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Bundeswehr: Rabbiner für die Truppe

Im Bundesverteidigungsministerium laufen die letzten Vorbereitungen: Bald gibt es jüdische Militärseelsorger in der Bundeswehr.
Bund jüdischer Soldaten
Foto: Marcel Mettelsiefen (dpa) | Kippa und Uniform: Etwa 300 jüdische Soldaten dienen nach Schätzungen aktuell in der Bundeswehr.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will in ihren letzten Amtsmonaten noch ein politisch brisantes Ziel in den Soldatenalltag umsetzen: den Aufbau einer Jüdischen Militärseelsorge. Unterzeichnet wurde der Vertrag mit Vertretern des Zentralrates der Juden in Deutschland bereits vor einem guten Jahr im Dezember 2019. Der Abschluss kann durchaus historisch genannt werden. Denn nach 100 Jahren werden wieder Rabbiner einer deutschen Armee angehören. Im 1. Weltkrieg sollen unter den deutschen Soldaten 96.000 deutsche Juden gekämpft haben – 77 Prozent im Fronteinsatz. Damals waren das etwa 17 Prozent der jüdischen Bevölkerung.

Was der Staat von den Rabbinern erwartete

Bemerkenswert auch, was der Staat von den etwa 40 Rabbinern erwartete: Sie waren anfangs unbesoldet, ihre Gemeinden mussten für Ausrüstung und Lebensunterhalt aufkommen. Wie ihre christlichen Kollegen trugen sie Uniform. Ein Davidstern auf der Kopfbedeckung machte ihre Religion kenntlich. Die Tradition der Seelsorge reicht aber noch weiter zurück: Kaiserliche jüdische Soldaten wurden bereits im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 von der jüdischen Feldseelsorge begleitet. Mit dem Ende des 1. Weltkrieges gab es dann weder im Einhunderttausend-Mann-Heer der Weimarer Republik und erst recht nicht in der Deutschen Wehrmacht eine jüdische Seelsorge.

Die Pluralisierung der Seelsorge in der Bundeswehr ist ein schon über Jahre gefordertes Ziel, denn in den Streitkräften der NATO-Verbündeten ist sie lange Alltag.

So in der US-Army oder in den Streitkräften der Niederlande, die sich – im friedensbewussten Deutschland gänzlich undenkbar – „Nederlandse krijgsmacht“ nennt. Ihre 41 000 Berufssoldaten lassen sich von 89 christlichen, zwei jüdischen Geistlichen und sogar 38 humanistischen Militärgeistlichen versorgen. Gemessen an diesen Zahlen, dürfte die Zahl des Segenspersonals in der Bundeswehr doch ein sehr vertretbares Maß sein.

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Planung für jüdische Seelsorge vorangeschritten

Die Planung für eine Seelsorge jüdischer Provenienz ist 2021 im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) weit vorangeschritten. Verantwortlich ist Sven Lange, ein langgedienter Soldat und Oberst im Generalstab. Schon bei der Vertragsunterzeichnung 2019 fragten Pressevertreter nach einer validen Zahl für die in der Bundeswehr Dienst leistenden Soldaten und Soldatinnen jüdischen Glaubens.

Grundlage für die in der Öffentlichkeit genannte Zahl von 300 jüdischen Soldaten in der Bundeswehr sei, so Lange, tatsächlich eine Schätzung auf Grundlage von Daten, die das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in einer wissenschaftlichen Untersuchung erhoben habe, sagt er. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland habe im Antragsverfahren und in der Öffentlichkeit eine gleichlautende Zahl genannt. Dennoch, „die Zahlen muss man mit einer Prise Salz nehmen“, äußert er sich auf einen kritischen Beitrag der Berliner „Tageszeitung“ (TAZ) hin. Dass die Autoren der TAZ die Zahlen „ein Militärgeheimnis“ nennen, sogar in den Raum stellen, es könne sich auch nur um 50 Soldaten handeln, ist etwas unverständlich. Denn den Planern muss man zugute halten, dass sie die Daten solide erhoben haben. Zu einer Auskunft über seine Religionszugehörigkeit kann niemand gezwungen werden.

Die Hochrechnung sieht so aus: Bei 200.000 angenommenen in Deutschland lebenden jüdischen Staatsbürgern, die Hälfte davon sind als Gemeindemitglieder in Kultusgemeinden verbürgt, lassen sich leicht statistisch etwa 300 jüdische Soldaten und Soldatinnen hochrechnen. Für sie sind bis zu zehn Rabbiner oder Rabbinerinnen vorgesehen. Im Grunde seien die Zahlen aber unerheblich für die Bundeswehr, erläutert Lange, denn sie orientiere ihren Bedarf an Seelsorgern an der Gesamtzahl der Soldaten und Soldatinnen und das sind aktuell 184.000, die alle ein Anrecht auf Seelsorge hätten. Bekanntlich sind zudem alle Militärgeistlichen im lebenskundlich-ethischen Unterricht eingesetzt und nehmen an allen Auslandseinsätzen teil. „Seelsorge nimmt sich Zeit zum Gespräch“, sagte der promovierte Historiker. Zudem habe auch die Überlegung eine Rolle gespielt, dass jüdische Seelsorger das Wissen um jüdischen Glauben und Kultur in der Bundeswehr verstärken könnten. „Es geht auch um den Effekt politischer Bildung“, sagte Lange.

Antisemitismus hat in den Streitkräften keinen Platz

Schon anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat mit seinem Präsidenten Josef Schuster am 20. Dezember 2019 hatte der damalige evangelische Militärbischof Sigurd Rink von einem starken politischen Signal gesprochen. Der Staat setze damit auch ein Zeichen, dass Antisemitismus in den Streitkräften keinen Platz habe. In der Folge hatte dann am 28. Mai 2020 der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Jüdischen Seelsorge in der Bundeswehr einstimmig beschlossen. Eine eher seltene parlamentarische Einigkeit.

Ein Gesicht für das jüdische Leben in den Streitkräften ist der Oberst der Reserve Walter Homolka. Der Rektor des Potsdamer Abraham Geiger-Kollegs und Rabbiner gehört der Bundeswehr schon seit Jahren an, als Rudolf Scharping bis 2002 noch Verteidigungsminister war. „Die Herleitung ist sauber“, sagt er zu den Zahlen jüdischer Soldaten. Seine Beobachtung sei, viele wollten kein „coming out“ betreiben. Eine Stabsärztin in Berlin habe ihm gesagt: Ich möchte in meiner dienstlichen Verwendung nicht Vorzeige-Jüdin in der Bundeswehr sein. „Die Pluralisierung der Seelsorge ist eine Kohabitation von Staat und Religionsgemeinschaften. Auf die Organisationsstruktur haben die Kirchen doch gedrungen.“ Für ihn stehe im Mittelpunkt, dass die Seelsorger „Rabbiner zum Anfassen“ sein könnten. Liberal oder orthodox.

Wie die Planung für ein Amt Jüdische Militärseelsorge vorangeht, hängt von kommenden Entscheidungen ab: In den ersten Monaten des Jahres 2021 erwartet Oberst i.G. Lange die Benennung eines Militärbundesrabbiners, der dann von der Verteidigungsministerin und vom Bundeskabinett bestätigt werden muss. In der Folge müsse eine Leiterin oder ein Leiter des Militärrabbinats ernannt werden.

Oberbehörde für alle Religionen?

Noch sei nicht klar, wo in Berlin eine Liegenschaft für die Bundesbehörde gefunden werden könne. Es könnte aber durchaus im Umfeld des Sitzes des Zentralrats der Juden in Deutschland in Mitte sein. Das Bundesamt werde bis zu 50 Mitarbeiter haben. Erwartet werden Kosten in Höhe von 4,67 Millionen Euro jährlich sowie einmalig bis zu 900.000 Euro.

Erst nach diesen Entscheidungen könne die Suche nach Militärrabbinern für einzelne Standorte der Bundeswehr beginnen. Zur Überlegung, eine Oberbehörde für alle Religionen zu schaffen, zeigte sich Lange skeptisch. „Das gegen den Willen der Religionsgemeinschaften durchzusetzen, halte ich für unrealistisch.“ Und tatsächlich geben eine solche Lösung die Militärseelsorgeverträge mit den Kirchen in Deutschland kaum her.

Der Autor war bis 2020 Pressesprecher des Evangelischen Militärbischofs.

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