Leitartikel: Der Balken im eigenen Auge

Viele, die der CSU Populismus vorwerfen, argumentieren selbst aggressiv und unredlich. Die Debatte benötigt eine Versachlichung. Von Sebastian Sasse
Sebastian Sasse

18 Prozent – so viele Wählerstimmen würde die CSU nach einer aktuellen Umfrage der Bild-Zeitung bekommen, wenn sie bundesweit antreten würde. Eine interessante Zahl, vor allem im Hinblick auf ein weiteres Ergebnis: Die AfD erhält nämlich bei der gleichen Umfrage elf Prozent – fünf Prozent weniger als in den bisherigen Umfragen. Das Vorurteil, das von den Gegnern des Seehofer-Kurses verbreitet wird, die harte CSU-Linie nutze vor allem der AfD, weil die Wähler lieber das Original wählen würden, stimmt also nicht. Vor allem eben auch deswegen, weil es keine Deckungsgleichheit zwischen der CSU und der AfD gibt. Die CSU betreibt keinen Populismus, sie reagiert aber auf die Ängste und Sorgen der Bürger. Die Einsicht von Markus Söder ist richtig: Es wäre falsch, die in der Sache ja nur allzu oft berechtigten Zweifel der Bevölkerung an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu ignorieren und dieses Thema der AfD zu überlassen. Vielmehr muss der Anspruch einer Volkspartei sein, eigene Akzente zu setzen. Das ist auch die Linie von Sebastian Kurz, mit dem gestern Söder zusammengetroffen ist. Kurz – und nicht etwa Trump, wie einige Söder-Kritiker behaupten – ist das Leitbild für den bayerischen Ministerpräsidenten. Und nicht nur für ihn: Für viele Christdemokraten, auch außerhalb von Bayern, ist der österreichische Regierungschef so etwas wie der „Traumkanzler“. Kurz zeigt nämlich, wie man die Sorgen der Bürger am besten bekämpft: indem man Lösungen liefert. Gleichzeitig beweist er aber auch, dass es dazu nicht notwendig ist, mit Grundprinzipien christdemokratischer Politik zu brechen: Trotz Koalitionspartner FPÖ, trotz berechtigter Kritik an EU-Problemen – der Kurs von Kurz ist klar pro-europäisch. Nicht zuletzt auch deswegen, weil er im Umgang mit den Viségrad-Staaten mehr Sensibilität beweist als die deutsche Kanzlerin. Das Beispiel Österreich zeigt: Eine klare Linie in der Flüchtlingspolitik, die sich an Rechtsstaatlichkeit orientiert und auf die Sorgen der Bürger reagiert, führt nicht ins populistische Abseits.

Überhaupt, der Populismus: In der vergangenen Woche haben sich einige Vertreter der Kirche dazu geäußert. Essens Bischof Franz-Josef Overbeck (siehe Seite 5) wie auch der Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, forderten mehr Dialogbereitschaft und mahnten, Aggressivität im Tonfall zu vermeiden. Das war, wenn es auch nicht deutlich ausgesprochen wurde, gegen die CSU gerichtet. Und wenn es um Brachialrhetorik geht, haben sie ja recht – nur, die findet sich auch bei den CSU-Kritikern. Der Versachlichung dieser für unsere politische Kultur so entscheidenden Debatte tun verbale Kraftmeiereien nicht gut. Die wäre aber angemessen. Längst müsste offen darüber diskutiert werden, ob eine christliche Haltung sich allein in einer bedingungslosen „Willkommenskultur“ ausdrücken kann. Und ob es eigentlich angemessen ist, wenn Politiker, die verantwortungsethisch argumentieren, die das Vertrauen in die Funktion der Institutionen unseres Rechtsstaates stärken wollen, zumindest latent dem Verdacht ausgesetzt werden, dem Rechtspopulismus Vorschub zu leisten. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein Eigentor, wenn der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer der CSU unterstellt, sie sei längst dabei, eine rechtspopulistische Partei zu werden. Sie nimmt den Populisten die Themen weg. Hätte man diesen Ansatz schon vor drei Jahren beherzigt, säße die AfD heute nicht im Parlament.

 
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