Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Nach US-Abtreibungsurteil

USA: Der Lebensschutz ist auf dem Vormarsch

„Roe vs. Wade“ ist Geschichte. Wie geht es jetzt weiter? Ein Blick in die Rechtslage der einzelnen Bundesstaaten zeigt: Die USA werden in ihren Abtreibungsgesetzen einem Flickenteppich gleichen.
"Roe vs. Wade" gekippt
Foto: IMAGO/Rod Lamkey (www.imago-images.de) | Lebensschützer feiern die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes In Washington.

Kentucky und South Dakota waren ganz vorne mit dabei: In den zwei US-Bundesstaaten traten schon am vergangenen Freitag äußerst restriktive Abtreibungsgesetze in Kraft – unmittelbar nachdem der Oberste Gerichtshof der USA, der „Supreme Court“, das umstrittene Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ gekippt hatte. Die Rechtslage in jenen zwei konservativen Staaten machte dies möglich. Und weitere werden schon bald folgen, nun da Amerikas Oberste Richter die Kompetenz, über die Abtreibungsgesetzgebung zu verfügen, wieder in die Hände der einzelnen Bundesstaaten gelegt haben. Der Fall „Dobbs vs. Jackson Women's Health Organization“, der dem Urteil zugrunde liegt, wird somit in die Geschichtsbücher eingehen.

In der Urteilsbegründung heißt es, die amerikanische Verfassung enthalte kein „Recht“ auf Abtreibung. In dem Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ war das Oberste Gericht 1973 zu dem Schluss gekommen, dass sich ein solches Recht aus dem durch den 14. Verfassungszusatz garantierten „Recht auf Privatsphäre“ ableiten lasse. Die Entscheidung in einem weiteren Fall, „Planned Parenthood vs. Casey“, bekräftige „Roe“ 1992. Die damalige Auffassung teilen die Obersten Richter nun nicht mehr. Sowohl „Roe“ als auch „Casey“ hätten die Frage ignoriert, ob die Verfassung ein „Recht“ auf Abtreibung enthalte. Stattdessen sei „Casey“ ausschließlich mit dem juristischen Prinzip des „stare decisis“ entschieden worden – also auf Grundlage des vorangegangenen Präzedenzfalles.

Abtreibungen an der West- und Ostküste weiter möglich

Wie werden die einzelnen Bundesstaaten ihre Abtreibungsgesetze nun gestalten? Fest steht: Die künftige Rechtslage in den Bundesstaaten wird eng verknüpft sein mit der parteipolitischen Präferenz der Wähler. In republikanisch dominierten Staaten werden eher restriktive Gesetze gelten, demokratisch dominierte werden den Zugang zu Abtreibungen dagegen kaum einschränken. Das Bild, das sich dadurch ergibt, gleicht einem echten Flickenteppich. Auffällig ist auch die geografische Aufteilung: In Staaten an der West- und Ostküste, wie etwa Kalifornien, Oregon, New York oder News Jersey, wird der Zugang zu Abtreibung weiterhin recht umfassend sein. Abgesehen von einigen Staaten im Norden rund um die „Great Lakes“, wie etwa Minnesota, dominieren in der gesamten Landesmitte jedoch fast ausschließlich Pro-Life-Gesetze.

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Insgesamt werden in etwa der Hälfte der Staaten weiterhin straffreie Abtreibungen erlaubt sein, so wie es „Roe“ zuließ. Aber die Waage kippt – und zwar zugunsten des Lebensschutzes. Auch weil Abtreibungsgegner sich schon seit Jahren auf den Tag vorbereitet haben, an dem Amerikas Oberste Richter das umstrittene Urteil kassieren.

Dabei spielen sogenannte „Trigger Laws“ eine wichtige Rolle: Bundesstaatliche Gesetze, die den Zugang zu Abtreibung deutlich einschränken, völlig inkompatibel mit der Rechtslage unter „Roe vs. Wade“ waren, nun jedoch nahezu automatisch „getriggert“, also in Kraft gesetzt werden, da das alte Urteil nicht mehr gilt. In den eingangs erwähnten Staaten Kentucky und South Dakota war dies der Fall.

13 Bundesstaaten haben "Trigger Laws"

Insgesamt 13 konservativ regierte Bundesstaaten haben derartige Gesetze in den vergangenen Jahren erlassen – im Wissen um deren Verfassungswidrigkeit unter „Roe vs. Wade“, aber auch in der Hoffnung, den „Supreme Court“ zunächst dazu zu bringen, die bundesweit gültige Rechtslage noch einmal neu zu beurteilen und dann die einzelstaatlichen Abtreibungsgesetze zu verschärfen. Mississippi kann sich auf die Fahnen schreiben, bei diesem Vorhaben erfolgreich gewesen zu sein: Bereits 2018 erließ der Südstaat den „Gestational Age Act“, der Abtreibungen ab der 15. Schwangerschaftswoche verbietet – wesentlich früher also, als es die Regelung unter „Roe vs. Wade“ zuließ. Die einzige Abtreibungsklinik des Staates, die „Jackson Women? Health Organization“, klagte. Nach einigem juristischen Hin und Her entschied der Oberste Gerichtshof im Mai 2021, sich mit dem Gesetz zu befassen. Der Ausgang ist nun bekannt.

Folgende weitere Staaten haben „Trigger Laws“ erlassen: Louisiana, Idaho, Utah, Wyoming, North Dakota, Texas, Oklahoma, Missouri, Arkansas und Tennessee. Die Gesetze sind manchmal ähnlich, selten jedoch gleich gestrickt. Sie setzen meist unterschiedliche Fristen für ein Abtreibungsverbot, und auch die Ausnahmefälle, in denen Abtreibungen trotzdem erlaubt sein können, variieren. Die häufigsten Gründe für Ausnahmen sind eine Schwangerschaft nach Vergewaltigung oder Inzest – oder eine mit der Schwangerschaft verbundene Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Mutter. Je nach Staat wird dies unterschiedlich gehandhabt. Für Furore sorgen seit längerem auch die sogenannten „Heartbeat Bills“. Gesetze, die Abtreibungen verbieten, sobald ein Herzschlag des ungeborenen Kindes im Mutterleib festgestellt wird – in der Regel ab der sechsten Schwangerschaftswoche. „Heartbeat Bills“ können als „Trigger Laws“ erlassen werden, die nun greifen, da „Roe vs. Wade“ nicht mehr gilt.

Gesetze aus der Zeit vor "Roe" können wieder greifen

Es geht aber auch anders: Schlagzeilen machte im vergangenen Jahr der Staat Texas. Dort erließ man ein „Herzschlag-Gesetz“ das aufgrund einer Besonderheit in der Umsetzung nur schwer gerichtlich angefochten werden konnte: Nicht staatliche Behörden, sondern Privatpersonen können Klage einreichen, falls jemand gegen die Bestimmungen verstößt. Somit konnte das Gesetz bereits seit September greifen, obwohl die Sechs-Wochen-Frist gegen „Roe vs. Wade“ verstoßen hatte. Texas ist damit nicht alleine – auch Idaho und Oklahoma erließen jüngst ähnlich strikte Gesetze, die sich an dem texanischen Entwurf orientieren. Das Gesetz in Oklahoma verbietet Abtreibungen sogar ab dem Zeitpunkt der Empfängnis, mit Ausnahmen lediglich im Falle von Missbrauch oder Inzest.

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Daneben gibt es eine ganze Reihe von Bundesstaaten, in denen noch Gesetze aus der Zeit vor „Roe vs. Wade“ existieren. Zu ihnen zählen Michigan, Wisconsin, Alabama oder auch North Carolina. In einigen dieser Staaten wurden die restriktiven Abtreibungsgesetze nie gerichtlich blockiert oder für verfassungswidrig erklärt, sondern von „Roe vs. Wade“ sozusagen nur „überschrieben“. In diesem Fall könnten die bundesstaatlichen Behörden die alte Rechtslage wohl einfach wiederherstellen. In anderen Staaten wurden die vor „Roe“ erlassenen Abtreibungsgesetze im Nachgang des Grundsatzurteils jedoch von Gerichten blockiert. Hier wären dann auch wieder die Gerichte gefordert, die Blockade aufzuheben, ehe die ursprünglichen Gesetze erneut in Kraft treten können. Wieder andere Staaten wie Arizona, Georgia, Nebraska oder South Carolina wollen nun neue, restriktive Abtreibungsgesetze verabschieden. In Nebraska etwa hatte der Gouverneur bereits im Mai angekündigt, Abtreibungen auch im Falle von Vergewaltigung oder Inzest verbieten zu wollen.

Abtreibungszahlen werden nicht so schnell sinken

Auch wenn die neue Rechtslage Lebensschützern somit unterm Strich deutlichen Aufwind verleihen sollte: Rapide sinken werden die Abtreibungszahlen wohl dennoch nicht. Zum einen wird es eben nur etwa die Hälfte der Staaten sein, die ihre Abtreibungsgesetzgebung verschärfen. Zum anderen eliminieren restriktive Gesetze nicht den Wunsch vieler Frauen, ihr Kind abzutreiben. „Abtreibungstourismus“, sprich Reisen in benachbarte Bundesstaaten, in denen Abtreibungen möglich bleiben, werden zwangsläufig zunehmen. Darüber hinaus existiert noch eine weitere Hintertür: Abtreibungen per Pille. Zwar gehen einige republikanische Staaten bereits dagegen vor, dass chemische Präparate wie etwa „Mifepristone“ oder „Misoprostol“ per Post versandt werden. Zu kontrollieren ist der Postweg jedoch schwer. Es muss sich noch zeigen, ob und wie stark Anfragen nach solchen Präparaten in Zukunft steigen werden – Beobachter gehen allerdings von einem deutlichen Anstieg aus.

Fest steht in jedem Fall: Die Gegenseite wird nicht kampflos aufgeben. Schon unmittelbar nachdem das Urteil in der Welt war, kündigten führende demokratische Politiker, allen voran der US-Präsident Joe Biden, an, sicherstellen zu wollen, dass Frauen Zugang zu chemischen Abtreibungspräparaten hätten und in andere Bundesstaaten reisen dürften, in denen Abtreibung weiterhin legal sei. Biden erklärte die im November anstehenden Kongresswahlen auch zu einer Abstimmung über die Abtreibungsgesetzgebung. Denn trotz des neuen Grundsatzurteils besteht weiterhin die theoretische Möglichkeit, im Kongress ein Gesetz zu verabschieden, das ein „Recht“ auf Abtreibung bundesweit etablieren würde. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass die Demokraten die dafür nötige Zahl an Mandaten erringen werden. Aber noch kann man nicht absehen, wie sehr das Ende von „Roe vs. Wade“ demokratische Wähler mobilisieren wird. Fazit: Amerikas Lebensschützer haben einen Etappensieg errungen – doch die Arbeit beginnt jetzt erst so richtig.

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