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Zentrumspartei: Es gibt sie noch

Die Zentrumspartei ist 150 Jahre alt geworden, doch seit seit Jahrzehnten fristet sie ein Schattendasein. Das will ein neuer Bundesvorstand nun ändern.
Ludwig Windthorst Statue in Osnabrück
Foto: Friso Gentsch (dpa) | Die Zentrumspartei schaut zu ihren Gründervätern wie Ludwig Windthorst auf und sieht sich in Kontinuität zu ihnen. Sie will aber zu keinem politischen Denkmal werden.

Nach 25 Jahren an der Parteispitze nimmt Gerhard Woitzik mit 94 Jahren Abschied. Der Dormagener führte die traditionsreiche „Deutsche Zentrumspartei“ über Jahrzehnte, in denen sie immer wieder versuchte, bei Wahlen zu reüssieren, neue Landesverbände aufzubauen oder auch nur Ortsgruppen. Trotz vieler Rückschläge äußert sich der neue Ehrenvorsitzende ungebrochen optimistisch gegenüber der „Tagespost“, denn er sieht Zukunft für eine christlich-soziale Politik abseits der Unionsparteien – jetzt unter seinem Nachfolger, dem Mediziner Klaus Brall.

Knapp 500 Mitglieder, ein Dutzend Kommunalmandate

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Politikwissenschaftler zählen die knapp 500 Mitglieder starke Zentrumspartei, die ein Dutzend Mandate in kommunalen Parlamenten hält, zu den Kleinparteien. Doch begann der Wiederaufbau der „ältesten Partei Deutschlands“, wie sie sich in einem Zusatz zum Parteinamen nennt, durchaus unter anderen Vorzeichen. Gerade im Rheinland und in Westfalen war 1945/46 noch nicht entscheiden, ob die Christlich-Demokratische Union oder das alte Zentrum bei den Wählern das Rennen machen würde. So war der erste Ministerpräsident des neugeschaffenen Landes Nordrhein-Westfalen, Rudolf Amelunxen, ein Mann des Vorkriegs-Zentrums, der seinen Weg nicht in die CDU finden sollte.

Immer wieder schloss das Zentrum Bündnisse mit anderen Parteien, um ihre Position bundesweit zu  festigen, doch ohne Erfolg. Am bekanntesten dürfte die Kooperation mit der Bayernpartei sein, die in gewisser Weise an die Vorkriegstradition anknüpfte, da auch in der Weimarer Republik das Zentrum in Bayern nicht zu Wahlen antrat und der Bayrischen Volkspartei das Feld überließ. Die Fraktionsgemeinschaft der beiden Parteien gipfelte dann in einem Wahlbündnis zur Bundestagswahl 1957, der Gründung der Föderalistischen Union, die auch die Deutsch-Hannoversche Partei in Niedersachsen umfasste. Jedoch konnte auch dieses Bündnis nur 0,9 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und verpasste somit den Einzug in den Bundestag.

Die einzige Oppositionspartei zur CDU

Aber auch danach blieb des „Zentrum“ bis weit in die 70er Jahre eine kommunalpolitische Größe in den katholisch geprägten Landstrichen des Rheinlands und Westfalens, ehe mit der kommunalen Neuordnung die kommunalpolitischen Verhältnisse durchgeschüttelt wurden. Denn an die Stelle der kleinen Gemeinderäte traten nun größere Kommunalparlamente, die zu einer größeren Vielfalt in der Parteienlandschaft auch auf dem Land führten. War in vielen Ämtern und Gemeinden Westfalens die Zentrumspartei ehedem die einzige Oppositionspartei zur CDU, konnten sich nun auch SPD und FDP etablieren. In den letzten Jahren fokussiert sich daher der kommunalpolitische Erfolg der Partei hauptsächlich auf die Umgebung der Stadt Neuss und die Heimat des scheidenden Bundesvorsitzenden Gerhard Woitzik.

Und doch sieht sich die Führung der Partei heute beständig in der Tradition einer der wichtigsten Stützen der Demokratie in Deutschland in Kaiserreich und Weimarer Republik. Generalsekretär Christian Otte erinnert gegenüber der „Tagespost“ an den zweimalige Kanzler Wilhelm Marx, der die Politik des Zentrums als eine „von jeher vernünftige, ruhige Politik der Mitte“ charakterisierte. „Das weist uns eine Rolle im politischen Koordinatensystem zu, die die demokratische Linke unterstützt, wenn ein zu starker Rechtsdrift droht, und die uns an die Seite der demokratischen Rechten stellt, wenn sich – wie gegenwärtig – ein Linksruck vollzieht“, so Otte.

Damit sieht Otte Chancen für seine Partei. Er möchte parteipolitisch die Lücke im Spektrum füllen, die früher einmal von der Union ausgefüllt worden sei. Und gerade der Name ziehe Interessenten an: „Was uns interessant macht, ist, dass das Zentrum bis heute ein Begriff ist – manchmal im Ausland noch mehr als im eigenen Land.“

Pragmatisch und unideologisch will man sein

Dabei legt die Partei Wert darauf, als pragmatisch und unideologisch wahrgenommen zu werden. Nichtdestotrotz sieht Otte einen neuen Aufstieg der Ideologien: „Doch auch der Öko-Sozialismus bleibt am Ende des Tages Sozialismus – mit all seinen Zumutungen und all dem Drangsal, das er für Menschen zu allen Zeiten bedeutete. Sich dem auf der Grundlage eines christlich-sozialen Werteverständnisses entgegen zu stellen, ist kein überlebtes Konzept, es ist vielmehr die Bedingung für eine Zukunft in Frieden und Freiheit“, führt der Zentrums-Mann weiter aus.

Angesprochen auf die Ausgangslage für eine dezidiert christliche Partei in Deutschland, die zudem in der Tradition des politischen Katholizismus steht, fordert Otte: „Das politische Christentum braucht ein neues Selbstbewusstsein. Denn seine Stimme ist erforderlich, vor allem bei den Themen Familie und Heimat, Zusammenleben in der Gesellschaft und beim Ausgleich zwischen Ökologie und Modernisierung.“

Der Bonner Politikwissenschaftler Tilman Mayer ordnet die Entwicklung des Zentrums so ein: „Das Zeitalter der Weltanschauungsparteien ist abgelaufen, schon seit den 50er Jahren. An ihre Stelle traten die Volksparteien, die viel breiter sammeln, konfessionsübergreifend angelegt sind und sich potentiell an alle wenden, catch all heißt es im Fach“, so Mayer gegenüber der „Tagespost“. Dahinter zurück gehe es wohl auch nicht zurück, „auch weil die konfessionelle Identität abgenommen hat.“ Ähnliche Entwicklungen gebe es auch in anderen Ländern, so der Schweiz, wo sich  die Christliche Volkspartei (CVP)  zur „Mitte“ umbenannt habe.

Otte beurteilt die Perspektiven seiner Partei optimistischer: „Es sind vor allem die großen und grundlegenden ethischen Fragen, das, was über den Tag hinausweist.“ Die Tagespolitik sei zwar wichtig und wesentlich, aber das Beantworten nur für den Moment, ohne Reflextion auf ein Höheres und Weiteres: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in dem Zeitpunkt, wo die Menschen dieses Manko bei den politischen Mitbewerbern erkennen, auch wieder neue Wählergruppen erschließen."

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Simon Kajan

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