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Kommentar: Verdrängung des Todes

Die Abteilung für Ethik der Universität Jena hat den Bundestagsabgeordneten die Unterstützung des Spahn-Vorschlages empfohlen. Dieser würde die Menschen von der Last entbinden, sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen. Genau das ist das Problem.
Organspende: Kritik an der Widerspruchslösung
Foto: Marie Reichenbach (dpa) | Der Mensch hat allein über sein Leben zu entscheiden, eine grundsätzliche gesellschaftliche Grundordnung widerspricht dem.

Die Organspende ist das dominierende Thema der Woche. Alles wurde schon gesagt, nur nicht von jedem – mag man angesichts der Sachverständigenräte und Empfehlungsschreiben denken. Manche Schreiben offenbaren den Zeitgeist dabei so schonungslos, dass sie im Papierwust dennoch hervorstrahlen.

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Beschäftigung mit dem eigenen Tod als Zumutung

Die Universität Jena hat ihren Beitrag in der Debatte geliefert. In einem Brief an die Bundestagsabgeordneten hat sie die Spahn-Lauterbach-Lösung empfohlen, das heißt: wer nicht Organspender sein will, muss dem widersprechen. Die Unterschrift gehört Nikolaus Knoepffler, der sich im Briefkopf als „Leiter des Bereichs Ethik in den Wissenschaften“ der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften vorstellt. Nicht genannt, aber dennoch nicht uninteressant: Knoepffler ist ausgebildeter Theologe und hat in Rom das Lizenziat erworben.

Spannend an dem Brief ist die Begründung. Die Spahn-Lösung nehme „Druck“ von den Angehörigen. Außerdem sei die Beschäftigung mit dem eigenen Tod eine „größere Zumutung“ für nicht wenige Menschen. „Eine Widerspruchsregelung in diesem Sinne ist humaner“ – so das Fazit. Eine Ablehnung der postmortalen Organspende sei nicht nur legitim, sondern „ohne Nachteil für die Ablehnenden“.

Unvereinbar mit Grundgedanken der Selbstbestimmung

Das klingt mitfühlend und menschenfreundlich. Alle Sorgen seien einem benommen – wir kümmern uns schon. Und: belastet der Gedanke an den eigenen Tod nicht das menschliche Leben schon genug? Ein sorgenloses, ein kummerbefreites, ein freies Leben, ohne Nachteil für andere – das suggeriert die Begründung.

Der Fall liegt allerdings anders, und das nicht nur, weil die beiden großen Kirchen in einem längeren Statement ihre Kritik an dem Antrag des Gesundheitsministers artikuliert haben. Denn der Grundgedanke eines freien, selbstbestimmten Individuums ist mit dieser Regelung nicht vereinbar. Der Mensch hat allein über sein Leben zu entscheiden, eine grundsätzliche gesellschaftliche Grundordnung widerspricht dem. Die freiwillige Organspende wird zur staatlich geregelten Organabgabe, der man widersprechen muss.

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Tabuisierung des Todes ist kein Erfolg der Zivilisation

Die Empfehlung aus Jena geht aber tiefer. Die Tabuisierung des Todes ist kein Erfolg der Zivilisation, und sie ist erst recht keine Leistung der Gesellschaft. Im Gegenteil ist die Verdrängung des Todes in der modernen westlichen Zivilisation eine der Grundkrankheiten, die zur spirituellen und intellektuellen Verwahrlosung des Kontinents geführt hat. Die Ausklammerung des Todes hat vielen Menschen das Gefühl gegeben, „ewig zu leben“. Es ist ein Lebensweg, der in Lebenssinnlosigkeit endet. Wer sich nicht mit den letzten Dingen beschäftigen muss, macht nicht das Ende der Reise, sondern den Weg zum Ziel. Wer weiß, dass sein Leben endlich ist, bereitet sich besser darauf vor und lebt sein Leben bewusster.

Die Verantwortung für sich selbst soll am Ende nicht das Individuum tragen, sondern Staat und Gesellschaft. Das mag in heutiger Zeit ethisch anmuten. Mit einem selbstbestimmten christlichen Leben hat es wenig zu tun.

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Marco Gallina Bundestagsabgeordnete Tod und Trauer

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