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16 Jahre Benedikt XVI.: Als sie begannen, ihn zu lieben

Heute vor 16 Jahren ist Joseph Ratzinger zum Papst gewählt worden. Mit Jubel und Applaus begrüßte eine halbe Million Menschen in Rom den neuen Pontifex an jenem 19. April 2005. Die Tagespost dokumentiert die Eindrücke des denkwürdigen Tages, wie sie damals in der Zeitung erschienen sind.
Papst Benedikt XVI. grüßt die Pilger am 19. April 2005 vom Balkon des Petersdoms
Foto: epa ansa Claudio Onorati (ANSA) | Papst Benedikt XVI., der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, grüßt die Pilger am 19. April 2005 vom Balkon des Petersdoms.

Zwei prächtige Uhren krönen die Fassade des Petersdoms. Die links der Reihe von zwölf Apostel-Statuen zeigt 11.50 Uhr, auf der Uhr an der rechten Seite ist es erst 11.28 Uhr. Dienstag mittag, Tag zwei des ersten Konklaves des dritten Jahrtausends. Plötzlich dringt Rauch aus dem Kamin auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle. Ein Raunen geht durch die Menge. Die ersten fangen an zu klatschen. Abertausende haben sich auf dem Platz eingefunden, um vielleicht dabei zu sein, wenn es soweit ist. Und wie am Abend zuvor quillt der Rauch ziemlich hell aus dem Rohr hervor. Aus dem Klatschen wird Jubel, einer Amerikanerin fällt vor lauter Aufregung die Kamera hin. Doch dann die ersten Rufe: „È nero!“. Der Rauch wird dunkler, lachend wenden sich die ersten ab, enttäuscht schauen noch manche auf die nun dichten dunklen Schwaden.

Doch es kommt noch schlimmer. Irgend-jemand im Konklave muss eingefallen sein, dass als Zeitpunkt am Mittag punkt zwölf Uhr vereinbart war, um der Öffentlichkeit den Stand der Dinge in der Sixtina per Rauchzeichen mitzuteilen. Also legen die Kardinäle nach. Wieder Rauch, wieder hellgrau-weiß bis dunkel. Und zu allem Unglück läuten die Glocken, denn es ist Zeit für den Angelus. Genau das aber – weißer Rauch und Glockengeläut – war das angekündigte Signal, dass der neue Papst gefunden sei. Alles bewegt sich wieder auf die vorderen Reihen zu, vereinzelte „Habemus Papam“-Rufe werden laut – bis der Qualm dann wieder dunkler wird. Aus. Zeit für's Mittagessen.

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Schwarz oder weiß? Alles dreht sich um den Rauch

Erst beim Verlassen des Petersplatzes wird deutlich, wieviele Menschen sich bereits an diesem Dienstag zu der etwas geheimnisvollen Verabredung mit den Kardinälen des Konklaves eingefunden haben. Wie kommt es, dass ein Vatikan, der nicht einmal in der Lage ist, zwei Uhren an derselben Fassade die gleiche Zeit anzeigen zu lassen und einen gescheiten schwarzen Rauch zu organisieren, eine solche Faszination ausübt? Überall in Sichtweite des Platzes – oben an der Urbaniana-Universität oder unten am Ende der Kolonnaden – haben zahllose Fernsehstationen Zelte aufgebaut. Auch tagsüber strahlen ihre Scheinwerfer auf den Platz. In Zeiten des Laptops scheint die ganze Welt jetzt trotzdem auf ein einfaches Kaminrohr zu schauen.

Fast sechs Stunden später ist die Atmosphäre ungleich dichter. Mehr Römerinnen und Römer sind da, mehr Ordensleute und Familien. Für 19.00 Uhr ist das zweite Rauchzeichen des Tages angekündigt. Doch der Platz ist schon voll. Würde das Konklave heute zu Ende gehen, wäre es eines der kürzesten der Geschichte. Viele beten. Das sind keine Schaulustigen, die hier zusammengekommen sind. Man sieht das Banner der Vereinigten Staaten, an einen Stock direkt neben die Fahne des Vatikans geknüpft. Auf Amerikaner stößt man überall. Aber auch die Fahnen Brasiliens wehen hier und dort. Und ein Spruchband verweist auf ein anderes Völkchen, das hier natürlich gut vertreten ist: „Polonia semper fidelis“ (Polen für immer treu).

Dann bricht das Telefonnetz zusammen

Wieder beginnt alles zu früh. Die linke Uhr auf der Fassade des Petersdoms zeigt 17.50 Uhr, die rechte immer noch 11.28 Uhr – also ist sie kaputt. Wieder Rauch. Diesmal ist er dunkel. Doch nur so leicht dunkel. Schnell wird er heller. Rufe, Schreie, Klatschen, man drängt nach vorne, blickt auf zwei Großbildschirme an der Seite des Platzes, die den Rauch in der Totale zeigen. Der wird weiß und die Menge munter. Ein Gruppe Mexikaner beginnt als erste zu rufen „Habemus Papam“. Doch andere sind misstrauisch. Nach den vorangegangenen Farbspielen des Kamins will man es läuten hören. Zehn quälende Minuten, die Glocke links oben an der Fassade des Petersdoms fest im Blick. Der Rauch ist inzwischen so richtig weiß. Hunderttausende auf dem Platz greifen zu ihren Handys – Mama, Oma oder sonstwer soll das Fernsehen anmachen. Binnen Sekunden bricht das Telefonnetz zusammen. Keine Antenne hält diesem Gefunke stand. Dann, ganz langsam, beginnt sich die Glocke zu bewegen. Jetzt erst bricht der Jubel richtig los. Zwei Mädchen brechen in Tränen aus. Endlich der erste Glockenschlag. Der Petersplatz versinkt im Geklatsche, Singen und Rufen. „Habemus Papam“ – die Kirche hat wieder einen Papst.

Doch wer wird es sein? Das Konklave dauerte nicht einmal 24 Stunden. Vier Wahlgänge haben den Kardinälen genügt. Lief es also direkt auf den zu, der im Vorkonklave die beherrschende Gestalt unter den Purpurträgern war? Die Stimmung auf dem Petersplatz ist gelöst. Und was der Beobachter erst später sieht: Wer auch immer in Rom Beine, ein Fahrrad oder einen Motorroller hat, eilt nach der Nachricht vom weißen Rauch zum Vatikan. Am Ende wird es eine halbe Million Menschen sein, die auf dem Petersplatz und der Via delle Conciliazione zusammengeströmt sind. Doch die Vorhänge der Loggia des Petersdoms bewegen sich nicht. Der neue Papst muss erst im Tränensaal neben der Sixtina die weißen Gewänder anlegen, er nimmt anschließend die ersten Glückwünsche der Kardinäle entgegen. Eine Stunde vergeht, inzwischen zieht die Kapelle der italienischen Carabinieri spielend auf den Petersplatz ein.

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Tosender Beifall für den „reverendissimo cardinale“

Dann ist es soweit, endlich. Die Türen zur Loggia an der Fassade der Basilika öffnen sich. Der Protodiakon des Kardinalskollegiums, Jorge Arturo Medina Estevez, tritt heraus. Gespanntes Schweigen auf dem Platz. Eine „große Freude“ verkündet der Chilene: „Habemus Papam“. Es sei der „eminentissimo e reverendissimo cardinale Josephus“ – Pause, und dann der Nachname: Ratzinger. Jetzt bricht der Jubel so richtig los. Klatschen, Beifallsrufe, tosender Applaus. Und der Protodiakon verkündet den Namen, den der neue Papst tragen wird: Benedetto XVI., Benedikt XVI. Und schon kommt er, die Menge mit erhobenen Armen grüßend. Joseph Ratzinger, lächelnd, ja mit fast strahlendem Gesicht, winkt er der Menschenmasse zu. Und die winkt und ruft zurück. „Be-ne-detto“ beginnen viele zu skandieren. Bisher haben die Italiener ihn verehrt, den weißhaarigen Bayern in der Kurie. Jetzt beginnen die Römer ihn zu lieben.

Zwei Ordensleute fragen, was es mit dem Namen Benedikt auf sich habe. Benedikt ist der Patron des Abendlandes, sagt der eine. „Der“, sagt der andere und zeigt auf die Loggia, „wird bestimmt nach Russland gehen“. Sie lachen. Irgendwie lacht hier heute jeder. Oder weint. Und ebenso fällt auf, dass kein erstauntes oder fragendes Gesicht zu sehen ist. Als ob es alle geahnt hätten. Die Spekulationen der vergangenen Tage, der angebliche Kampf der beiden Lager, der heiße Kandidat aus der Dritten Welt – alles das hat sich aufgelöst wie der Rauch aus der Sixtinischen Kapelle.

Die erste Ansprache des Papstes ist kurz. Nach dem großen Johannes Paul II. habe es den Kardinälen gefallen, einen „einfachen, demütigen Arbeiter im Weinberg Gottes“ zum Papst zu wählen. Er bitte alle um ihr Gebet. Der erste Segen „Urbi et Orbi“. Die Kapelle der Carabinieri spielt die Hymne des Vatikans und die des Staats Italien. Nochmals winkt der Papst. Dann verlassen er und seine Begleiter die Loggia. Und in den drei großen Fenstern daneben stehen die Kardinäle, froh und munter lächeln sie herab. Das haben sie schnell und gut gemacht.

Ein kleines Wunder: die Freude der Römer

War das jetzt alles nur ein Traum? Bis vor kurzem noch galt es als undenkbar, dass ein Deutscher Papst werden könnte. Auch über das Alter wurde viel geredet. Zwar war der selige Johannes XXIII. ebenfalls – wie Kardinal Ratzinger – 78 Jahre alt, als er den Stuhl Petri bestieg. Aber müsste es heute nicht ein jüngerer sein? Warum, wieso – man weiß es nicht. Aber diese Überlegungen sind fast wie ausgelöscht. Das Amt wird sich nun mit der Person vereinen. Papst Benedikt XVI. wird nicht mehr der Glaubenspräfekt sein, ab jetzt mit weißen Gewändern.

Früher hatte das Volk von Rom bei Papstwahlen etwas mitzureden. Ab dem zwölften Jahrhundert war das dann nur noch Aufgabe der Kardinäle. Jedoch hat der Ruf auf den Stuhl des heiligen Petrus seinen volksnahen Charakter behalten. Ein neuer Papst muss sich umgehend den Menschen zeigen. Und der Funke sprang über, wie bei Karol Wojtyla jetzt auch bei Joseph Ratzinger. Die Freude, mit der die Römer ihren Benedikt XVI. aufgenommen haben, ist ein kleines Wunder. Hatten doch viele italienische Medien zuvor nichts Besseres zu tun, als den Präfekten der Glaubenskongregation als – wörtlich – „Panzerkardinal“ zu präsentieren. Das hat jetzt ein Ende. Mancher muss umdenken, andere müssen Abbitte leisten. Und der Rest ist Freude.

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