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Phrasen statt Substanz

Die missglückte Grußbotschaft der SPD Hessen zu Jom Kippur ist symptomatisch.
Nach Zusammenstößen auf dem Tempelberg
Foto: Ilia Yefimovich (dpa) | Blick auf den Felsendom auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt. Mit einem solchen Bild grüßte die hessische SPD zu Jom Kippur.

Eigentlich eine Petitesse aus der Provinz: Die SPD Hessen sendet eine Grußbotschaft zu Jom Kippur, gerichtet an "alle Jüdinnen und Juden" und illustriert das Ganze ausgerechnet mit einem Bild vom Felsendom. Laut schallte das Gelächter durch die Sozialen Medien, der Pressesprecher der Sozialdemokraten entschuldigte sich. Fehler können jedem einmal passieren. Ist damit alles vergessen?

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Ein Trend

Noch nicht ganz, denn der Vorfall ist symptomatisch für einen Trend in der Politik, der auch das politische Berlin längst erfasst hat: die Grüßeritis. Ständig versenden Politiker oder eben auch Parteien Grüße, zum Beginn des Ramadan, aber auch zum Ende des Fastenmonats der Muslime und jetzt eben auch zu Jom Kippur. Die Grußbotschaft via Social Media ist offenbar zur Königsdidziplin des interreligiösen Dialogs geworden.

Gewiss, wer grüßt, der will freundlich sein. Und das Bemühen um einen höflichen Umgang mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften ist sicherlich positiv. Aber wenn ich schon solche Botschaften verschicke, dann muss ich wenigstens ansatzweise Ahnung davon haben, was die Religion, an die ich mich wende, ausmacht und was da eigentlich gefeiert wird. Und hier - siehe Beispiel Felsendom-Bild - sind doch erhebliche Zweifel angebracht. Religionswissen: mangelhaft.

 

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Ärgerlich naiv

Und damit offenbart sich eine ärgerliche Naivität, die davon auszugehen scheint, interreligiöser Dialog wie auch der nicht weniger wichtige Austausch zwischen Politik und Religionsgemeinschaften könnte sich in Phrasen erschöpfen, die zwar freundlich klingen, aber eigentlich Desinteresse signalisieren. Es ist eine oberflächliche Freundlichkeit, die sich zwar gut in die bei Twitter vorgegebene Zeichenzahl pressen, aber jede tiefere Aussagekraft vermissen lässt.

Wäre es da nicht besser, wenn die Politik ganz darauf verzichten würde? Gerade jetzt, angesichts eines Krisenwinters, wäre der richtige Zeitpunkt dafür. Die Oberflächlichkeit der Politik, so freundlich sie auch daher kommen mag, erzielt nämlich genau das Gegenteil von dem, was sich die PR-Strategen erhoffen: Misstrauen. In der Krise gieren die Mensch aber nach Substanz.

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Sebastian Sasse SPD

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