Der Experte für arabische und jüdische Philosophie des Mittelalters, Rémi Brague, unterstreicht in seinem Interview mit dem Figaro den Gegensatz zwischen dem Regelsystem der Länder des Abendlandes, das auf „Vernunft und Gewissen“ gründet, und dem der muslimischen Gesellschaften, das auf der „Achtung vor dem vom Koran diktierten Gesetz“ fußt.
Nicht verwundert über die Reaktionen
Brague wundert sich nicht über die Reaktionen, die die Attentate der vergangenen Tage in der französischen Gesellschaft ausgelöst haben, und dass aus ihnen keine Konsequenzen folgen. Denn, so bemerkt er, „die Ursachen sind ja da. Wie kann man dann überrascht sein, dass sie Wirkungen haben? Zu diesen Ursachen gehören eine unkontrollierte Einwanderung, soziale Netzwerke und Prediger, die Hass schüren“. Natürlich werde auf Frankreich als christliche Nation abgezielt: „Für diese Menschen ist Frankreich im Wesentlichen eine christliche Nation, unabhängig davon, dass viele von uns diese Begründung widerwillig ablehnen“.
Denn das Christentum sei von Anfang an seitens des Islam „das Objekt eines mit Verachtung vermischten Hasses“. Denn das Christentum ist für den Islam „eine überholte Religion“, meint der Philosoph, „die die Botschaft von Isa (Jesus) verraten und die das Evangelium (im Singular) verfälscht hat, um aus diesem die Ankündigung der Ankunft Mohammeds zu beseitigen“.
In der muslimischen Stadt von einst wurden „das Christentum wie das Judentum so lange toleriert, wie dies im Interesse des herrschenden Islam lag“. Die Christen entrichteten eine Sondersteuer und „mussten sich Regeln unterwerfen, mit denen sie gedemütigt werden sollten (Koran, IX, 29), damit sie begreifen, dass es zu ihrem Vorteil wäre, zur ‚wahren‘ Religion überzulaufen“. Dass die heute in Frankreich lebenden Muslime sich in der Mehrheit am Ende der sozialen Leiter befinden, werde von ihnen „nicht nur als etwas Peinliches empfunden, sondern darüber hinaus als eine widernatürliche Situation, die in jedem Fall unvereinbar mit dem göttlichen Willen ist“. Frankreich hingegen ist das Land der Kreuzfahrer und das Land der Kolonisatoren.
Konfrontation zweier göttlicher Gesetze
Samuel Huntingtons Begriff vom „Schock der Zivilisationen“ oder vom „Kampf der Kulturen“ sei, wie Brague feststellt, jedoch irreführend: „Ich würde lieber von einer Konfrontation zwischen zwei Regelsystemen, ja sogar zwischen zwei göttlichen Gesetzen, sprechen: das eine wurde von der von Gott erschaffenen Vernunft und dem Gewissen angestrebt, das andere in ein Buch – den Koran – und in das Verhalten Mohammeds diktiert, der es – ohne dabei etwas hinzuzufügen oder wegzustreichen - empfangen hat“.
Der islamistische Terrorismus nun könne einen „Einschüchterungseffekt“ haben: „Schauen Sie schon jetzt die Vorsicht an, mit der sich unsere Medien selbst zensieren. Es braucht gar kein Gesetz gegen die Blasphemie, deren Verbot hat man bereits verinnerlicht. So hilft der Terrorismus auf indirektem Wege, die Vorteile für den Islam zu erlangen, die jene sich wünschen, die sie freundlich erbitten“, meint Brague.
Der Islamismus und der Islam, konstatiert er, „sind tatsächlich unterschiedlich, doch ich erkenne bei ihnen eher einen graduellen als einen Wesensunterschied. Der Islamismus ist der eilige, lärmende und wirre Islam; der Islam hingegen ist ein geduldiger, unauffälliger und methodisch vorgehender Islamismus. Der Islam hat als erklärtes Ziel von Anfang an nicht die Bekehrung der ganzen Welt, sondern ihre - nicht unbedingt militärische – Eroberung. Er versucht, Regime zu errichten, in denen die eine oder andere Form des islamischen Gesetzes in Kraft treten wird, damit ihre Untertanen in einer zweiten Phase langfristig ein Interesse daran haben, zu konvertieren“. DT/ks
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