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Militärrabbiner als starkes Signal

Die Bundeswehr bekommt ihren ersten Militärrabbiner: Zsolt Balla, Landesrabbiner von Sachsen. Schätzungen zufolge gibt es etwa 300 jüdische Soldaten in der Bundeswehr.
Bund jüdischer Soldaten
Foto: Marcel Mettelsiefen (dpa) | Kippa und Uniform: Etwa 300 jüdische Soldaten dienen nach Schätzungen aktuell in der Bundeswehr.

Sie tragen im Einsatz militärische Schutzkleidung ohne Dienstgradabzeichen, sondern mit einem Kreuz: die evangelischen und katholischen Militärseelsorger. Der orthodoxe Landesrabbiner von Sachsen, Zsolt Balla, der am 21. Juni in der Leipziger Synagoge als erster Militärbundesrabbiner offiziell in sein Amt eingeführt wird, wird auf den Schulterklappen zwei stilisierte Gebotstafeln tragen.

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Wie ihre christlichen Pendants sollen die jüdischen Seelsorgerinnen und Seelsorger Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen im In- und Ausland begleiten. Vor allem werden sie auch am Lebenskundlichen Unterricht zur ethischen Bildung (LKU) mitwirken. Hier ist bereits die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus Thema. Doch, meint Balla gegenüber der „Tagespost“, sei es „für uns Rabbiner eher möglich, authentisch mit den Soldaten über diese Themen zu sprechen. Wir wollen auf jeden Fall unseren Beitrag dazu leisten, Antisemitismus in der Armee zurückzudrängen.“ Ein wichtiges Signal in einer Zeit, da der Bundeswehr rechtsextreme Tendenzen im Inneren vorgeworfen werden.

An Themen wird es dem 42-jährigen Militärbundesrabbiner ohnehin nicht mangeln. Vorerst spüre er eine „sehr große Verantwortung und ebenso große Vorfreude“, äußerte er gegenüber dieser Zeitung: „Mit der jüdischen Militärseelsorge möchten wir eine neue Perspektive in die Bundeswehr einbringen und für die Soldaten und ihre Angehörigen vertrauensvolle Ansprechpartner werden. Zugleich möchten wir auch mehr junge Jüdinnen und Juden motivieren, Soldat in der Bundeswehr zu werden. Wir möchten den jüdischen Soldaten zur Verfügung stehen, egal, an welchem Standort sie arbeiten. Und darüber hinaus sind wir auch Ansprechpartner für alle anderen Soldaten.“ Wie viele jüdische Soldatinnen oder Soldaten derzeit in der Bundeswehr dienen, sei nicht bekannt, sagt der künftige Militärbundesrabbiner. Schätzungen gehen von rund 300 Jüdinnen und Juden in der Bundeswehr aus. Die Religionszugehörigkeit der Bundeswehrangehörigen wird nur auf freiwilliger Basis erfasst, daher gibt es keine genauen Zahlen.

Militärbischofsamt freut sich auf Zusammenarbeit

Mit Zsolt Balla wird es erstmals nach rund 100 Jahren und 76 Jahre nach dem Holocaust wieder jüdische Militärseelsorge in der deutschen Armee geben. An der Amtseinführung in der Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig wollen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sowie der evangelische und katholische Militärbischof teilnehmen. Der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Bischof Franz-Josef Overbeck, werde sich mit dem zukünftigen Militärbundesrabbiner, „wie schon seit langen Jahren in ökumenischer Verbundenheit der Katholischen mit der Evangelischen Militärseelsorge, für das Wohl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, deren Familien und Angehörigen einsetzen“, heißt es auf Anfrage der „Tagespost“ in einer Erklärung des Katholischen Militärbischofsamtes (KMBA). „Zusammen werden sie sich um die ethischen Fragen und ihre Deutung kümmern und bemühen sowie den Glauben bezeugen.“ Die gesamte Katholische Militärseelsorge freue sich auf den nun beginnenden gemeinsamen Weg.

Ende 2019 hatten Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Zentralrat der Juden in Deutschland einen Staatsvertrag über die jüdische Militärseelsorge unterzeichnet. Deren Struktur ähnelt der von den beiden großen Kirchen verantworteten christlichen Militärseelsorge. Wegen der Corona-Pandemie hatte sich die Umsetzung verzögert. Als Militärbundesrabbiner wird Balla von Berlin aus wirken und die Arbeit von bis zu zehn jüdischen Geistlichen in der Bundeswehr koordinieren. In der Hauptstadt wird das Militärrabbinat als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung eingerichtet.

Das Militär ist für ihn kein Neuland

Das Militär ist für den am 18. Februar 1979 in Budapest geborenen Zsolt Balla kein Neuland. Ballas Vater diente als Oberstleutnant in der ungarischen Volksarmee, als Kommandeur einer Truppeneinheit. Die Familie hatte mit dem Judentum kaum etwas gemein, Zsolt wuchs zunächst völlig unreligiös auf. „Doch dem kleinen Jungen war die Realität im real existierenden Sozialismus zu langweilig und trostlos – er hatte schon immer ein großes Faible für Bücher. Und besonders interessierten ihn die Geschichten aus der Bibel“, vermerkt die in Köln ansässige Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschlands.

In Umbruchzeiten den Weg zum Glauben zu finden, kann spannend, aber auch verblüffend sein: „Als die Kirchen während des Zusammenbruchs des sozialistischen Systems mutiger wurden und ihre Tore immer weiter öffneten, wollte sich der damals gerade einmal neun Jahre alte Zsolt einer christlichen Gemeinde anschließen. Sozusagen in letzter Minute schritt die Mutter ein. ,Da hat meine Mutter zu mir gesagt: Zsolt, wir müssen reden', erinnert er sich. Erst dann erfuhr er, dass er in Wirklichkeit ein jüdisches Kind ist. Statt in die Kirche ging der Junge von da an in die Synagoge.“

Trotzdem schlug er nach dem Schulabschluss zunächst eine andere Laufbahn ein: Balla studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Budapest. In seinen letzten Studienjahren wuchs sein Interesse am Judentum allerdings immer mehr, erläuterte die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschlands, „ihm fehlte einfach die Spiritualität.“ Über die Lauder Foundation kam Balla 2003 nach Deutschland. Die entsandte ihn nach Leipzig. In Berlin besuchte er die Jeschiwa (Talmud-Hochschule) „Beis Zion“ und schrieb sich am Hildesheimer Orthodoxen Rabbinerseminar in Berlin ein, er wurde 2009 in München zum Rabbiner ordiniert und ist seither Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Weitere Stationen: seit 2012 Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz und Leiter des Instituts für Traditionelle Jüdische Liturgie in Leipzig, seit 2019 Landesrabbiner von Sachsen. Hier gehören etwa 2 600 Menschen den jüdischen Gemeinden in Dresden, Chemnitz und Leipzig an.

In seiner Freizeit spielt der Rabbiner Rock

Da bleibt kaum noch Zeit für sein liebstes Hobby: In seiner Freizeit spielt der mit einer gebürtigen Ukrainerin verheiratete Vater von drei Kindern Bassgitarre. In der Rock-Band „The Holy Smokes“, die Zsolt Balla mit Freunden noch am Rabbinerseminar gründet hat, ist er sogar der Frontmann. „Der sonst feinfühlige Balla lässt es hier auch mal ordentlich krachen“, weiß die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschlands zu berichten. Ein Kritiker habe über ihn geschrieben, er würde in der Band „den musikalisch härteren Part verkörpern.“ Die Wirkung von Musik zu kennen, kann im Alltag hilfreich sein.

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Carl-Heinz Pierk

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