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Friedrich Merz und das Bettvorleger-Phänomen

Erst prangert der CDU-Chef einen angeblichen „Sozialtourismus“ bei ukrainischen Flüchtlingen an, dann entschuldigt er sich kleinlaut. Mittlerweile typisch für sein Kommunikationsverhalten.
Wenn Merz schon die Populismus-Karte zieht, dann muss er doch auch in der Lage sein, sie richtig auszuspielen.
Foto: IMAGO/Christian Spicker (www.imago-images.de) | Wenn Merz schon die Populismus-Karte zieht, dann muss er doch auch in der Lage sein, sie richtig auszuspielen. Aber offenbar scheint es genau an dieser Professionalität bei Friedrich Merz zu mangeln.

Mittlerweile kann man sagen: Es ist ein typischer Merz. Erst prescht er lautstark nach vorne, dann zieht er bei Kritik sofort wieder den Schwanz ein. Als Löwe gesprungen, als Bettvorleger gelandet – das scheint zum Leitmotiv im Kommunikationsverhalten des christdemokratischen Oppositionsführers geworden zu sein.

Gestern prangerte Friedrich Merz im Interview mit Bild-TV einen „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge an, die zwischen Deutschland und ihrer Heimat hin und her pendelten. Sie versuchten so die Regelung auszunutzen, dass Flüchtlinge aus der Ukraine Leistungen wie Hartz IV-Empfänger erhalten. Dies gelte für „eine größere Zahl“ von Menschen.

Der Vorfall ist symptomatisch

Heute am Vormittag zeigte Merz nun Reue: „Ich bedauere die Verwendung des Wortes ,Sozialtourismus‘. Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems“, twitterte er. Und ergänzte: „Mir lag und liegt es fern, die Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit einem harten Schicksal konfrontiert sind, zu kritisieren. Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung.“ 

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Der ganze Vorfall ist symptomatisch für ein Problem, das sich für den CDU-Chef immer stärker stellt. Er braucht ein Feld, um sich zu profilieren. Die innerparteiliche Konkurrenz steht in den Startlöchern: Hendrik Wüst, Daniel Günther oder vielleicht sogar wieder Markus Söder könnten nach der Kanzlerkandidatur greifen. Merz wäre dann nur eine Figur des Übergangs. Hinzu kommt die Enttäuschung, die in der Anhängerschaft von Merz besteht: Von der klaren Kante, die er versprochen hatte, hat er bisher wenig gezeigt. Stattdessen hat sich Merz mit dem Parteiestablishment arrangiert – ganz getreu dem Modell „Bettvorleger“.

Auf dem Rücken der Schwächsten

Dass Merz versucht, diese Defizite auszubügeln, ist nachvollziehbar. Dass er dies aber auf dem Rücken der Schwächsten tut, ist nicht zu akzeptieren. Es ist richtig: Bei den Regelungen für ukrainische Flüchtlinge gibt es Nachbesserungsbedarf. Die Kommunen stöhnen über ihre Belastungen. Darüber muss geredet werden. Aber politische Verantwortung zeigt sich nicht nur darin, was man sagt. Sondern es geht auch darum, wie man es sagt. Das Wort vom „Sozialtourismus“ war schäbig. Umso besser, dass Merz sich nun entschuldigt hat. Ob er damit seine Reputation, die er durch seinen Besuch in Kiew in der Ukraine gewonnen hatte, wieder zurückerlangt? Staatsmännisch war die Wortwahl von Merz, der sich gerne als Bundeskanzler im Wartestand inszeniert, jedenfalls nicht. 

Und damit kommen wir noch zu einem handwerklichen Problem: Friedrich Merz muss doch klar gewesen sein, wie die Öffentlichkeit auf so eine Aussage reagieren wird. Also ist eigentlich davon auszugehen, dass seine Berater und er sich auch entsprechende Reaktionen zurechtgelegt haben. Die Entschuldigung via Twitter zeigt, dass dies offenbar nicht der Fall war. Wenn Merz schon die Populismus-Karte zieht, dann muss er doch auch in der Lage sein, sie richtig auszuspielen. Aber offenbar scheint es genau an dieser Professionalität bei Friedrich Merz zu mangeln. Das Ergebnis ist das Bettvorleger-Phänomen.

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