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Myanmar: Die prekäre Situation der Christen

Ein halbes Jahr nach dem Putsch in Myanmar zeigt sich die prekäre Situation der Christen klarer denn je. Mit Gewalt gegen Minderheiten versucht das Militär seine Autorität durchzusetzen. An der Rückkehr der Junta hat auch die Weltmacht China offenbar ihren Anteil.
Terror in Südostasien
Foto: Adobe Stock | In Myanmar geht das Militär geht mit massiver Brutalität gegen Demonstranten und Rebellen vor.

Ein weißer Saum wirft Falten auf einer Asphaltstraße. Ein schwarzer Schleier bedeckt das Haupt der Nonne, ihre Arme sind ausgebreitet, die Hände erhoben. Ihr gegenüber knien zwei Polizisten, die Hände gefaltet, mit Helmen und Schutzwesten. Es ist das Foto von Ann Rose Nu Tawng, die auf die Knie fällt, um junge Demonstranten in Myanmar zu schützen. Und es ist das Foto, das im März um die Welt geht, weil es nicht nur zum Symbolbild der Unterdrückung in Myanmar avanciert - sondern auch, weil es zeigt, dass im mehrheitlich buddhistischen Land Christen zwischen die Mühlsteine des Umsturzes geraten.

Ein halbes Jahr ist seit dem Putsch am 1. Februar 2021 vergangen. Pünktlich zum 1. August verkündet Juntachef Min Aung Hlaing, dass erst im August 2023 Neuwahlen angesetzt würden. Bis dahin gilt der Ausnahmezustand. Die Wahlen vom November 2020 bezeichnet das Militär als "manipuliert", die vorherige Reformregierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi als "korrupt". Suu Kyi, deren Partei die Wahl gewonnen hatte, befindet sich seit Monaten unter Hausarrest, ihr wird "Machtmissbrauch" vorgeworfen. Unter Hausarrest ist auch der Zweite Vizepräsident Henry Van Thio, der sich zu einer Pfingstgemeinde bekennt. Dass ein Christ in dem südostasiatischen Land diese Position erhielt, war ein Symbolakt der Versöhnung mit den religiösen und ethnischen Minderheiten des Landes. Seit dem Regierungssturz bleibt das Amt vakant.

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Massive Brutalität gegen Demonstranten und Rebellen

Seitdem hat der zivile Ungehorsam den Vielvölkerstaat fest im Griff. Doch das Militär geht mit massiver Brutalität gegen Demonstranten und Rebellen vor. Die Gefangenenhilfsorganisation AAPP geht davon aus, dass seit dem Putsch fast 1.000 Menschen getötet und 7.000 weitere inhaftiert wurden. Fast 2.000 weitere Personen stehen auf der Fahndungsliste des Regimes. Es mehren sich Berichte von Geiselnahmen, die das Militär vollstreckt, um Regimekritiker zu erpressen. Kinder werden verschleppt, um die Eltern zu zermürben. Demonstranten, die friedlich protestierten, richteten Regierungstruppen mit gezielten Kopfschüssen hin. In diesen Kontext gehört die Geschichte jener Ordensschwester, die Soldaten und Polizisten anflehte, sie anstelle der jungen Menschen zu töten. Das Schicksal von Schwester Ann Rose und ein Brief des Jesuitenbruders Joseph Buan Sing motivierten Papst Franziskus am 16. Mai zu einer Messe im Petersdom für Myanmar. Buan Sing, der dort früher als Lehrer wirkte, spricht davon, dass seine Schüler nicht mehr zur Schule gingen, sondern in den Wald: "Statt des Kugelschreibers haben sie eine Pistole."

Von den rund 50 Millionen Einwohnern Myanmars bekennen sich drei Millionen zum Christentum - rund sechs Prozent. Die meisten sind Protestanten. Ihre Wurzeln reichen ins 19. Jahrhundert zurück. 40 Jahre lang wirkte der US-Baptistenmissionar Adoniram Judson im damaligen Birma. Während sich die buddhistischen Birmanen - die noch heute als tonangebende Ethnie in Myanmar eine ähnliche Stellung innehaben wie die Perser im Iran - als resistent gegenüber der Mission erwiesen, konvertierten insbesondere die animistischen Minderheiten. Im Chin-Staat bekennen sich heute 85 Prozent der Einwohner zum Christentum, im Kayah-Staat sind es 45 Prozent, im Kachin-Staat 33 Prozent. Alle diese Bundesstaaten befinden sich an der Peripherie des Landes, verfügen aber über geostrategische Bedeutung. Sie besitzen wichtige Rohstoffe und Zugänge zu den Nachbarländern Indien, China und Thailand.

Myanmars Diversität ist zugleich sein Verhängnis

Myanmars Diversität ist zugleich sein Verhängnis. Seit seiner Unabhängigkeit 1948 leidet der Vielvölkerstaat unter separatistischen Tendenzen, die die Hegemonie der buddhistisch-birmanischen Elite nicht dulden. Ethnische und religiöse Konflikte, sowie der Zangengriff zwischen den Milliardenländern Indien und China rückten das Militär in die Position des Garanten von innerer Stabilität und äußerer Unabhängigkeit - zum Preis einer jahrzehntelangen Militärdiktatur und einer repressiven Abschottungspolitik, in der die kurze Demokratisierungsphase unter Suu Kyi nur wie ein Schmetterlingsschlag in der Geschichte wirkt. Während über das Schicksal der Rohingya weltweit berichtet wurde, haben Assimilationsdruck, Verfolgung, Zwangsarbeit und Vertreibung bei Minderheiten wie den Chin, den Karen, den Shan oder den Kachin kaum eine Rolle gespielt. Die Repressionen, die den birmanischen beziehungsweise myanmarischen Staat homogenisieren und damit stärken sollten, führten stattdessen seit 1962 zu zahlreichen Aufständen in der Union. 

Die neuerliche Machtergreifung des Militärs deutet eine Wiederholung der Geschichte an. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet spricht von einer "multidimensionalen Menschenrechtskatastrophe" und der Möglichkeit eines "größeren Bürgerkriegs". Indes dienen Ressentiments und Repressalien gegen ethnische und religiöse Minderheiten der Machtabsicherung. Rund 200.000 Menschen, so Bachelet, seien aus ihren Heimatorten vertrieben worden. Dazu zählen auch mehr als 10.000 zumeist christliche Karen. 2000 von ihnen flüchteten nach einer Militäroffensive über die Grenze nach Thailand. Am 24. Mai, dem Pfingstmontag, beschoss die Armee die Herz-Jesu-Kirche in Kayanthayar im Kayah-Staat, in der sich 300 Menschen in Schutz gebracht hatten. Vier Menschen wurden getötet, acht verletzt. Tags zuvor hatte das Militär im Shan-Staat die Kathedrale von Pekhon beschossen. Im Chin-Staat verhafteten dagegen Rebellen der "Chinland Defence Forces" einen Pfarrer und einen Katecheten, weil diese angeblich mit dem Militär kollaborierten. Open Doors listet Myanmar mittlerweile auf Platz 18 der Länder, in denen Christen verfolgt werden.

Katholiken ohne Perspektiven unter Militärdiktatur

Kardinal Charles Maung Bo, Erzbischof von Yangon und Vorsitzender der Bischofskonferenz von Myanmar, gilt als das Gesicht der etwa 750.000 Katholiken in Myanmar - und befindet sich in einer prekären Situation. Kurz nach dem Putsch richtete er einen Friedensappell an die Militärregierung und die Weltöffentlichkeit   und sprach auch die inhaftierte Suu Kyi an: "Sie werden immer die Stimme unseres Volkes sein. ( ) Sie sind die Mutter der Nation. Die Wahrheit wird sich durchsetzen." Das gute Verhältnis zwischen Bo und Suu Kyi, sowie sein Einstehen für die Demokratie ("Frieden ist der einzige Weg. Demokratie ist das einzige Licht auf diesem Weg.") könnten den Katholiken im Land noch zum Verhängnis werden: der Vorwurf der Parteilichkeit steht im Raum. Andererseits haben Katholiken unter einer neuerlichen Militärdiktatur kaum Perspektiven. Unter den Vorgänger-Regimen waren der Import von Bibelübersetzungen und die Einreise von Missionaren verboten. Religiöse Schriften unterstanden der Kontrolle und der Zensur. Mitglieder religiöser Organisationen mussten sich von der Regierung registrieren lassen. Der Bau von Kirchen wurde erschwert oder verboten.

Doch der Angriff auf die Christen ist weniger religiöser, denn politischer Natur - und Myanmar ein Spielball äußerer Mächte. Drei Monate wartete das Militär bis zum Putsch: ein gezieltes Vorgehen, das sich des Rückhalts des Auslands versichern musste. Schon die vergangenen Militärdiktaturen waren Regime von Chinas Gnaden. Für den Drachen zählt Myanmar zu den wichtigsten Vasallen der Region: wegen seiner Scharnierfunktion zu Indien; wegen seiner Ressourcen; und wegen seines direkten Zugangs zum Indischen Ozean. Die Volksrepublik investierte über Jahre Milliardensummen in seinen südwestlichen Nachbarn. In der Sonderwirtschaftszone Kyaukpyu bauen die Chinesen den größten Tiefseehafen des Indischen Ozeans. Er soll Ausgangspunkt der "Neuen Seidenstraße" werden, die über den Suez-Kanal ins italienische Triest verlaufen soll. Von der Hafenstadt gehen Öl- und Erdgas-Pipelines, Eisenbahn- und Autobahnstrecken mitten durch den indochinesischen Dschungel in die südliche chinesische Provinz Yunnan. Vor Kyaukpyu erstreckt sich außerdem das Shwe-Gasfeld, das rund 500 Millionen Kubikfuß Gas täglich nach China liefert.

Myanmar ist Chinas direkter Zugang zu den Weltmärkten, um seinen Rohstoffhunger zu stillen und seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Peking spart sich damit den lästigen Seeweg über die Meerenge von Malakka, den die roten Mandarine aufgrund der vielen Anrainer nur mühsam kontrollieren können. Dass der Gesandte Myanmars bei den Vereinten Nationen nach dem Putsch um Hilfe aus den USA bat, unterstreicht die Ansicht der entmachteten Regierung, wer als Strippenzieher im Hintergrund die Fäden zieht. Ähnlich wie in Syrien überlagern geostrategische Interessen das Wohlbefinden des Landes. Und ähnlich wie in Syrien sind es die Schwächsten, die im Zuge globaler Politik unter die Räder kommen.

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