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Martin van Creveld: "Die Angst treibt den Iran"

Ein Gespräch mit dem Militärexperten Martin van Creveld über die Strategie des Irans.
Mobilisierung der Massen: Eine Anhängerin des Regimes
Foto: Rouzbeh Fouladi (ZUMA Wire) | Mobilisierung der Massen: Eine Anhängerin des Regimes demonstriert in Teheran letzte Woche nach dem Freitagsgebet.

Herr Professor van Creveld, welche strategischen Ziele verfolgt der Iran im Nahen Osten?

Die Iraner sind – und dies zu Recht – getrieben von ihrer Angst vor den USA, diesem merkwürdigen Land. Kein anderes Land hat seit 1945 so viele Kriege geführt und militärisch interveniert wie die USA. Und sie kämpfen immer in den Ländern der anderen, sozusagen auf deren Rechnung, sodass das eigene Volk den Krieg nicht erlebt und die Kriegsführung so gesehen billig für sie ist. Um dies zu verstehen, muss man auch bedenken, dass ein US-amerikanischer Präsident in der Außenpolitik weit größere Freiheiten besitzt als in der Innenpolitik, wie Henry Kissinger, der wie kein Zweiter die Außenpolitik dieses Landes in den 1970er Jahren prägte, einmal festgestellt hat. Die USA sind innenpolitisch ein demokratisches und liberales Land – aber das gilt nicht für deren Außenpolitik. Das wissen die Iraner und haben deshalb Angst.

"Schon seit der Islamischen Revolution 1979
haben die neuen Eliten Irans Angst vor den USA"

Die Islamische Republik Iran beabsichtigt, in den Besitz von Kernwaffen zu gelangen und bedroht dadurch den gesamten Nahen Osten. Ist der Beweggrund dafür nur die Angst vor den USA?

Die politischen Eliten des Iran haben gesehen, wie der libanesische Diktator Muammar al-Gaddafi und im Irak Saddam Hussein durch das Eingreifen der USA gestürzt und gewaltsam getötet wurden. Und sie haben selbst erlebt, wie die Nachrichtendienste der USA und Großbritannien den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh 1953 gestürzt haben. Schon seit der Islamischen Revolution 1979 haben die neuen Eliten Irans Angst vor den USA. Und unter ihnen herrscht die Überzeugung, dass nur die Entwicklung oder Beschaffung von Kernwaffen ihnen Schutz bietet, denn militärisch sind sie ansonsten unterlegen. Und hier liegt das Problem: Diese Absicht führt zum Konflikt mit den USA und deren Stoßtruppe im Nahen Osten, Israel. Es ist ein sehr gefährliches Spiel momentan. Der Iran navigiert auf einer sehr dünnen Linie. Sie wollen keinen Krieg mit den USA, aber sie wollen sich absichern vor den USA.

Martin van Creveld
Foto: KKS

Bedeutet dies nicht, dass beide Seiten somit unvermeidlich auf einen Krieg zusteuern?

Ich glaube, die Iraner wollen im Endeffekt gar keine Atombombe bauen – sonst hätten sie es schon längst tun können, seitdem sie bereits in den 1980er Jahren, noch unter dem letzten Schah Mohammad Reza Pahlavi, damit angefangen hatten. Sondern sie wollen sich in die Position bringen, dass sie schnell eine Atombombe bauen könnten, um so drohen zu können, ohne eine Atombombe zu besitzen. Und es gibt auch einen klaren Grund, warum sie keine Atombombe besitzen wollen. Wenn man eine Atommacht ist, dann verliert man einen Teil seiner Handlungsfreiheit. Zum Beispiel hätte 1980 Ägypten eine Atombombe bauen können. Ägypten hat den Schritt zur Atommacht jedoch nicht gewagt. Warum? Im Nahen Osten, wo man schnell – auch ungewollt – in einen Krieg hineingezogen wird, da ist es zu gefährlich, Atombomben zu besitzen. Es geht stattdessen um die optimale Abschreckung, ohne selbst eine zu hohe Gefahr einzugehen. Und ich glaube, der Iran hat es erreicht, dass sie innerhalb kurzer Zeit – wenn sie eine direkte Gefahr vermuten – eine Atombombe bauen könnten.

"Ohne Bundesgenossen ist man im Nahen Osten
machtlos, darum schafft sich Iran durch die
Unterstützung von Terrorgruppen seine
Verbündeten und destabilisiert so die anderen Länder"

Der Iran droht jedoch nicht nur mit der Absicht, eine Atombombe zu bauen, sondern schürt aktiv die Konflikte im Nahen Osten, sei es zwischen Hisbollah und Israel oder im Jemen gegen Saudi-Arabien. Welche Ziele verfolgt der Iran im Nahen Osten?

Der Iran hat seine Lektion des Dritten Golfkrieges im Jahr 2003 gelernt. Ohne Bundesgenossen ist man im Nahen Osten machtlos, darum schafft sich Iran durch die Unterstützung von Terrorgruppen seine Verbündeten und destabilisiert so die anderen Länder. So sind Israel und Saudi-Arabien Geiseln in den Händen Irans geworden. Wenn man sehr genau hinhört, versteht man diese Taktik auch: Soweit ich weiß hat nie ein Ajatollah gesagt, man werde Israel einfach angreifen – sondern es geht immer um eine Vergeltungsdrohung, wenn von der Vernichtung Israels gesprochen wird. Es ist das Ziel des Iran, um das eigene Land eine Pufferzone zu schaffen und den Rückhalt der Amerikaner im Nahen Osten zu mindern. Das ist natürlich wieder ein gefährliches Spiel. Vielleicht werden dadurch Saudi-Arabien und Israel vorsichtiger werden und nicht Hand in Hand mit den USA gehen – oder es ist umgekehrt und die Länder werden in die Arme der Amerikaner getrieben. Meiner Ansicht nach ist der Iran sehr schwach. Und ihre Angst treibt sie – nun sind sie nicht die Einzigen mit Angst. Auch Israel und Saudi-Arabien handeln aus Angst. Die Iraner sind aber nicht verrückt – sondern sie spielen ein sehr kompliziertes außenpolitisches Spiel.

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Der Iran spielt im Nahen Osten sozusagen mit dem Feuer. Und wie schätzen sie auf der anderen Seite das strategische Vorgehen des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump ein?

Da liegt nun ein schwerwiegendes Problem. Er ist in dieser hochkomplizierten diplomatischen Situation ein unberechenbarer Spieler. Man erkennt kein strategisches Vorgehen Nun gibt es über Donald J. Trump zwei Meinungen: Entweder weiß er genau, was er will, stellt sich aber nach außen verrückt dar – das ist die sogenannte Madman-Theorie, die schon einer seiner Vorgänger, Richard Nixon, kultiviert hat; oder Donald J. Trump handelt – und das ist in dieser Situation verrückt – ohne Plan. Für mich ist dieser Mann ein gefährliches Rätsel. Man weiß nie, was er morgen tun wird, und sein Handeln wird meiner Ansicht nach von dem politischen Nutzen für ihn selbst bestimmt.

"Israel bleibt auch trotz der Friedensverträge
mit Ägypten und Jordanien im Nahen Osten
isoliert und auf sich allein gestellt"

Wenn man Ihren Ausführungen folgt, bedeutet das, dass Israel als enger Verbündeter der USA nun an der Seite eines unberechenbaren US-Präsidenten steht und zugleich eine Geisel des Iran ist. Wie ist Israel in dieser Konfliktsituation positioniert?

Israel als Feind hat für den Iran den Vorteil, dass der Großteil der Araber uns hasst und so sind wir ein leichtes Ziel. Zugleich führt der Konflikt zwischen Israel und dem Iran einige arabische Länder näher an die Seite Israels – der Feind deiner Feinde ist dein Freund. Man muss aber auch klar benennen, das dies niemals bedeuten würde, dass nun im Falle, dass Israel angegriffen wird, einer der arabischen Staaten Israel zur Seite stehen würde. Es gibt ein diplomatisches Wohlwollen und eine Zusammenarbeit der Nachrichtendienste zum Beispiel mit Saudi-Arabien – aber Israel bleibt auch trotz der Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien im Nahen Osten isoliert und auf sich allein gestellt. Das gilt umso mehr in der Ära Trump.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat im vergangenen Jahr bei ihrem Staatsbesuch nochmals betont, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sei. Welche Rolle spielt Deutschland und die Europäische Union im Nahen Osten im Angesicht des Irans?

Ich finde Europa ganz uninteressant. Wer schert sich um diese – entschuldigen sie den kräftigen, aber passenden Ausdruck – Waschlappen? Es lohnt sich gar nicht darüber zu reden, da Europa, auch die ehemaligen großen Nationen Großbritannien und Frankreich, im Nahen Osten absolut keine Rolle spielt. Die Europäische Union ist einfach zu schwach. Die in ihr vertretenen Länder stellen keine militärische Macht dar. Schauen Sie zum Beispiel auf die deutsche Bundeswehr – deren Zustand ist ein schlechter Witz. Nun muss man auch anmerken, dass für Deutschland nach 1945 gilt: aliis si licet, tibi non licet, „wenn es anderen erlaubt ist, so doch nicht dir“. Das gehört auch zur Realpolitik – daran wird sich nichts ändern. Dieses Problem haben die Franzosen und Briten nicht, aber sie sind aus anderen Gründen schwach – und Israel weiß, dass es im Falle eines Krieges nicht auf Europa zählen kann.

Zur Person:

Martin van Creveld gilt als einer der führenden Militärexperten für den Nahen Osten. Der Israeli niederländischer Herkunft, Jahrgang 1946, war von 1988 bis zu seiner Emeritierung 2008 Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Van Creveld ist zudem publizistisch tätig und hat auch immer wieder als Berater gearbeitet, etwa für das Pentagon. Er ist der Verfasser zahlreicher Untersuchungen zu militärgeschichtlichen Fragen; van Creveld nimmt aber auch immer zu aktuellen politischen Fragen Stellung. Zuletzt ist von ihm auf Deutsch erschienen: „Wir Weicheier. Warum wir uns nicht mehr wehren können und was dagegen zu tun ist“ (Ares, 2017).

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