine politische Heimat finden. So haben Sie sich beim Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg der Diskussion gestellt. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Die Kirchen würden klüger handeln, wenn sie die AfD und ihre Mitglieder etwas differenzierter betrachten würden. Das Gleiche gilt auch für die Medien. Im Moment führt die Pauschal-Kritik dazu, dass die gemäßigten Kräfte fast schon in eine Solidarität mit den Radikalen gezwungen werden. Manche haben durch Stigmatisierung Probleme im sozialen Umfeld oder im Beruf bekommen. Dann gibt es teilweise sehr einseitige Berichterstattung in den Medien, wie etwa kürzlich eine Fernsehreportage im Südwestrundfunk, wo einige wesentliche Aussagen meines seinerzeitigen Stellvertreters Herrn Kuhs und von mir einfach gestrichen worden sind, weil sie offensichtlich nicht in das Bild von der ChrAfD passten, das man sich vorgenommen hatte zu vermitteln. Erfahrungen solcher Art haben manche Gemäßigten verändert. Die Situation ist so: Die Bürgerlich-Konservativen werden zwischen den Rechten in der Partei und den undifferenzierten Kritikern von außen regelrecht zerrieben, wodurch der rechte Partei-Flügel gestärkt wird. Manche Gemäßigte ziehen sich auch in die innere Emigration zurück.

Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft?

Für mich stellte sich bei der Bundestagswahl das Problem, dass auf dem Zettel keine Partei stand, die ich ernsthaft hätte unterstützen können. Das ist eine katastrophale Situation für eine Demokratie, wenn es keine Partei für konservative Wähler gibt. Deswegen werde ich mich weiter für so eine Vertretung stark machen. Ich habe mich für ein Engagement bei der Neugründung Petrys, der „Blauen Partei“ entschieden. Das bürgerlich-konservative Konzept gefällt mir. Und sie ist Polit-Profi. Das kann etwas ganz Spannendes für Konservative werden.

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