Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist eine Katastrophe: politisch, kulturell und spirituell. Der 1934 geschaffene, nun abgeschaffte neutrale Status als Museum war für Christen wie für Muslime nicht befriedigend, doch immerhin eine Chance für beide Seiten, ihre jeweilige Erinnerungskultur mit diesem einzigartigen, spirituell aufgeladenen Bauwerk zu verbinden.
Viele Orthodoxe haben jetzt den Eindruck, die große katholische Weltkirche habe gar nicht begriffen, worum es beim Streit um den Status der Hagia Sophia geht. Schlimmer noch: Sie fühlen sich – wieder einmal – im Stich gelassen, übersehen, vergessen, verraten. Die „Orthodox Times“ in Athen brachte es auf den Punkt: Der sonst „redselige und sensible Bischof von Rom“ schweige, während die religiöse, akademische und politische Welt protestiere. Wörtlich: „Es ist wie 1453, als trotz der Hilferufe aus Byzanz keine Armee aus dem Westen zu Hilfe gekommen ist, als Mehmet II. schließlich Konstantinopel eroberte und die Hagia Sophia in eine Moschee umwandelte. Heute, 560 Jahre später, wiederholt sich die Geschichte.“
Es schmerzt mich sehr
Dass Papst Franziskus am Sonntag beim Angelus in Rom einen mageren Satz für die Tragödie von Istanbul übrig hatte, widerlegt diese Kritik nicht, sondern bestätigt sie. „Ich denke an die Hagia Sophia, und es schmerzt mich sehr“, sagte der Papst. Verglichen mit den Stellungnahmen vieler orthodoxer Kirchen, mehrerer Regierungen, ja sogar der Unesco und der EU ist das nicht nur wenig, sondern viel zu wenig.
Kraft der Kirche liegt in Rom
Die kleine katholische Kirche in der Türkei kann den Mund nicht aufmachen, weil sie als „Kirche ohne rechtlichen Status“ die Konsequenzen eines Protestes möglicherweise nicht überleben würde. Die Kraft und das Gewicht der katholischen Kirche liegt in Rom, beim Petrus-Nachfolger, der unabhängig ist von allen politischen Mächten und Gewalten, und der als Oberhaupt der weltweit größten Glaubensgemeinschaft Stimme und Anwalt aller Christen sein sollte. In diesem Fall war er zu leise.
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