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Reformer oder Problem?

Muhammad bin Salman ist in der Thronfolge aufgestiegen: Aber wer ist Saudi-Arabiens neuer Kronprinz und vor allem: Was will er? Von Sebastian Sons
Mohammed bin Salman
Foto: dpa | Der neue „Supermann“ Saudi-Arabiens ist erst 31 Jahre alt: Der neue amtierende Kronprinz Muhammad bin Salman.

Es ist eine Zäsur für Saudi-Arabien: Der amtierende saudische König Salman, mit etwa 80 Jahren im Herbst seines Lebens, ernannte seinen Sohn Muhammad bin Salman vom stellvertretenden zum direkten Kronprinzen. Leidtragender dieser Entscheidung ist der bisherige erste Thronfolger und Innenminister Muhammad bin Nayif, der von seinen Ämtern entbunden wurde.

Doch diese Entscheidung ist nicht nur eine weitere Episode im undurchsichtigen Ränkespiel der saudischen Königsfamilie, sondern eine epochale Entscheidung. Immerhin ist MbS, wie Muhammad bin Salman genannt wird, mit seinen 31 Jahren jung genug, das Land über Generationen zu führen – in der Reihe der saudischen Könige im Rentenalter ist das bislang einzigartig. MbS könnte daher die saudische Politik über Jahrzehnte maßgeblich prägen.

Mit der Thronbesteigung seines Vaters Salman im Januar 2015 begann der kometenhafte Aufstieg von MbS: Vorher noch weitgehend unbekannt, katapultierte ihn sein Vater und Protegé innerhalb kürzester Zeit ins Zentrum der saudischen Macht, ernannte ihn zum Verteidigungsminister und übertrug ihm die Verantwortung für die umfassende Reformagenda „Vision 2030“.

MbS stieg schnell zum neuen „Supermann“ der saudischen Politik auf; in westlichen Medien präsentiert er sich als Reformer, zeigt sich überaus selbstkritisch gegenüber den verkrusteten Verwaltungsstrukturen, der Korruption und der Misswirtschaft. Er wolle das Land in ein neues Zeitalter führen, betont er. Als Schlagwort für diesen Wandel gilt besagte „Vision 2030“: Sie soll nicht nur das Königreich vom Öl unabhängig machen, sondern „die Welt begeistern“, wie MbS betonte. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit von etwa 30 Prozent soll bekämpft, der Privatsektor gestärkt und der aufgeblähte Beamtenstaat entschlackt werden. Kurz: Der althergebrachte Sozialvertrag zwischen Untertanen, die für ihre Loyalität zum König kostenlose Gesundheitsversorgung oder Steuerfreiheit erhalten, und den gönnerhaften Herrschern soll der Vergangenheit angehören.

Dafür erntet MbS, der auch „Mr. Everything“ genannt wird, im In- und Ausland Zustimmung. Vor allem die jungen saudischen Frauen und Männer setzen ihre Hoffnungen in den Emporkömmling, der ihrer Generation angehört und ihre Sprache spricht. Die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre, jedes Jahr drängen Hunderttausende gut ausgebildete Universitätsabsolventen auf den überlasteten Arbeitsmarkt und suchen berufliche Perspektiven. Ihre Erwartungen muss er erfüllen, ohne sie zu überfordern. Er muss also das Maß finden zwischen notwendigen Einschnitten und sozialer Verträglichkeit. Dies haben auch andere Könige versucht und sind gescheitert. Er steht also vor einer Mammutaufgabe.

Um diese zu lösen, braucht er die Unterstützung der einflussreichen religiösen Elite. Saudi-Arabien ist ein konservatives, tiefreligiöses Land, in dem die sunnitische Islamauslegung des Wahhabismus als Staatsreligion gilt. Die saudische Königsfamilie, die Al Saud, zieht ihre Legitimation nicht nur aus dem Ölreichtum, sondern auch und vor allem aus der Unterstützung der Religionsgelehrten.

Mitte des 18. Jahrhunderts schlossen der Stammvater der saudischen Dynastie, Muhammad ibn Saud, und der geistige Vater des Wahhabismus, Muhammad ibn Abd al-Wahhab, eine Allianz zwischen Glauben und Krone, die bis heute überdauert. Davon profitierten beide Seiten lange Zeit: Während das Königshaus politische Entscheidungen durch die Gelehrten religiös absegnen lassen konnte, erhielt der Klerus finanzielle Sicherheit und gesellschaftlichen Einfluss.

In den letzten Jahrzehnten haben die Wahhabiten zwar an Einfluss verloren, dennoch konnten saudische Monarchen nicht gegen sie regieren. Stattdessen wurden Kompromisse geschlossen, um die historische Allianz zwischen Klerus und Krone nicht zerbrechen zu lassen. Heute wird der saudische Alltag noch immer von strengen wahhabitischen Regeln dominiert: Frauen ist das Autofahren offiziell verboten, es herrscht Geschlechtertrennung, auf Alkoholkonsum steht die Todesstrafe und Kinos und Opern sind verboten.

In weiten Teilen der islamischen Welt wird der Wahhabismus für seine Borniertheit kritisiert. Dort wettern die liberalen Eliten gegen den Einfluss der wahhabitischen Missionierung: Saudi-Arabien verbreite über religiöse Stiftungen eine Islam-Version, die muslimische Gesellschaften verseuche.

Der zukünftige König sieht sich demnach auch vor der Herausforderung, den Pakt mit der wahhabitischen Elite bewahren zu müssen, um seine Stellung nicht zu gefährden. Immerhin nennt sich der saudische König auch „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka und Medina und beansprucht damit für sich, Schutzpatron der Pilger und damit aller Muslime zu sein.

Dafür braucht er das Wohlwollen der Gelehrten. MbS ist jedoch in seiner noch jungen Karriere nicht unbedingt durch seine Frömmigkeit und Zurückhaltung aufgefallen. Stattdessen gilt er als impulsiver Newcomer, der ehrgeizig ist und innerhalb kürzester Zeit die saudische Gesellschaft verändern will. Einigen Gelehrten geht die jugendliche Dynamik des Prinzen zu weit.

Zwar ist vielen bewusst, dass die wirtschaftliche Krise Reformen erfordert, doch wird die zunehmende gesellschaftliche Öffnung oder der wachsende Einfluss der Frauen argwöhnisch beäugt. Diskussionen um die Einführung von Kinos und die Gründung einer Unterhaltungskommission, die in Saudi-Arabien auch „Glücksministerium“ genannt wird, rütteln an den Grundfesten des wahhabitischen Weltbilds. Der Klerus trat bereits bei der Einführung der Automobile in den 1920er Jahren oder des Fernsehens in den 1960er Jahren als Modernisierungsbremser auf und könnte das wieder tun. Hier könnten also Konflikte drohen. Es wird also auch auf das politische Geschick von MbS ankommen, Kompromisse einzugehen. Dabei könnte ihm seine konfrontative Außenpolitik helfen. Vor allem die Rivalität mit Iran wird von MbS instrumentalisiert, um die inneren Reihen zu schließen. Dabei spielt auch die konfessionelle Dimension des eigentlichen Hegemonialkonflikts zunehmend eine wichtige Rolle: Die Wahhabiten betrachten die Schiiten als „Ungläubige“, die verfolgt werden müssen. Die Islamische Republik gilt nach der Revolution 1979 als Staatsfeind Nummer 1.

In den letzten zwei Jahren hat die anti-iranische und anti-schiitische Propaganda von Seiten Saudi-Arabiens aber nochmals zugenommen. Dahinter steckt auch innenpolitisches Kalkül: Iran ist das gemeinsame Feindbild, wogegen vorgegangen werden muss. Dadurch gelang es den neuen Herrschern, eine Wagenburgmentalität und einen saudischen Patriotismus heraufzubeschwören.

König Salman und sein Sohn konnten sich als starke Anführer präsentieren, die gewillt sind, dem schiitischen Iran entgegenzutreten. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass Saudi-Arabien seit März 2015 Krieg im Jemen führt, der als Einflussgebiet Irans wahrgenommen wird. Diese anti-iranische und anti-schiitische Haltung ist im Sinne des wahhabitischen Klerus, sodass mögliche Risse im Vertrauensverhältnis mit der gemeinsamen Ablehnung der Schiiten ausgeglichen werden könnten.

Sollte dies Teil der MbS-Strategie sein, würde es die Region allerdings weiter destabilisieren. Zuletzt spitzte sich die Lage zwischen dem Königreich und Iran auch aufgrund dieser Konfessionalisierung immer weiter zu. Und auch innerhalb Saudi-Arabiens hinterlässt die anti-schiitische Politik blutige Spuren: In der Ostprovinz lebt die saudische Minderheit der Schiiten, die etwa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Sie wird benachteiligt und als „Agent Irans“ denunziert. Seit 2011 kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und schiitischen Demonstranten. Doch seit Mai scheint die Lage zu eskalieren: So berichten schiitische Aktivisten, dass Teile der Region abgeriegelt seien und ein „Apartheidsystem“ eingerichtet worden sei. Es käme zu willkürlichen Verhaftungen und Hausdurchsuchungen, wenngleich eindeutige Beweise bislang fehlen. Die Begründung: Die Verdächtigten seien Terroristen und würden mit Iran kollaborieren. Mit dieser Repression gelingt es den Herrschern, die beunruhigten wahhabitischen Gelehrten zu umgarnen und sich ihre Loyalität zu sichern. Dies könnte unter König Muhammad weiter zunehmen.

Der Autor ist Saudi-Arabien-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Im Ullstein-Verlag ist Anfang des Jahres sein Buch „Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien ein problematischer Verbündeter“ erschienen.

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