Sie kann Provokation. Aber auch Charme. Sie kann lautstark. Aber auch nachdenklich. Andrea Maria Nahles, die am 20. Juni 1970 in Mendig in der Eifel das Licht der Welt erblickte, ist vor allem eines: echt. Und sie lässt sich in kein Klischee pressen. Das widerspricht schon ihrer gelegentlich erruptiven Dynamik, mit der sie, die entschieden Heimatverbundene, der Vulkaneifel ihre Reminiszenz zu erweisen scheint. Das Kind eines Maurermeisters und seiner Frau hat die Bodenständigkeit von Kind an aufgesaugt und zum auch äußerlich erkennbaren Habitus gemacht. Grundschule, Realschule und schließlich Gymnasium mit allgemeiner Hochschulreife, die sie für ein 20-Semester-langes Studium im nahen Bonn nutzte. Sie studierte Germanistik und Politik. Was sonst, so würde man heute, wo die rede-unängstliche Politikerin überall bekannt ist, wohl sagen.
Unerschrockenes Selbstbewusstsein lernte sie daheim. Dabei spielte der irgendwie ganz selbstverständlich gelebte katholische Glaube offenbar eine wichtige Rolle. Ihr politisches Engagement für Gerechtigkeit und Solidarität entspringe gerade diesem Glauben, sagte sie einmal. Gegenüber dieser Zeitung erklärt sie nach der Wahl zur Vorsitzenden: „Wir wollen die Partei des Aufbruchs sein. Mein Glaube gibt mir dafür den Mut und die Kraft.“ Einen Mangel an Selbstbewusstsein hatte und eine ganz eigene Sicht auf Realitäten scheute sie schon als Abiturientin nicht. Als Berufswunsch gab sie schlicht und ergreifend an: Hausfrau oder Bundeskanzlerin. Sie war gerne immer die Erste: ob als Ministrantin oder als Gründerin des SPD-Ortsvereins – und jetzt als Vorsitzende der SPD. Sie beschreibt sich selbst als „Frau, gläubig, links“, die sich nicht in bestimmte politische Lager festlegen lässt. Darauf legte sie schon als Juso-Vorsitzende Wert. Ideologie und Realismus – für das „Gottesgeschenk an die SPD“ (Lafontaine) gehört das zusammen. Ortsverein, Kreistag, Bundestag, SPD-Generalsekretärin, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Fraktionsvorsitzende und nun Parteichefin: Die Vollblutpolitikerin, deren Ehe 2016 nach fünf Jahren scheiterte, traut sich auf der Polit-Bühne viel zu. Die alleinerziehende Mutter hat nicht zu viel Zeit für die 2011 geborene Tochter, was Nahles, die wesentlich sensibler ist, als sie jemals zeigen möchte, im Zweifel grämt. Sie, zu der das Vorlaute gehört, hat Power, gibt gerne Gas – und hat schon schmerzhaft erfahren, wie das schiefgehen kann. Daran erinnert eine Narbe auf der Stirn, die sie sich zuzog, als sie unerfahren in Schweden einen schweren Unfall baute. Sie fährt immer noch gerne schnell, aber achtsamer. Genau diese Fähigkeit braucht sie als Vorsitzende einer unsicheren und selbstverklebten Partei gerade jetzt.