Der Südsudan muss nach Jahren des Bürgerkriegs weiter auf eine stabile Regierung warten. Seit 2018 herrscht ein ausgesprochen brüchiger Waffenstillstand. Ein Friedensabkommen, das in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba unterzeichnet wurde, wartet noch auf Umsetzung. Wie dringlich dies ist, geht aus einem Schreiben hervor, das am ersten Weihnachtsfeiertag vom Vatikan veröffentlicht wurde. Darin drängen Papst Franziskus und der Primas der anglikanischen Weltgemeinschaft, Erzbischof Justin Welby, die politischen Führer des Südsudan zur Umsetzung des Friedensabkommens. Unterzeichnet hat den Brief auch John Chalmers, früherer Moderator der presbyterianischen Kirche Schottlands.
Erneuertes Bekenntnis zum Pfad der Versöhnung und Geschwisterlichkeit
„In dieser Weihnachtszeit und zu Beginn des neuen Jahres senden wir Ihnen und dem Volk des Südsudan unsere besten Wünsche zu Frieden und Wohlstand”, heißt es in dem Text. Die Unterzeichner erklären, sie seien den politischen Führern des Landes in einem Moment, in dem diese sich „um eine Umsetzung des Friedensabkommens” bemühen sollten, „geistlich nahe” und beteten um ein „erneuertes Bekenntnis zum Pfad der Versöhnung und Geschwisterlichkeit”. Der Brief erwähnt abschließend auch die Hoffnung, dass ihr Wunsch, den Südsudan zu besuchen, einmal in Erfüllung gehe.
Bei einem Treffen mit dem südsudanischen Präsidenten Salva Kiir und dessen politischem Rivalen Riek Machar am 11. April 2019 im vatikanischen Gästehaus „Santa Marta“ hatte Papst Franziskus bereits den Wunsch geäußert, sich „so bald wie möglich, mit der Gnade Gottes in euren geliebten Staat zu begeben“. Präsident Kiir und Oppositionsführer Machar hatten mit mehreren Mitgliedern der designierten Übergangsregierung an einer als „geistliche Einkehr“ deklarierten zweitägigen Begegnung teilgenommen. Kiir ist Katholik, Machar Presbyterianer. Bei dem Treffen mit den beiden Politikern bat Franziskus auch in einer ungewöhnlichen Geste um die Fortsetzung des Friedensprozesses. Der Papst kniete vor den politischen Kontrahenten nieder und küsste ihnen die Füße. „Euch, die ihr den Friedensvertrag unterzeichnet habt, bitte ich als ein Bruder: Bleibt im Frieden. Ich bitte euch von Herzen, gehen wir voran“, sagte Franziskus.
Vergessene Krise im Südsudan
Der Südsudan gehört zu den vergessenen Krisen. Das Land hatte am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit vom Sudan erklärt. Im Dezember 2013 begannen bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Anhängern Kiirs vom Volk der Dinka und denen Machars vom Volk der Nuer aus. Fast 400 000 Menschen sind seit 2013 dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen, Millionen von Südsudanesen sind Flüchtlinge. Verschärft wird derzeit einer der größten humanitären Krisen weltweit durch eine Überschwemmungskatastrophe.
Stefanie Frels, Länderreferentin im Kindermissionswerk „Die Sternsinger“, war wenige Tage vor Weihnachten im Südsudan. Gegenüber der „Tagespost“ schildert sie ihre Eindrücke: „Ganze Landstriche sind verschlammt oder von riesigen Wasserflächen bedeckt. Dort, wo vorher Flüsse waren, sind jetzt Seenlandschaften. Im Norden des Landes sind die Böden so sehr verdichtet, dass das Wasser gar nicht ablaufen kann. Ernten wurden komplett vernichtet. Viele Familien helfen sich in ihrer Notlage mit provisorischen, selbstgebauten Behausungen.“ Schon der einfache Weg zur Schule oder zum Arzt sei nicht mehr möglich, berichtet Stefanie Frels. „Und jetzt steigt durch das stehende Wasser noch die Gefahr von Krankheiten. Aufgrund des verschmutzen Wassers in den betroffenen Gebieten breiten sich Malaria und Durchfallerkrankungen aus. Der Alltag ist für die Menschen extrem mühsam geworden.“
"Bei einer Analphabetenrate, die zu den höchsten
der Welt zählt, sind nur wenige in der Lage, sich umfassend
zu informieren. Die meisten Menschen wissen überhaupt
nicht, was die Weltöffentlichkeit über den Südsudan denkt"
Stefanie Frels, Länderreferentin im Kindermissionswerk "Die Sternsinger"
Fühlen sich die Menschen in dem von Krieg, Hunger und Armut gezeichneten ostafrikanischen Land von der Weltöffentlichkeit im Stich gelassen? Die Länderreferentin antwortet spontan mit Ja: „Zumindest die Menschen im Südsudan mit einer guten Schulbildung. Denn bei einer Analphabetenrate, die zu den höchsten der Welt zählt, sind nur wenige in der Lage, sich umfassend zu informieren. Die meisten Menschen wissen überhaupt nicht, was die Weltöffentlichkeit über den Südsudan denkt.“ Der erhoffte Besuch von Papst Franziskus, Justin Welby und John Chalmers könnte nicht nur eine gemeinsame ökumenische Mission sein: „Der Besuch wäre auch ein Zeichen des Mitgefühls für die leidende Bevölkerung, deren letzte Hoffnung sehr häufig die Kirchen sind,“ meint Stefanie Frels. Den Aufruf des Heiligen Vaters an die internationale Gemeinschaft, den Friedensprozess zu begleiten und zu fördern, hätten viele Menschen wahrgenommen. Sie würden in sein Wort und in seinen Besuch große Hoffnung setzen.
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