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Leitartikel: Magere Mehrheit

Von Jürgen Liminski

Die erste Ansprache war ernst, fast nachdenklich. Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron, der achte und jüngste in der Geschichte der Fünften Republik, ahnt wohl, dass der Triumph nur von kurzer Dauer sein könnte. Die 65 Prozent sind trügerisch. Sie entsprechen den Erwartungen der Umfragen. Überraschend sind zwei andere Zahlen: 25,6 Prozent der 47 Millionen Wähler enthielten sich – eine historisch hohe Enthaltung – weitere fast zehn Prozent gingen hin und wählten bewusst ungültig. Sie kann man schwerlich als Anhänger des strahlenden Siegers bezeichnen. Wenn man jetzt noch die Wähler abzieht, die Macron gewählt haben, um Le Pen zu verhindern, dann dürfte man bei den knapp 24 Prozent landen, die Macron auch im ersten Wahlgang gewählt hatten. Nur jeder vierte Wähler steht zu dem neuen Präsidenten – auf dieser schmalen Basis kann man nicht regieren. Macrons Ansprache war ein Appell an die Franzosen, ihn mit einer Mehrheit bei den kommenden Parlamentswahlen im Juni auszustatten.

Das dürfte schwierig werden. Der linksextreme Melenchon hielt am Wahlabend eine Ansprache, die man als Kriegserklärung werten kann. Um die sieben Millionen Wähler, die im ersten Wahlgang für ihn gestimmt hatten, will er eine linke Mehrheit im Parlament formen. Desgleichen Le Pen. Sie will eine rechte Mehrheit um ihre elf Millionen Wähler sammeln, wobei man bei ihr auch einige Prozent abziehen müsste, die nicht für sie, sondern gegen Macron gestimmt haben. Und dann sind da noch die Konservativen, die sich nun hinter Francois Baroin, den designierten Premier der Republikaner, sammeln werden. Wenn es gelingt, geschlossen in die Wahlen zu gehen, könnten die Republikaner eine entscheidende Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung erobern. Macron wäre gezwungen, Baroin zum Premierminister zu ernennen.

Auf wen kann sich der strahlende Sieger stützen? Eigentlich nur auf die Trümmer der Sozialistischen Partei, auf die Mitte-Links-Partei Modem und auf einige Bürgerliche. Es ist eben ein Unterschied, ob man eine Person oder ein Programm wählt. Macrons eigentliches Programm ist seine Person, das Image des Neuen, des Unverbrauchten, desjenigen, der außerhalb der politischen Klasse, der politischen Oligarchen und Demagogen einen Weg für die Frustrierten und Verdrossenen sucht. Macron spricht diese Gefühle an, vor allem bei den jungen Wählern. Aber Gefühle sind kein Programm, Reformen brauchen konkrete Maßnahmen. Die Gefühlsparty ist vorbei. Für Macron beginnt der Abstieg in die Niederungen der Politik. Auch der republikanische Monarch muss sich der Mehrheit beugen, denn „die Verfassung, die wir haben [...] heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist“. So sagten es schon die alten Griechen. Macron könnte versuchen, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Aber wechselnde Mehrheiten ersetzen nicht das fehlende Vertrauen und dieses Manko kann er nur einmal mit der Auflösung des Parlaments beantworten. Wenn die Konservativen keine bestimmende Mehrheit gewinnen, um Macron auf ihre programmatische Reform-Linie zu zwingen, stehen dem Land unsichere Verhältnisse ins Haus. Der Schatten der Vierten Republik kommt auf.

Jürgen Liminski
Foto: DT | Jürgen Liminski.
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