Für den Nahost-Experten Rainer Hermann liegt das Drama der Christen in der arabischen Welt heute darin begründet, dass sie entgegen ihrer liberalen Tradition an der Seite von autoritären Regimen stünden. Im Gespräch mit der „Tagespost“ erklärt der Nahost-Beobachter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), dass sich dies besonders in Syrien und Ägypten manifestiere. „Die Christen sind Stützen Sisis und Assads.“
Die Alternative: der dschihadistische Islam
Zwar räumt Hermann ein, dass den Christen in der Region oft keine Wahl bliebe, da die Alternativen zu diesen Herrschern in Ägypten beispielsweise der politische, in Syrien sogar der dschihadistische Islam drohe. Durch die Verbrüderung mit autoritären Regimen gehe jedoch die „Sauerteigfunktion“ verloren, die Christen durch ihre kulturellen Leistungen, etwa die Verbreitung von Bildungs- und Schulwesen, lange innegehabt hätten. Grundsätzlich würden die Christen dazu neigen, sich vorschnell auch mit zweifelhaften Regimen zu verbünden, „ohne Alternativen überhaupt nur eine Chance zu geben“.
Durch die Parteinahme seien Christen auch in die Schusslinie militanter islamistischer Regime geraten, daher aber stets sekundäre Ziele gewesen, so Hermann weiter. „Mir ist jedenfalls keine islamistische Bewegung bekannt, die sich zunächst auf die Christen fokussiert hätte und dann erst auf die als unislamisch gebrandmarkten Regime wie das Nassers, Saddams et cetera.“ Hermann verweist darauf, dass die Masse der Opfer islamischen Terrors mit bis zu 98 Prozent Muslime seien. „Es ist in erster Linie ein innerislamischer Konflikt um die Auslegung des Islams.“
Gegangen sind die Jungen, geblieben die Alten
Auf die Frage, wie es für die Christen in der Region weitergehe, meint Hermann: „Die Prognose ist, dass der Exodus weitergeht, je nach Land natürlich unterschiedlich schnell.“ Angaben des maronitischen Erzbischofs der syrischen Stadt Aleppo zufolge lebten dort heute nur noch 35.000 Christen, während es 2011 noch 175.000 gewesen seien. „Gegangen sind die Jungen, geblieben sind die Alten und die Armen.“
Insgesamt gelte, dass keine christliche Zukunft möglich sei, wo es keine funktionierenden Staaten gebe. „Und das unabhängig davon, ob der Islam Christen anfeindet oder nicht“, so Hermann. Von dem Verfall und den Kriegen seien alle betroffen, Christen wie Muslime.
DT/mlu
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