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Nicht mit der Brechstange

Morgen wollen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten. Was Sie dabei unbedingt bedenken sollten.
Coronavirus - Diskussion um Impfungen
Foto: Fabian Sommer (dpa) | Die Behauptung, wer sich impfen lasse, schütze nicht nur sich selbst vor einem schweren Verlauf einer möglichen Erkrankung, sondern auch andere vor einer Infektion, lässt sich nicht unbedingt aufrechterhalten.

Es gibt viele gute Gründe, sich impfen zu lassen. Das gilt ganz besonders für Menschen, die aufgrund ihres Alters und/oder aufgrund von einer oder mehrerer Vorerkrankungen ein hohes Risiko besitzen, bei einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 schwer an COVID-19 zu erkranken oder gar zu versterben. Und: Es gibt gute Gründe, darauf auch zu verzichten. Beschrieben finden sie sich nicht in den Dossiers von Corona-Leugnern, Verschwörungstheoretikern oder Anthroposophen, die von Anhängern eines kindischen Fortschrittsglaubens derzeit so unterschieds- wie erbarmungslos ins Visier genommen werden, sondern in den laufend aktualisierten Aufklärungsmerkblättern, die das „Deutsche Grüne Kreuz“ in Kooperation mit dem „Robert-Koch-Institut“ (RKI) erstellt und in denen über die „Schutzimpfung COVID-19 (Corona Virus Disease 2019)“ mit den mRNA-Impfstoffen der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna sowie den Vektor-Impfstoffen von AstraZeneca und Janssen/Johnson & Johnson nach Regeln der Schulmedizin informiert wird.

Fehlende Daten

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Hinzu kommt: Es gibt Personengruppen, für die es bisher gar keinen zugelassenen Impfstoff gibt und denen daher auch niemand verantwortlich ein „Impfangebot“ machen kann. Das betrifft derzeit alle Kinder unter zwölf Jahren. Für Schwangere und 12- bis 17-Jährige empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Impfung derzeit nur nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung sowie beim Vorliegen einer oder mehrerer Vorerkrankungen. Der Grund: Auch hier mangelt es bislang an belastbaren Studiendaten.

Mehr noch: Auch vollständig geimpfte Menschen können sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren und andere anstecken. Wie hoch dieses Risiko ist, lässt sich nicht exakt bestimmen, sondern hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Deshalb kommen die wenigen, wissenschaftlichen Studien, die es bisher hierzu gibt, auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Da braucht nicht wundern. Denn es liegt es etwa auf der Hand, dass die Rate von Impfdurchbrüchen in Krankenhäusern, in denen routiniertes Personal mit hohem Aufwand Infektionen zu vermeiden sucht, deutlich geringer ausfällt, als bei Tanzveranstaltungen oder Konzerten, bei denen Menschen dazu neigen, sämtliche Vorsichtsmaßnahmen fallen zu lassen.

Die Politik droht, zum Gefangenen ihrer illusorischen Versprechungen zu werden

Fest steht jedoch: Die Behauptung, wer sich impfen lasse, schütze nicht nur sich selbst vor einem schweren Verlauf einer möglichen Erkrankung, sondern auch andere vor einer Infektion, lässt sich, zumindest in der Pauschalität, mit der sie bisher behauptet wird, nicht aufrechterhalten. Immer noch ungeklärt ist auch, wie lange der Impfschutz anhält. Auch das RKI, dem zufolge Impfungen „wesentlich dazu beitragen, die Übertragungen einzudämmen“, hält es für unrealistisch, „dass der SARS-CoV-2-Erreger wieder verschwindet“. Angenommen werden müsste vielmehr, dass dieser „epidemisch weiter zirkuliert“.

Die Politik droht zum Gefangenen ihrer illusorischen Versprechungen zu werden. Motto: Der Impfstoff wird es richten. Nach allem, was man bisher weiß, wird er das nicht. Falsche Prognosen lassen sich auch mit der Brechstange nicht bewahrheiten. Ihr Gebrauch droht vielmehr auch mehr noch den Rest an Vertrauen zu vernichten, den die Bürger der Politik entgegenbringen. Sehr groß scheint der derzeit ohnehin nicht mehr zu sein.

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Stefan Rehder

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