Afghanistan geht es nicht gut. Ein Jahr nach dem Abzug der westlichen Truppen und dem Sieg der Taliban befindet sich das Land in einem desolaten Zustand. Da ist zunächst einmal die Menschenrechtslage. Vor allem für Frauen hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Die Möglichkeiten westlicher Hilfsorganisationen, Einfluss zu nehmen sind eingeschränkt. "Der Sieg der Taliban vor einem Jahr ist eine Tragödie für die Menschen in Afghanistan. Denn leider hat sich erwiesen, dass die Taliban von heute sich nicht so viel von denen unterscheiden, die vor zwanzig Jahren an der Macht waren", erklärt dazu Johann Wadepuhl, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gegenüber dieser Zeitung.
Jede Form der Opposition wird brutal unterbunden
"Intoleranz, Gewalt und Unterdrückung sind die Mittel ihrer Wahl. Frauen, politisch Andersdenkenden und religiösen Minderheiten wird das Leben immer mehr erschwert und jede Form der Opposition brutal unterbunden. Dazu kommt noch eine katastrophale Unfähigkeit, das Land zu regieren, den Menschen im Land eine Minimalversorgung zu gewährleisten. Stattdessen Missmanagement, Überforderung und Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Menschen." Das Engagement westlicher Hilfsorganisationen sei somit überlebenswichtig, doch nicht einfach zu leisten, wenn die Taliban deren Arbeit immer wieder erschwerten, so Wadepuhls Einschätzung.
Schwierig ist auch die Situation der sogenannten Ortskräfte. Also jener Menschen, die vor Ort der Bundeswehr geholfen haben und sich in großen Teilen noch im Land befinden. "Es ist wichtig, dass Deutschland zu seinem Wort gegenüber den ehemaligen Ortskräften steht und alle ehemaligen Ortskräfte aufnimmt, die zu uns fliehen wollen vor Verfolgung und Rache der Taliban", betont Johann Wadepuhl. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion hebt hervor, dass die Einhaltung der gegebenen Versprechen auch Bedeutung über Afghanistan hinaus habe: "Wir stehen in der Schuld dieser Menschen und es ist Teil unserer Verantwortung. Und wir sollten nicht unterschätzen, welche Auswirkungen unser Desinteresse an dem Schicksal der Ortskräfte auf unser internationales Renommee und das Vertrauen unserer Verbündeten und Partner hätte."
Anfang der Woche hatte der Staatssekretär im Migrationsministerium von Baden-Württemberg, Siegfried Lorek (CDU), vor diesem Hintergrund an den Bund appelliert, die kommunale Ebene müsse mehr unterstützt werden. Denn dort sei die Belastung bei der Unterbringungen von Ortskräften am größten. Die Zahl der in Baden-Württemberg aufgenommenen akut gefährdeten Menschen aus Afghanistan hat stark zugenommen. Von Anfang 2021 bis Ende Juli 2022 wurden 3.194 Ortskräfte und deren Familienangehörige sowie Menschenrechtsaktivisten im Land untergebracht, wie das Migrationsministerium in Stuttgart nun mitteilte. Im Jahr 2021 wurden 1.129 Menschen aufgenommen. In den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres waren es bereits 2065.
Afghanistan nicht aus dem Blick verlieren
Johann Wadepuhl mahnt gegenüber dieser Zeitung, trotz der weltweiten Krisenlage Afghanistan nicht aus dem Blick zu verlieren: "Wir dürfen Afghanistan nicht vergessen, auch wenn der Krieg in der Ukraine alles überschatten mag, sondern müssen das Land und seine Menschen weiter zusammen mit unseren Verbündeten im Blick haben und versuchen zu helfen, wo es geht. Gleichzeitig müssen wir gegenüber den Taliban weiterhin klar kommunizieren, dass wir ihre Politik ablehnen und eine Rückkehr der internationalen Terrorgruppen in das Land nicht dulden werden."
Derweil spitzt sich in Afghanistan selbst die Lage immer weiter zu: Während die Taliban am vergangenen Montag in Kabul den Jahrestag der Machtübernahme zelebrierten, konnten afghanische Rebellen einen ihrer bisher größten Schläge gegen die militanten Islamisten verkünden. Nach eigenen Angaben hat die "Nationale Befreiungsfront" am Montag 40 Taliban-Kämpfer festgenommen und fünf weitere von ihnen getötet. Mit Material der dpa.
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