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Sterbehilfe-Urteil: Durchbruch oder Dammbruch?

Das deutsche Urteil polarisiert auch in Österreich, wo das Höchstgericht im Juni urteilt.
Sterbehilfe: Auch in Österreich vor Höchstgericht
Foto: www.achimbieniek.com | Folgt der Verfassungsgerichtshof im Juni der Karlsruher Logik? Oder hält Österreich am Verbot der „Mitwirkung am Selbstmord“ fest?

In Deutschland ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem dessen Zweiter Senat am Aschermittwoch das vom Deutschen Bundestag im Herbst 2015 verabschiedete „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ (§ 217 StGB) für verfassungswidrig und nichtig erklärte, überwiegend auf Unverständnis und Kritik gestoßen. Der scheidende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sprachen in einer gemeinsamen Erklärung von „einem Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur“. „Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung“ würden, desto größer sei „die Gefahr, dass sich Menschen in einer extrem belastenden Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt sehen, von einer derartigen Option Gebrauch zu machen und ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten“, heißt es in der Erklärung.

In Österreich gehen Meinungen und Erwartungen auseinander

In Österreich gehen die Meinungen zum deutschen Urteil ebenso weit auseinander wie die Erwartungen an ein bevorstehendes Urteil des Höchstgerichts im eigenen Land. Der öffentlich-rechtliche ORF präsentierte in seiner Hauptnachrichtensendung den „Arzt und Sterbehilfe-Befürworter“ Christian Fiala aus Wien, der einfühlsam schilderte, wie seine Schwester in der Schweiz „den Freitod“ gefunden habe: mit Hilfe einer Organisation, die dort tätig ist. Was der ORF den Zusehern nicht sagte: Christian Fiala ist ein exponierter Abtreibungsarzt, der jüngst mit einem Benefiz-Abend zur Finanzierung von Abtreibungen Furore machte, und Mitglied im Beirat der „Österreichischen Gesellschaft für humanes Lebensende“ (ÖGHL).

Dieser Verband setzt sich für die „Entkriminalisierung der Sterbehilfe“ ein und begrüßte das Karlsruher Urteil als „fundamentalen Durchbruch für ein Sterben in Würde“. Dem Beirat gehört neben Abtreiber Fiala auch Ludwig A. Minelli, der Gründer von „Dignitas“ an, also jener Organisation, die in der Schweiz kommerzielle Sterbehilfe anbietet – und das auch gerne in Österreich täte.

Und der Wiener Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der im Herbst 2019 vier unterschiedlich Betroffene für eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) vereinte: Proksch vertritt einen Patienten mit Multipler Sklerose, einen Mann, der strafrechtlich verurteilt wurde, weil er seiner krebskranken Frau beim Suizid half, einen Parkinson-Patienten und einen Arzt, der Suizidanten bei der finalen Tat unterstützen will. Der Vollständigkeit halber: Die liberale Oppositionspartei NEOS präsentierte Proksch 2016 als Kandidaten für das Amt des Rechnungshofpräsidenten.

Strafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren

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Mit seiner Beschwerde will Proksch das geltende Verbot der „Tötung auf Verlangen“ sowie der „Mitwirkung am Selbstmord“ (§§ 77 und 78 Strafgesetzbuch) zu Fall bringen. Beides ist in Österreich mit Strafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren belegt. Proksch hat angekündigt, nötigenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu klagen, weil die Europäische Menschenrechts-Konvention im Verfassungsrang ist. Allerdings sieht der EGMR keine Verpflichtung eines Staates, Suizid-Beihilfe zu ermöglichen oder zu erlauben.

Stephanie Merckens, Juristin und Biopolitik-Expertin des kirchlichen „Instituts für Ehe und Familie“ (IEF) in Wien, meint, es sei „kein Grund ersichtlich, warum der Verfassungsgerichtshof vom Verbot der Beihilfe zum Suizid abgehen sollte, geht es bei dieser Bestimmung doch gerade darum, andere nicht zum Suizid zu animieren. Einen derart starken Rettungsanker der Suizidprävention sollte man nicht über Bord werfen.“

Ähnlich argumentiert der frühere ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, nun Vorstandmitglied des kirchennahen Vereins „Aktion Leben“: „Hebt man das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung auf, wächst bei den Betroffenen der Druck, sich dafür zu rechtfertigen, überhaupt weiterzuleben und von anderen unterstützt und gepflegt zu werden.“ Häufig sei der artikulierte Sterbewunsch in Wirklichkeit ein Hilferuf. Jan Lédochowski, Präsident der „Plattform Christdemokratie“ ergänzt: „Angesichts der Tatsache, dass praktisch alle Suizide Hilferufe sind, muss man sich die Frage stellen, ob sich hinter der Unterstützung der Euthanasie nicht in Wirklichkeit Gefühlskälte und Verantwortungslosigkeit unter dem Deckmantel der Toleranz und Liberalität verstecken.“

"Mit einer Lockerung der Gesetze
oder gar mit der Erlaubnis zum assistierten Suizid
öffnen wir die Büchse der Pandora"
Alfred Trendl, Präsident des Katholischen Familienverbands

Der Präsident des Katholischen Familienverbands, Alfred Trendl, warnt: „Mit einer Lockerung der Gesetze oder gar mit der Erlaubnis zum assistierten Suizid öffnen wir die Büchse der Pandora.“ Er rät, „den guten österreichischen Weg“ weiterzugehen, der auf Palliativmedizin und Hospize setzt, aber Suizidbeihilfe untersagt.

Die ÖVP-Parlamentarierin Gudrun Kugler weist gegenüber der „Tagespost“ darauf hin, dass das neue Regierungsprogramm die Sicherung der Finanzierung von Hospiz- und Palliativpflege vorsieht. „Nur ein Verbot der Sterbehilfe zwingt die Gesellschaft, menschenwürdige Alternativen zu suchen und zu finanzieren“, so Kugler.

Die Geschäftsführerin des „Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik“ (IMABE), Susanne Kummer, meint im Gespräch mit dieser Zeitung: „Die bestehende Rechtslage in Österreich sichert den Schutz vulnerabler Menschen mit Suizidgedanken.“ Häufig gehe es dabei um Ängste vor Einsamkeit, vor sozialer Isolation und Verlust der Autonomie. Hinter den Bemühungen um eine sogenannte Liberalisierung stünden auch handfeste ökonomische Interessen. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wird für Juni erwartet. Dann wird sich zeigen, ob Österreich dem deutschen Vorbild folgt oder an der vielzitierten Maxime des verstorbenen Wiener Kardinals Franz König festhält, der einst sagte, der Mensch solle „an der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen sterben“.

Gesetzgeber muss sich auf verfassungskonforme Regelung verständigen

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Sofern der deutsche Gesetzgeber die Tätigkeit von Suizidhilfevereinen regulieren will, muss er sich nun auf eine verfassungskonforme Regelung verständigen. Für deren Ausgestaltung verbleibe ihm, wie der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, bei der Verkündigung des Urteils erklärte, zwar ein „breites Spektrum an Möglichkeiten“. Zu berücksichtigen hat er dabei nun jedoch, dass das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, das die Karlsruher Richter aus dem „allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ ableiteten, „in jeder Lebensphase“ bestehe und daher weder an das Alter noch an den Gesundheitszustand des Suizidwilligen gebunden werden kann. Mehr noch, der Suizidwillige muss seinen Wunsch nicht einmal begründen.

Obgleich das Gericht in seinem Urteil festhält, dass niemand zur Suizidhilfe verpflichtet werden könne, und auch das Verbot der „Tötung auf Verlangen“ (§ 216 StGB) vorerst unangetastet bleibt, legt das Urteil die Fundamente für eine der liberalsten Regelung weltweit. So ist in den meisten europäischen Staaten die Beihilfe zum Suizid verboten und unter Strafe gestellt. Liberale Regelungen gibt es in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und der Schweiz.

Außerhalb Europas ist die Beihilfe zum Suizid in Kanada sowie in einigen US-amerikanischen und australischen Bundesstaaten erlaubt, mitunter in Verbindung mit der „Tötung auf Verlangen“. Überall ist die Entwicklung dieselbe: Bestehende Gesetze werden Zug um Zug liberalisiert und die Zahl der Menschen, die sich selbst mit Hilfe Dritter das Leben nehmen, darunter Kinder und Demenzkranke, steigt rapide.

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