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„Das Kreuz ist auch das Logo Europas“

Christliche Wähler verhalten sich oft passiv, statt sich ihre politische Heimat zurückzuerobern, meint die österreichische Parlamentarierin Gudrun Kugler. Von Stephan Baier
Gudrun Kugler im Gespräch mit dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn und ÖVP-Chef Sebastian Kurz
Foto: Cross-Press/Gabriele Malinar | Gudrun Kugler im Gespräch mit dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn und ÖVP-Chef Sebastian Kurz beim „Marsch für Jesus“ auf dem Wiener Heldenplatz am 18. Juni 2016.

Frau Kugler, bei unserer ersten Begegnung waren Sie Schülerin und haben Demonstrationen der „Jugend für das Leben“ gegen die Abtreibung angeführt – jetzt ziehen Sie ins österreichische Parlament ein. Eine erstaunliche Karriere angesichts der Tatsache, dass Abtreibung in Österreich tabuisiert ist. Welche Stationen hatte dieser Weg?

Seit vielen Jahren trete ich für Themen des Lebensrechts und für christliche Werte ein. Dabei wurde mir immer klarer, wie dringend wir Politiker brauchen, die dem christlichen Menschenbild verpflichtet sind. So begann ich mich in der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zu engagieren. 2015 konnte ich mit einem erfolgreichen Wahlkampf in den Wiener Gemeinderat und Landtag einziehen, weil sich immer mehr Menschen diesen Anliegen verbunden fühlen. In den Nationalrat wurde ich gewählt, weil das Ergebnis in meinem Wahlkreis deutlich über dem Schnitt lag. Betrachtet man den absoluten prozentuellen Anstieg, konnte ich das österreichbeste Ergebnis der „Liste Kurz“ erzielen. Die christdemokratischen Parteien quer durch Europa scheinen das große christliche Wählerpotenzial oft zu übersehen.

Dass eine streitbare Katholikin, die christliche Werte in Politik zu gießen versucht, ins Parlament gewählt wird, ist aber bemerkenswert. Wie konnte das gelingen?

Sebastian Kurz hat in seinem Wahlkampf eine erstaunliche Welle der Begeisterung für Politik ausgelöst und so den Wahlsieg der Neuen Volkspartei möglich gemacht. Durch meine intensive Zusammenarbeit mit christlich-orientierten Gruppen und Persönlichkeiten aus über zehn Konfessionen konnte ich zudem viele weitere Menschen ansprechen und somit meinen Einzug ins Parlament erringen. Gleichzeitig wundert es mich, dass man sich wundert: Warum sollten überzeugte Katholiken nicht ins Parlament gewählt werden? Manchmal habe ich das Gefühl, dass fast jede Meinung akzeptiert wird – außer die meine. Egal wie gut ich sie begründe. Das ist tatsächlich schwer verständlich.

Wie christlich ist denn die Christdemokratie, zu der die ÖVP auf EU-Ebene gehört?

Die christdemokratischen Parteien in Westeuropa haben sich durch die Säkularisierung der vergangenen Jahrzehnte stark verändert. Das ist ein soziologisch nachvollziehbarer Prozess und weder Schuld dieser Parteien noch bloß ein Zeichen von Feigheit. Am ehesten ist den Christen selbst ein Vorwurf zu machen, scheinen sie doch die Entwicklungen in der Politik weitgehend vernachlässigt zu haben. Diese Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen, die Bedeutung der verschiedenen christlich-inspirierten Kräfte in der Zivilgesellschaft ist groß und sollte von den Volksparteien schon alleine aus Eigeninteresse wiederentdeckt werden. Christlich-soziale Wähler fühlen sich oft heimatlos, verhalten sich aber oft passiv oder abwartend, statt sich durch persönliches Engagement diese politische Heimat zurückzuerobern.

Vor der Wahl haben ÖVP und FPÖ verhindert, dass eine Abstimmung über die „Ehe für alle“ auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt wird. SPÖ, Neos und Grüne waren und sind für die Homo-„Ehe“. Jetzt fehlt dafür eine parlamentarische Mehrheit. Ist das Thema damit vom Tisch?

Für eine Neudefinition der Ehe gibt es keine Mehrheit im Parlament: ÖVP und FPÖ haben auch im Wahlkampf dazu klar Stellung bezogen. Nun wurde gegen die Unterscheidung von Eingetragener Partnerschaft und Ehe Klage beim Verfassungsgerichtshof erhoben. Dabei argumentiert man vorwiegend, dass es eine Diskriminierung von Kindern wäre, die über Fortpflanzungsmedizin und Teiladoption zu ihren rechtlichen Eltern kommen, wenn diese nicht als ehelich gelten würden. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass es bereits seit mehreren Jahrzehnten keine Schlechterstellung von nichtehelichen Kindern gibt. Es wäre meines Erachtens ein Verlust, wenn die Zeugungsabsicht aus der Ehedefinition gestrichen würde. Eine rechtliche Absicherung für verschiedenste Haushaltsgemeinschaften muss es selbstverständlich geben – aber deshalb braucht die Ehe als Lebensgemeinschaft mit Zeugungsabsicht nicht umdefiniert werden.

Viele Menschen in Deutschland blicken staunend auf die Karriere des neuen ÖVP-Chefs Sebastian Kurz, der sich mit 31 Jahren anschickt, Bundeskanzler von Österreich zu werden. Wie konnte er die ÖVP von Platz drei in den Umfragen zu Jahresbeginn auf Platz eins bei den Wahlen führen?

Sebastian Kurz ist ein Ausnahmetalent: Er erkennt Probleme und sieht deren Lösungen auf erfrischend unkonventionelle Art. In schlichten Sätzen erklärt er auf authentische Weise, was zu tun wäre. Wer ihm zuhört, hat das Gefühl, bereits selbst genau das immer schon gedacht zu haben. Gleichzeitig ist Kurz ein begnadeter Stratege, der mehrere Züge im Voraus denkt. Er hat ein eingespieltes Team von Mitarbeitern, die seine Wirksamkeit vervielfachen. Unter den mir bekannten Politikern kenne ich wenige, die so gut zuhören und in vieler Hinsicht für christlich-soziale Anliegen offen sind.

ÖVP und FPÖ führen derzeit Koalitionsverhandlungen und wollen bis Weihnachten eine Regierung bilden. Ist das eine gesellschaftspolitische Zäsur in Österreich?

In manchen Anliegen, wie Europapolitik und Integration, wird die Zusammenarbeit dieser Parteien sicherlich eine Herausforderung, bei anderen Themen ist es leichter. Gesellschaftspolitisch gibt es Überschneidungen, zum Beispiel bei der Grundhaltung zur Rolle der Familie. So hat eine dringend notwendige steuerliche Entlastung von Familien nun eine gute Chance auf Umsetzung. Dabei steht der Gedanke im Vordergrund, Familien vom Druck von außen zu entlasten und ihre Leistungen rechtlich anzuerkennen. Es ist vollkommen inakzeptabel, dass eine Familie mit drei Kindern unter der Armutsgrenze lebt und gleichzeitig Steuern zahlt. Das ist in Österreich leider kein Einzelfall.

Im In- und Ausland war nach der Wahl viel von einem „Rechtsruck“ zu lesen. Muss sich Europa nun vor einer Regierung von ÖVP und FPÖ fürchten?

Ich verstehe die Sorgen, die sich vor allem aus der Diktion einer rechtspopulistischen Partei ergeben, die in der Diskussion oft ein Verständnis von Gottesebenbildlichkeit vermissen lässt. Ich bin aber überzeugt, dass unter einem Bundeskanzler Sebastian Kurz eine vernünftige und menschliche Flüchtlings- und Integrationspolitik gemacht wird, die selbstverständlich den Menschenrechten und internationalen Gesetzen entspricht. Gleichzeitig sehen wir die Notwendigkeit, stärker gegen den politischen Islam und die damit verbundene Gefahr von Parallelgesellschaften sowie gegen Sozialmissbrauch vorzugehen. Nur eine entschiedene und vorausschauende Politik wird in diesem Kontext aufkommende Spannungen lindern können.

Während SPÖ, Neos und Liste Pilz die Fristenregelung als historische Errungenschaft preisen und gar nicht problematisieren, orten ÖVP und FPÖ Reparaturbedarf beim Abtreibungsgesetz. Was könnte sich jetzt im Sinne des Lebensschutzes verbessern?

Österreich hat seit 40 Jahren eines der liberalsten Abtreibungsgesetze Europas. Dieses Gesetz wurde nie evaluiert. Viele Frauen fühlen sich von der Politik völlig alleine gelassen. Die Dimension des ungeborenen Menschen wird gar nicht thematisiert. Nun haben endlich fast alle Parteien im Wahlkampf konstatiert, dass die Möglichkeit der Abtreibung von behinderten Ungeborenen bis zur Geburt eigentlich inakzeptabel ist. Zudem wäre eine Cool-Off-Bedenkzeit zwischen Beratung und Abtreibung ähnlich wie zum Beispiel im Schönheitschirurgiegesetz sinnvoll. Um gezielt helfen zu können, bräuchte es weiter eine regelmäßige Motivforschung. Diese Maßnahmen sind übrigens wohl alle in der Bevölkerung mehrheitsfähig.

Als die Spitzenkandidaten im Wahlkampf gefragt wurden, ob Österreich eine christliche Leitkultur brauche, antworteten FPÖ-Chef Strache und ÖVP-Chef Kurz mit Ja, alle anderen mit Nein.

Die christliche Leitkultur hat Österreich nie geschadet, sondern immer vorangebracht. Sie wird charakterisiert von wichtigen Merkmalen: Freiheit und Verantwortung statt Bevormundung von oben, Schutz der Menschenwürde statt Instrumentalisierung und Machbarkeitsethik, Solidarität statt Ausbeutung, Festhalten an Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und an jenen Werten, die die Demokratie allein nicht hervorbringen kann. Das Kreuz ist nicht nur ein religiöses Symbol – vielmehr ist es ist das Logo Europas. Nur wenn wir darauf bauen, sind wir enkeltauglich.

Viele Menschen sehen Politik als schmutziges Geschäft. Auch viele Christen sind zum politischen Betrieb auf Distanz gegangen. Lohnt sich für Christen politisches Engagement? Ist auf dieser Bühne für christliche Werte noch etwas zu gewinnen?

Eigeninteresse, Unehrlichkeit und falsche Kompromissbereitschaft gibt es wie überall auch in der Politik. Aber man kann es auch ganz anders machen! Zwei seliggesprochene Politiker kommen aus Wien – Kaiser Karl und die Gemeinderätin und Nationalrätin Hildegard Burjan. Wie beim Sämann im Evangelium werden manche Samen aufgehen, andere nicht. Oft ist mehr möglich als man denkt: Im Wiener Gemeinderat war ich trotz meiner Oppositionsrolle sozusagen die konsensfähigste Politikerin mit den meisten angenommenen Anträgen. Ich konnte wichtige Akzente setzen für Menschenrechte und verfolgte Christen, gegen Menschenhandel, für Familien und für die Beibehaltung der Krippen im Rathaus-Christkindlmarkt. Manchmal ist es auch einfach wichtig, für schwierige Anliegen einzutreten und Probleme aufzuzeigen, für deren Lösung es noch keinen Konsens gibt.

Machen Christen anders Politik? Kann man christlich sein im Umgang mit dem politischen Gegner, aber trotzdem erfolgreich?

Ja, davon bin ich überzeugt. Die Selige Hildegard Burjan, eine der ersten Frauen im Parlament, sprach von „Achtung vor dem sachlichen Gegner“ und empfahl, überall „das Versöhnende und Verbindende“ zu suchen. So konnte ich auch mit Mitgliedern anderer Parteien Freundschaften schließen und sachlich zusammenarbeiten. Eine Frucht dieser Beziehungen ist das überparteiliche Gebetsfrühstück im Parlament, das im Mai erstmals stattgefunden hat. Für mich ist durch meine Arbeit immer klarer geworden: Politiker sind wie alle anderen Menschen unterwegs auf ihrem Lebensweg und ihrer eigenen Suche – und die Liebe steht über allem!

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