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„Paukenschlag", „Historisches Urteil“, „Lehrstunde in Sachen Grundrechte"

Suizid-Befürworter bejubeln Karlsruher Richterspruch zur Selbsttötung. „Giordano Bruno Stiftung“ ist begeistert: Richter haben sich selbst ein Denkmal gesetzt. - Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 217 StGB. (Teil 1 von 3)
Bundesverfassungsgericht kassiert Sterbehilfe-Verbot
Foto: Uli Deck (dpa) | Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Zweiten Senats beim Bundesverfassungsgericht, setzt nach der Urteilsverkündung zum Sterbehilfe-Verbot sein Richterbarett auf.

Befürworter des Suizids haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem dieses am Mittwoch das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 Strafgesetzbuch) für verfassungswidrig erklärten als „Paukenschlag“ und „Lehrstunde in Sachen Grundrechte“ gefeiert.

So erklärte etwa die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr, Autorin eines Eckpunktepapiers „für ein liberales Sterbehilfegesetz“, das sich die FDP-Fraktion im vergangenen November zu eigen machte, nach der Verkündigung des Urteils gestern auf Twitter: „Heute ist ein guter Tag. Das @BVerfG hat entschieden: § 217 StGB ist nichtig! Es gibt ein grundgesetzlich garantiertes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz kann es nicht geben.“

„Recht auf Wahlfreiheit“

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Dieter Birnbacher, sprach in einer Pressemitteilung von einem „großen Tag für die Schwerkranken in Deutschland“, die schon lange auf ein solches Signal warteten. „Die DGHS fuhlt sich in ihrer Rechtsauffassung bestatigt, dass die grundgesetzlich geschutzte freie Entfaltung der Personlichkeit auch ein Recht auf Wahlfreiheit am Lebensende einschließt.“ Schwerkranke müssten die Wahl haben, ob sie die Angebote der Palliativmedizin in Anspruch nähmen oder ihr Leben „an der Hand eines fachkundigen Sterbehelfers“ beendeten. Der Wegfall der unmittelbaren Strafandrohung fur Patienten, Arzte und Pflegende sei eine „Beruhigung fur die vielen, die sich fur ihr Lebensende den ,Notausgang‘ einer assistierten Selbsttotung offenhalten wollen. „Die vom Gericht angemahnten Bestimmungen zum Schutz der Patientenselbstbestimmung sollten zugig auf die politische Agenda“, so Birnbacher.

Der Denkmalbau zu Karlsruhe

Die „Giordano Bruno Stiftung“ (GBS) veröffentlichte auf ihrer Homepage einen Bericht ihres Vorstandssprechers Michael Schmidt-Salomon. Der Philosoph, der so etwas wie das Gesicht des neuen, kämpferischen Atheismus in Deutschland ist, war bei der Mündlichen Verhandlung der Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 StGB, die in der Karwoche vergangenen Jahres stattfand, in Karlsruhe als Sachverständiger geladen. Auch bei der gestrigen Verkündigung des Urteils war er im Gerichtssaal dabei, wie ein Foto mit DGHS-Präsident Birnbacher und Dignitas-Chef Ludwig Minelli, beide auch Mitglieder der GBS, belegen soll.

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Die Urteilsverkündigung wertete Schmidt-Salomon als „Lehrstunde in Sachen Grundrechte“. „Die Richterinnen und Richter klärten die anwesenden Politiker daruber auf, dass das Recht des Individuums auf Selbstbestimmung am Lebensende nicht zur Disposition gestellt werden durfe.“ Dabei hätten sie betont, „dass das Grundgesetz vom autonom entscheidenden Menschen ausgehe. Dieser habe das Recht, uber sein Leben und Sterben selbst zu bestimmen.“ Zwar habe der Staat das Recht, Suizidprävention zu betreiben, durfe jedoch nicht in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen eingreifen. Ferner durfe der Staat nicht definieren, unter welchen Bedingungen ein Sterbewunsch legitim sei. Dies dürfe nur das Individuum selbst. „Einengende Kriterien wie etwa das Vorliegen einer ,unheilbaren Krankheit‘ durfe der Staat nicht zur Voraussetzung machen.

Mit seinem Urteil habe das Bundesverfassungsgericht nicht nur dem „Rechtszustand von 2015 wiederhergestellt“. „Nie zuvor“ habe sich ein deutsches Gericht so klar zum Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen uber sein eigenes Leben und Sterben bekannt. Mit dem „historischen Urteil“, habe „der scheidende BVerfG-Präsident Andreas Voßkuhle sich und seinen KollegInnen auf der Richterbank ein Denkmal gesetzt“, so Schmidt-Salomon.

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