Hätte noch vor einigen Jahren ein Autor in einem Drehbuch das beschrieben, was wir nun ganz real als Berliner Wahl-Chaos erleben, Filmproduzenten und Regisseure hätten ihn schallend ausgelacht und dankend abgelehnt: "Viel zu unwahrscheinlich", hätte das einhellige Urteil gelautet. Aber jetzt sind wir mittendrin in einem Stück, dessen letzter Akt noch nicht geschrieben ist. Wird die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden müssen? Die Einschätzung des Berliner Verfassungsgerichtshofes ist zwar ziemlich eindeutig, aber ein endgültiges Urteil muss noch gefällt werden. Ähnlich sieht es mit der Bundestagswahl aus, die in der Hauptstadt zeitgleich mit der Wahl zum Länderparlament stattfand: Hier wird der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages entscheiden.
Chaos- Republik
Doch letztlich sind das alles Details. Für die breite Bevölkerung hat dieses Polit-Theater schon jetzt einen Titel, egal was sich nun in den letzten Akten noch ereignen wird: "Die Berliner Chaos-Republik." Die Bürger haben einst in der Schule gelernt, eine Wahl, das sei das Hochamt einer Demokratie. Wie kann es dann sein, dass hier so viel geballtes Missmanagement zusammenkommt? Und was sagt das über den Zustand unserer Demokratie insgesamt aus? So lauten die bangen Fragen, die sich die Menschen in Deutschland stellen. In einem Land, das angesichts eines Krisenwinters sowieso schon auf dem Zahnfleisch geht.
Kein Vertrauen
Es steht nicht gut um das Vertrauen der Menschen in die deutsche Politik. Bei einer Umfrage im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes, die Anfang September veröffentlicht wurde, gaben nur noch 29 Prozent der Befragten an, sie seien der Meinung, dass der Staat handlungsfähig sei und seine Aufgabe erfüllen könne. Ein historischer Tiefpunkt.
Aber Resignation hilft nicht weiter. Ebenso bringen Häme und Schadenfreude nichts. Jetzt gilt noch mehr als sonst: Einmischen, nicht wegschauen. Jeder steht in der Verantwortung. Der Bürger ist der Regisseur. Wenn er es will, senkt sich für jedes Polit-Theater ganz schnell der Vorhang.
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