Gustavo Petro hat am 29. Mai die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Kolumbien gewonnen. Laut dem vorläufigen amtlichen Wahlergebnis erhielt er 40,32 Prozent der Stimmen in dem mit 51 Millionen Einwohnern zweitgrößten Land Südamerikas. Der zweite Platz ging überraschenderweise nicht an den konservativen Kandidaten Federico Gutiérrez, der lediglich 23,91 Prozent bekam, sondern an den 77-jährigen unabhängigen Bauunternehmer und ehemaligen Bürgermeister von Bucaramanga, Rodolfo Hernández, der als „Populist“ gilt, mit 28,15 Prozent. Nun tritt Hernández gegen Petro bei der Stichwahl an.
Traditionell konservatives Land
Sollte bei der Stichwahl am 19. Juni der ehemalige Guerilla-Kämpfer Petro gewinnen, so wäre er der erste linke Präsident in dem traditionell konservativen Land. Allerdings hatte sich diese Entwicklung bereits am 13. März abgezeichnet, als sich Petros Linksbündnis „Pacto Histórico“ bei der Parlamentswahl durchsetzen konnte. Auch die Umfragen sagten Petros Sieg voraus: Bei der Wahlabsicht verbesserte er sich von 25 Prozent im Dezember 2021 auf 40 Prozent im Mai. Der entscheidende Grund für die Wende: Mehr als 85 Prozent der Kolumbianer sind mit der Entwicklung des Landes unzufrieden – so viele wie seit den 1990er Jahren in der Hochphase des Guerilla-Kampfes nicht mehr.
Bereits 2018 wurde das Rennen um die Präsidentschaftswahl durch eine Stichwahl entschieden, bei der sich damals noch Iván Duque von „Centro Democrático“ mit 54,76 Prozent gegen Gustavo Petro durchsetzten konnte. Offensichtlich stimmten damals viele Menschen für Duque, um Petros Präsidentschaft zu verhindern. Heute sieht es anders aus.
Petro hatte die breite Unterstützung von Regierungsvertretern in den wichtigsten Hauptstädten Kolumbiens: Bogotá, Cali und Medellín. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte zuvor mehrere Beamte wegen unzulässiger Beteiligung an der Politik suspendiert, darunter auch Daniel Quintero, den Bürgermeister von Medellín. Die Entscheidung hatte eine Welle der Entrüstung in den sozialen Netzwerken ausgelöst. Auch Gustavo Petro selbst war während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Bogota abgesetzt worden. Damals zog er bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser forderte darauf hin den kolumbianischen Staat auf, dafür zu sorgen, dass solche Entscheidungen künftig von einem zuständigen Richter getroffen werden und nicht mehr von der Generalstaatsanwaltschaft. Letztlich haben die jüngsten Amtsenthebungsverfahren Petro in die Hände gespielt. Er konnte sich so als Kandidat der vom Establishment Verfolgten präsentieren. Und ihm wurde so auch Stoff für sein Argument im Wahlkampf geliefert, er solle durch einen Staatsstreich an seinem Sieg gehindert werden.
Mit Strafverfahren zu kämpfen
Nun hat Gustavo Petro aber erst einmal mit einem anderen Strafverfahren zu kämpfen. Am Tag nach der Wahl wurde bekannt, dass der spanische Nationale Gerichtshof eine Klage gegen ihn zugelassen hat. Der Vorwurf: Petro soll die mutmaßliche Entführung des Journalisten Fernando González Pacheco durch die Guerilla-Gruppe „M-19“ im Jahr 1981 zugelassen haben. Die „Movimiento 19 de abril“ („Bewegung 19 April“) oder „M-19“ war eine Terrororganisation, zu der Gustavo Petro von 1977 bis 1990 gehörte, und die sich im Jahre 1990 in die politische Partei „Alianza Democrática M-19“ umwandelte. Sie verübte in den 1970er und 1980er Jahren eine Reihe von Entführungen einschließlich Folter und Mord. Die Klage wurde jetzt von dem Publizisten François Cavard eingereicht. Es handelt sich dabei um eine Sammelklage wegen 40 Straftaten der M-19-Gruppe.
In einem Interview mit „La Gaceta de la Iberosfera“ weist Cavard darauf hin, dass „das Nationale Zentrum zur Historischen Aufarbeitung“ bisher mehr als 5.900 Straftaten der terroristischen Organisation dokumentiert habe. Er habe daraus zunächst 80 Fälle herausgefiltert, die er dann auf 40 reduziert habe. In seiner Klage erinnert François Cavard, dass Petro „ein Vorstrafenregister hat“. Er sei zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, von denen er zwölf Monate abgesessen habe, „weil er 1985 in einem Haus in Zipaquirá mit Waffen, Sprengstoff, Kriegsmaterial und M19-Propaganda aufgegriffen wurde.“
Fall für die spanische Justiz
Die Entführung von Fernando González Pacheco ist deswegen zum Fall für die spanische Justiz geworden, weil der Journalist offenbar die spanische Staatsangehörigkeit besessen hat. Die Klage gegen Petro will der spanische Nationale Gerichtshof nun deswegen zu lassen, damit die Angehörigen des 2014 gestorbenen Journalisten die Möglichkeit bekommen, selbst eine Klage einzureichen. Die spanische Staatsanwaltschaft will keine Strafanzeige stellen, da sie sich nicht für zuständig hält. Inwieweit diese Vorgänge Einfluss auf die Stichwahl nehmen werden, wird sich zeigen.
Im Vordergrund des Wahlkampfes von Gustavo Petro steht aber vor allem die Wirtschaftspolitik. Die Erdölförderung soll eingestellt werden.
Kolumbien hat allein in den letzten drei Jahren 39 Verträge über die Erkundung und Förderung von Kohlenwasserstoffen im Wert von 4,3 Milliarden Dollar unterzeichnet. Für Kolumbien könnte die Einstellung der Ölförderung einen schweren wirtschaftlichen Verlust bedeuten. Schätzungen zufolge hängen an dem Industriezweig 200.000 direkte Arbeitsplätze. Petro will diese Lücke mit neuen Jobs im Tourismus füllen.
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