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Kommentar um "5 vor 12": Dumm, gefährlich und unbarmherzig

Die Euphorie über die erfolgreiche Entwicklung eines Impfstoffes, der vor COVID-19-Erkankungen schützen soll, ist verfrüht. Zahlreiche relevante Fragen sind bislang unbeantwortet.
Sars-Cov-2 Impfstoff - Symboldbild
Foto: Alexander Limbach via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Der Hersteller verkündet als Zwischenergebnis einer klinischen Studie 90-prozentige Wirksamkeit des Impfstoffs.

Wer Aktien des Mainzer Unternehmens Biontech oder des US-amerikanischen Pharmariesen Pfizer besitzt, hat derzeit zweifelsfrei Grund zur Freude. Bei allen anderen ist die Euphorie, welche die Nachricht über die erfolgreiche Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Virus SARS-CoV-2 verursacht hat, nicht bloß verfrüht. Sie ist auch dumm, gefährlich und unbarmherzig.

Dumm, weil die Nachricht BNT162b2, so der Name des Impfstoff-Kandidaten, biete einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor COVID-19, ein von beiden Unternehmen selbst kommuniziertes Zwischenergebnis einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Phase-III-Studie ist. Gestartet wurde die Studie am 27. Juli. Sämtliche dabei gewonnenen Erkenntnisse, einschließlich die über mögliche Nebenwirkungen, erstrecken sich also auf einen Zeitraum von maximal rund drei Monaten. Viele der gesammelten Daten dürften deutlich jünger sein.

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Nicht unethisch, aber mit gefährlichen Risiken behaftet

Mögliche spät manifestieren Nebenwirkungen im Blick zu behalten, ist immer bedeutsam, in diesem Fall aber besonders. Denn bei BNT162b2 handelt es sich um einen Impfstoff-Kandidaten, bei dem eine sogenannte messenger-RNA (mRNA) verwendet wird. RNA liefert, grob gesagt, die Informationen, die von den Zellen benötigt werden, um Proteine herzustellen. In diesem Fall enthält die mRNA die Bauanleitung für ein Oberflächenprotein des Virus SARS-CoV-2, mit dem dieses in die Zellen eindringt. Ziel ist es, den Organismus zur Produktion von Antikörpern zu bewegen, welche das Virus darin hindern, Zellen zu kapern und sich in ihnen zu vermehren.

Anders als Impfstoffkandidaten, für deren Herstellung, Fetalzellen aus abgetriebenen Kindern verwandt werden, ist die Verwendung von mRNA nicht an sich unethisch. Sie ist jedoch gefährlich und mit erheblichen medizinischen Risiken behaftet, da mRNA-Impfstoffe schwere Autoimmunreaktionen hervorrufen können. Obwohl Wissenschaftler seit rund zwei Jahrzehnten versuchen, mRNA-Impfstoffe zu entwickeln, gibt es bislang keinen einzigen Impfstoff, der auf diese Weise für Menschen entwickelt und zugelassen wurde. Im Gegenteil: Bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS und MERS – Erkrankungen der Lunge, die wie COVID-19 durch Corona-Viren verursacht werden – überstanden die mRNA-Impfstoffkandidaten die klinische Erprobung nicht, weil sie solche Reaktionen auslösten.

90 Prozent! Fein, aber für wen?

Biontech und Pfizer verhandeln derzeit einen Vertrag mit der Europäischen Union und wollen demnächst die Zulassung ihres Impfstoffkandidaten in den USA beantragen. Die von den Unternehmen bekanntgegebenen Zwischenergebnisse kommen also zum denkbar besten Zeitpunkt. Doch selbst wenn es nach Abschluss der Studie bei der behaupteten Wirksamkeit von 90 Prozent bliebe, wäre eine Frage immer noch zu klären: Für wen gilt das eigentlich? Da sich nämlich die Immunabwehr junger Menschen massiv von der Älterer und erst recht Hochbetagter unterscheidet, ist es unmöglich, dass der Schutz, den ein Impfstoff bietet, für alle dergleiche ist. Sollte sich der Wert aber lediglich auf junge Menschen ohne Vorerkrankungen beziehen, für die SARS-CoV-2 bisher kaum gefährlich ist und bei denen Infektionen oft symptomfrei verlaufen, grenzen die derzeit kursierenden Nachrichten an Volksverdummung.

Unbarmherzig ist die geschürte Euphorie schließlich, weil sie völlig außer Acht lässt, dass es noch lange dauern wird, bis BNT162b2, selbst wenn er alle Hürden der klinischen Erprobung erfolgreich nähme, in Europa zugelassen und in ausreichender Menge in Deutschland erhältlich sein wird. Noch länger würde es dauern, bis mit ihm so viele Menschen geimpft wären, dass die sogenannte Herdenimmunität erreicht würde. Abstand halten und Maskenpflicht wird daher auch 2021 zur „neuen Normalität“ gehören. Wer Menschen Hoffnungen macht, von denen er jetzt schon wissen kann, dass er sie hinterher enttäuscht muss, mag vieles sein. Ein Menschenfreund ist er nicht.

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Stefan Rehder

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