Kirkuk (DT) Der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi hat seit Juni dieses Jahres auf die Autonomiebestrebungen von Kurdenpräsident Masud Barsani abwartend reagiert. Am Montag dieser Woche handelte er. Irakische Truppen in erheblicher Zahl marschierten in die Provinz Kirkuk ein und nahmen an einem Tag die Hauptstadt gleichen Namens, Millionen-Metropole und Zentrum der nordirakischen Erdölindustrie, nach kurzen Kämpfen ein. Die kurdischen Peschmerga verzichteten schnell auf weiteren Widerstand und zogen sich zurück. Am Dienstag befanden sich fünf wichtige Erdölfelder bei Kirkuk wieder in den Händen der Zentralregierung.
Am gleichen Tag gelang es schiitischen Milizen, mit der irakischen Regierung militärisch eng verbündet, auch die jesidische Stadt Sindschar im Nordwestirak kampflos zu besetzen. In zwei Tagen hatte Bagdad die sogenannten umstrittenen Gebiete wieder seiner Herrschaft unterstellt. Umstritten zwischen der Zentralregierung und der Kurdenverwaltung waren sie deshalb, weil sie im Juni 2014 beim Vormarsch des „Islamischen Staates“ von irakischen Streitkräften fluchtartig verlassen und von den kurdischen Peschmerga besetzt beziehungsweise von der Terrormiliz des sogenannten „Islamischen Staates“ zurückerobert wurden. Sie gehören aber nicht zu den drei Provinzen im Nordostirak, in denen die Kurden Autonomie genießen. Es war kein Geheimnis, dass Kurdenpräsident Barsani diese umstrittenen Gebiete gerne in einen selbstständigen Staat Kurdistan eingegliedert hätte. Dieser Traum ist nun vorbei, die ausbleibenden Erdöl-Einnahmen strangulieren zudem den ohnehin sehr klammen kurdischen Haushalt und die schwache Wirtschaft noch weiter.
Bei näherer Betrachtung ist das militärische und politische Desaster der Kurdenführung durchaus nachvollziehbar, weil Folge der innerkurdischen Spaltung. Nur der Hausclan von Kurdenführer Barsani wünschte unbedingt eine kurdische Staatlichkeit, nicht aber der andere Großclan, die Talabanis, die im Süden des Kurdengebiets das Sagen haben und mit den Barsanis verfeindet sind. Zwei wichtige Bevölkerungsgruppen von Kirkuk, die Turkmenen und die Araber, wollen im Irak verbleiben und boykottierten deshalb das Kurdenreferendum.
Für die Christen bleibt dies nicht folgenlos. Nach drei Jahren provisorischer Existenz als Flüchtlinge im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet wagen immer mehr Menschen die Rückkehr in ihre angestammten Dörfer und Städte in der Ninive-Ebene. Sie fürchten jetzt neue Gewalt durch den Konflikt zwischen Kurdistan und Bagdad. Zudem haben manche christlich-assyrischen Politiker und einige Kirchenführer für eine christliche Autonomiezone in einem vergrößerten Kurdistan Sympathien gezeigt, also auf die falsche Karte gesetzt.
Der chaldäisch-katholische Patriarch Raphael I. Sako, Kritiker des kurdischen Unabhängigkeitsdrängens und unermüdlicher Verteidiger des irakischen Zentralstaats, will die irakische Regierung jetzt zu einer versöhnlichen Politik ermuntern. In seiner öffentlichen Erklärung vom Mittwoch schreibt er, die jetzige kritische Phase im Land „erfordert eine umfassende und nationale Zusammenarbeit, um über die Krise hinauszugehen und vorwärts zu gehen zur Lösung der Krise. Sie erfordert eine nationale und wirkliche Partnerschaft und den Aufbau eines neuen Irak“. Als „ursprüngliche Teile des Irak“ – er meint damit wohl die Christen – „sind sie dem gemeinsamen Leben verpflichtet und rufen zur Überwindung der zerbrechlichen Lage auf, indem sie den Geist der Bürgergemeinschaft und des Rechts annehmen, den Geist der Milde und der Vergebung, nicht den Geist der Rache“. Zu einer gerechten Lösung im Lande könne es nur durch Verhandlungen und eine Veränderung des Denkens kommen.
Jenseits des Konflikts zwischen Kurdistan und Bagdad müssen die Christen und ihre politischen Vertreter neu überlegen, wie sie sich ihre eigene Zukunft im Land und speziell im Nordirak vorstellen.