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Kommentar um „5 vor 12“: Putin hat militärisch den Fuß in der Türe

Der Waffenstillstand zwischen Armenien und Aserbaidschan stärkt die regionalen Autokraten.
Konflikt um Berg-Karabach
Foto: Aydin Mammedov (AP) | Aserbaidschaner feiern und schwenken Nationalflaggen im Zentrum von Ganja, der zweitgrößten Stadt Aserbaidschans.

Zwischen Armenien und Aserbaidschan schweigen nun die Waffen. Das Kämpfen und Töten hat vorerst ein Ende. Das ist die gute Nachricht, allerdings die einzige gute. Denn die am Montagabend unterzeichnete Vereinbarung verschiebt Grenzen und Gewichte in einer überaus fragilen Region. Und zwar zu Gunsten der Diktatur und regionaler Autokraten – zu Lasten der Demokratie und multilateraler Lösungen.

Die säkulare Diktatur ist gestärkt

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Geschwächt geht das christlich geprägte, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immerhin bemühte Armenien aus dem seit September währenden Krieg hervor, gestärkt die (trotz schiitischer Bevölkerungsmehrheit) säkulare Diktatur Aserbaidschan. Kein Wunder, dass die gesellschaftlichen und innenpolitischen Spannungen in Armenien sich nun in Zorn und Randale entladen. Das jedoch schwächt Armenien weiter, während in Aserbaidschan Präsident Aliyev nach dem militärischen Erfolg fester im Sattel sitzt.

Vermittelt hat die Vereinbarung, die mehr Waffenstillstand als Friedensvertrag ist, der russische Präsident Wladimir Putin. Dass man darüber in Baku und Ankara jubelt, nicht aber in Jerewan, zeigt die zwielichtige Rolle, die Russland in der Region spielt. Moskau galt stets als Armeniens wichtigster Verbündeter, wie Ankara sich als Pate Aserbaidschans versteht. Doch Russland liefert seit Jahren Waffen an beide Seiten, und erntet jetzt die Früchte seiner Doppelrolle: Moskau vermittelt, verkündet die Waffenruhe und entsendet russische Soldaten, um die Vereinbarung zu garantieren.

Konfliktherde zur eigenen Machterweiterung

Putins Russland ist nicht an Frieden und Stabilität vor seiner Haustüre interessiert, sondern nutzt Konfliktherde zu seiner eigenen Machterweiterung: Russische Soldaten stehen nun auf georgischem, ukrainischem, armenischem und aserbaidschanischem Hoheitsgebiet. Nicht nur politisch, auch militärisch hat Putin wieder einmal den Fuß in der Türe. Verloren hat nicht nur Armenien, sondern auch die internationale Staatengemeinschaft, die zu keiner Konfliktlösung imstande war. Gewonnen haben die nach Ausweitung ihrer regionalen Bedeutung strebenden Autokraten in Ankara, Baku und Moskau.

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Stephan Baier Konfliktlösung Waffenruhen Wladimir Wladimirowitsch Putin

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