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Ralph Ghadban über Libanesische Clankriminalität

Libanesische Clankriminalität hält die Polizei in Atem. Ein Interview mit Islamwissenschaftler Ralph Ghadban über die kulturellen Hintergründe.
Clan-Kriminalität in Berlin
Foto: dpa | Der Tatort eines Verbrechens, das nach den Ermittlungen der Polizei auf das Konto der Clan-Kriminalität geht: Diese Berliner Sparkassen-Filiale fiel im Oktober 2014 einer Explosion zum Opfer.

Herr Ghadban, wie haben sich die Clans gebildet?

Der Bürgerkrieg im Libanon von 1975 hat das Problem der Clan-Kriminalität geschaffen. Damals kamen die Mhallami, sogenannte libanesische Kurden, zusammen mit „echten“ Libanesen und Palästinensern als erste Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland und wurden hier als „Wirtschaftsflüchtlinge“ betrachtet. Obwohl das Asylrecht in Deutschland ab 1976 verschärft wurde – unter anderem durch ein Arbeitsverbot und die Kürzung der Sozialhilfe – sind die Mhallami geblieben, allerdings am Rande der Gesellschaft. Sie haben dann ihre Clan-Strukturen in Berlin noch stärker ausgebaut, als sie vorher im Libanon schon waren – ganz einfach, weil sie in dieser Situation darauf angewiesen waren.

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Warum sind sie vor allem in Berlin aktiv geworden?

In der Zeit, als Deutschland geteilt war, wurde an der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin nicht kontrolliert. Dadurch wurde Ostberlin zum Einfallstor. Man darf nicht vergessen: Die Mhallami sind in Wirklichkeit weder Libanesen noch Kurden, sondern kommen ursprünglich aus der Südosttürkei und hatten im Libanon keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis, sondern haben als die Ärmsten der Armen in Blechbaracken gelebt.

Sie wollten alle nach Deutschland, und das war in Berlin damals leicht zu bewerkstelligen. Sogar der gekürzte Sozialhilfe-Satz erlaubte ihnen einen sozialen Aufstieg und war für sie attraktiv.

Wie kam es zum Übergang in die Kriminalität?

Sie haben irgendwann festgestellt, dass sie jeden einschüchtern können, wenn sie als Gruppe auftreten. Daraufhin folgte die Verfestigung und der Ausbau der Clan-Strukturen. Die Selbstbedienung in der offenen Gesellschaft, einer Beutegesellschaft, wurde attraktiv. Es ist ganz einfach ein Mythos, dass man die Mhallami nicht hätte integrieren wollen. Man hat ihnen eine Aufenthaltserlaubnis gegeben, aber sie wollten nicht arbeiten gehen und sich nicht integrieren, sondern sind lieber am Rand der Gesellschaft geblieben und haben angefangen, ihre Strukturen zu entwickeln. Der Einzelne ist bei ihnen auf die Sippe angewiesen, und der Clan hatte in der Heimat eine Schutzfunktion. Sie werden in Deutschland ganz einfach durch den Profit zusammengehalten.

Sind alle Mitglieder der Clans kriminell?

Nein, nicht alle sind kriminell, aber alle Clan-Mitglieder decken die Kriminellen, die ihre Verwandten sind. Das erfüllt den Tatbestand der Komplizenschaft, ist aber schwer nachzuweisen.

"Alle Clan-Mitglieder decken die Kriminellen,
die ihre Verwandten sind. Das erfüllt den Tatbestand
der Komplizenschaft, ist aber schwer nachzuweisen"

Die Clans haben sich längst in Richtung von kriminellen Vereinigungen entwickelt; man kommt bei ihnen nicht durch, und die Polizei kann sie auch nicht unterwandern. Mit Raub, Drogenhandel und Prostitution verdienen sie Millionen.

Außer in Berlin haben sich inzwischen auch kriminelle Vereinigungen an anderen Orten gebildet, etwa in Bremen und im Ruhrgebiet haben sie sich etabliert. Sie führen sich wie die Herren auf und können es nicht fassen, dass man das in einem der modernsten Staaten der Welt zulässt.

Ab wann hat sich das so entwickelt?

Ende der 90er Jahre hat sich die Clan-Kriminalität fest etabliert. Ein Clan ist reich geworden, und es setzte ein Wettbewerb unter den Clans um Reichtum und Macht ein. Ihre Waffe ist die Rudelbildung; wer einen Konflikt mit einem hat, der hat gleich die ganze Sippe am Hals. Geheiratet wird zu 100 Prozent endogam, also innerhalb der eigenen Familie, oft zwischen Cousine und Vetter. Zwangsehen und Ehen von Minderjährigen sind keine Ausnahme.

"Es gibt eine Abschottung gegenüber dem Staat.
Er wird als Hindernis für ihre Beutezüge betrachtet
und muss deshalb umgangen werden"

Wie sehen die Clans den Staat?

Es gibt eine Abschottung gegenüber dem Staat. Er wird als Hindernis für ihre Beutezüge betrachtet und muss deshalb umgangen werden. Es herrscht eine Schweigepflicht gegenüber den Instanzen des Staates, die Arbeit der Justiz wird behindert, Zeugen werden systematisch eingeschüchtert. Eine Paralleljustiz ist entstanden.

Warum ist es so weit gekommen? Und warum reagieren die deutschen Sicherheitsbehörden erst jetzt entschlossen auf dieses Phänomen?

In Deutschland ist der Familienbegriff positiv besetzt; dabei denkt man an die kleine bürgerliche Familie und nicht an die Großfamilie. Die Großfamilie der Migranten bildet die Grundeinheit der sozialen Organisation in ihrer Heimat, und das grundlegende Muster der Großfamilie ist der Stamm, der wiederum in Clans zerfällt, die gegeneinander um die Vorherrschaft kämpfen. Die Ausländerfeindlichkeit in den 80er Jahren und der offene Rassismus nach dem Mauerfall haben dazu geführt, dass sich in der Politik der Multikulturalismus durchgesetzt hat, für den alle Kulturen gleich sind. Dadurch durfte die Polizei lange den ethnischen Hintergrund von Straftätern nicht deutlich erwähnen und wurde in ihrer Arbeit gelähmt.

"Der Schlüssel ist die Stellung der Frauen.
Wenn man sie emanzipiert, zerfällt der Clan"

Welche Möglichkeiten sehen Sie, den Clans das Handwerk zu legen?

Ein Patentrezept habe ich nicht, aber ich würde ein Aussteigerprogramm befürworten. Das setzt eine enge Zusammenarbeit aller Institutionen voraus. Der Schlüssel ist die Stellung der Frauen. Wenn man sie emanzipiert, zerfällt der Clan. Jahrzehntelang sind wir – siehe den aktuellen Fall Miri – nicht entschieden genug vorgegangen, und die Politik hat immer wieder Ausreden gebraucht, um nichts unternehmen zu müssen. Uns ist in Deutschland das richtige Denken abhandengekommen; wir denken oft ideologisch. Stattdessen müssen wir endlich die Probleme anpacken und zum Beispiel die unbesetzten Stellen bei Justiz und Polizei besetzen und die benötigten Sozialarbeiter anstellen. Wenn man vernünftig und entschlossen handelt, ist alles möglich.

Zur Person:

Ralph Ghadban, Jahrgang 1949, ist Experte für arabische Clans. Vor allem mit seinem Buch „Arabische Clans – Die unterschätzte Gefahr“ (2018) hat er für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Ghadban hat sich so viele Feinde gemacht; er steht unter permanentem Polizeischutz. Der gebürtige Libanese hat in Beirut Philosophie studiert, 1972 ist er nach Europa umgesiedelt und hat sich in West-Berlin niedergelassen. Dort studierte er Islamwissenschaften. Er hat die Deutsche Islamkonferenz beraten.

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