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Liberaler, Lenker, Logo-Experte

Die Skepsis vor dem Religiösen prägt auch FDP-Chef Christian Lindner. Von Michael Gregory
Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - FDP
Foto: dpa | Ein Mann will nach oben: FDP-Chef Christian Lindner, hier noch im Düsseldorfer Landtag, zieht es nach Berlin.

Christian Lindner, Star der 2013 aus dem Bundestag geflogenen FDP, haftet das Image des Selbstdarstellers an. Egozentriker ist noch eine der freundlicheren Eigenschaften, die ihm zugewiesen werden. Doch am 11. Februar 2017 zeigte er es seinen Kritikern: „Hurra, wir leben noch!“, sang der FDP-Bundesvorsitzende auf der Bühne vor den Aachener Karnevalisten bei der Ordensverleihung „Wider den tierischen Ernst“ – und lieferte damit feine Komik: originell, schwungvoll und vor allem selbstironisch.

Wer ist dieser Mann, der seine Partei bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auf 12,6 Prozent hievte, das beste Ergebnis der Liberalen seit Bestehen des bevölkerungsreichsten Bundeslandes? Ist er ein Parteichef, der die Freidemokraten als eine Art Ich-AG betrachtet, ähnlich wie vor rund zehn Jahren der inzwischen verstorbene Guido Westerwelle? Oder doch einer, dem seine persönliche Popularität lediglich Mittel zum Zweck ist, um damit für liberale Themen zu werben?

Fest steht: Christian Lindner, 38 Jahre alt, aufgewachsen im Bergischen Land, Porsche-Fahrer, seit 2011 verheiratet mit der stellvertretenden Chefredakteurin von Welt/N24, Dagmar Rosenfeld-Lindner, ist ein begabter Vermarkter. Möglichst früh wollte er auf eigenen Beinen stehen – „mit eigenem Auto und eigener Wohnung“, sagt er. Sobald es ging, habe er ein Gewerbe angemeldet, um sich seine Wünsche selbst zu finanzieren, eine Werbeagentur, die vor allem regionale Telefongesellschaften an den Markt begleitet hat. Lindner als Logo-Fachmann. „Ich bin bis heute stolz darauf, mir schon früh Unabhängigkeit erarbeitet zu haben“, sagt er.

Der Drang nach oben, sein Leben aus eigener Kraft in eine positive Richtung zu lenken – beim Rheinländer Lindner ist er zweifellos üppig gediehen. Insofern war es bis zum Engagement in der FDP Wermelskirchen, seiner Heimatstadt, nur ein kleiner Schritt, der Partei, die für sich in Anspruch nimmt, am konsequentesten darauf zu setzen, dass es jeder nach oben schaffen kann. Vom Bergischen aus nahm Lindners Karriere ihren Lauf: Gründer der Wermelskirchener Jungen Liberalen in den Neunzigern, 1998 Mitglied des FDP-Landesvorstandes, im Jahr 2000 Abgeordneter im NRW-Landtag, 2009 MdB, 2012 Chef der FDP-Fraktion im NRW-Landtag, FDP-Bundesvorsitzender seit 2013, nachdem die Liberalen den Einzug in den Bundestag spektakulär verpasst hatten. Seitdem betreibt Lindner Aufbauarbeit. Der bisher größte Zwischenerfolg ist das Ergebnis seiner Partei in NRW am vergangenen Sonntag.

Dabei leisten ihm vor allem sein rhetorisches Talent – viele hören ihm gern zu, auch wenn sie anderer Meinung sind –, sein smartes Auftreten und seine kommunikativen Fähigkeiten gerade im Internet wertvolle Dienste. Als Teamspieler ist Lindner bis jetzt jedoch nicht oft in Erscheinung getreten. Gerade das aber wird gebraucht, wenn es darum geht, Kompromisse einzugehen, die für ein tragfähiges Regierungsbündnis unerlässlich sind – wie jetzt an Rhein, Ruhr und Weser, wo viel auf eine Kooperation zwischen CDU und FDP hindeutet. Manches erinnert bei Lindner an den früheren FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, dessen Strahlkraft ebenfalls so stark war, dass die Freidemokraten nach außen hin lange Zeit als One-Man-Show wahrgenommen wurden. Das Ende dieser Entwicklung ist bekannt. In Düsseldorf wird sich jetzt zeigen, ob und in welchem Maße Lindner das Mannschaftsspiel beherrscht.

Die Frage wird sich wohl auch bald auf Bundesebene stellen, denn Lindner kandidiert am 24. September für den Bundestag. Sollte er den Wiedereinzug schaffen, wofür manches spricht, wird er eine führende Rolle in der FDP-Bundestagsfraktion einnehmen, vielleicht sogar in der Regierung, wenn die FDP als Koalitionspartner gefragt sein sollte. Klar ist, dass Integration eine Mammutaufgabe in der kommenden Legislaturperiode wird, zumal die Zuwanderung bald wieder steigen könnte. Lindners bisherige gesellschaftspolitische Positionen lassen allerdings Zweifel aufkommen, ob er die Kraft aufbringt, dem in der FDP nicht unbedingt weit verbreitetem Denken von einer inklusiven Gesellschaft Raum zu geben. Einer Gesellschaft, zu der an wichtiger Stelle auch die Religion gehört.

Mit Blick darauf ist Lindners Beitrag „Die republikanische Offensive“ in der FAZ vom 18. Oktober 2010 in Erinnerung, der seine Vorbehalte gegenüber Religion und Kirchen als gesellschaftlich prägende Faktoren zum Ausdruck bringt. Die Welt sei geordnet, so der konfessionslose Lindner, durch weltliche Gesetze, nicht aber durch religiöse Gebote.

Tatsächlich? Religiöses Bekenntnis und gelebter Glaube bleiben vielerorts wichtiger Teil der Lebenswirklichkeit, unabhängig davon, dass sich christliche Praxis oft auf dem Rückzug befindet. Darum scheint es eher kurzsichtig und lebensfern, den Faktor Glaube nicht als prägende Kraft anzuerkennen, die vielen Menschen wichtig ist, gerade unter den Zuwanderern. Ist es möglich, wie Lindner es vorschlägt, die Religion grundsätzlich dem Privaten zuzuordnen, ohne sie in der Integration mitzudenken und zu berücksichtigen?

So jedenfalls liest sich Lindners Aufsatz, auch wenn er betont, dass der säkulare Staat die Regionsfreiheit achtet und zusichert und die FDP „nicht mehr antiklerikal und antireligiös wie in früheren Zeiten“ sei. Dennoch: Die Skepsis vor dem Religiösen als ein für viele selbstverständlicher Teil des Lebens bleibt.

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Regina Einig