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Ungarn gerät ins Zwielicht

Nein, Viktor Orbán ist nicht dabei, eine Diktatur auf Lebenszeit zu errichten. Kritische Rückfragen müssen jedoch erlaubt sein.
Ungarn: Parlament entmachtet
Foto: Tamas Kovacs (MTI/AP) | Neuerlich hat Ungarns Premierminister Viktor Orbán seinen zahlreichen Kritikern die Munition geliefert, die sie brauchen, um ihn europaweit als Möchtegern-Autokraten darzustellen.

Viktor Orbán hat es wieder getan: Neuerlich hat er seinen zahlreichen Kritikern die Munition geliefert, die sie brauchen, um ihn europaweit als Möchtegern-Autokraten darzustellen. Das ist erfreulicherweise völlig überzogen. Es gibt in Ungarn auch künftig ein Parlament, einen Staatspräsidenten und ein Verfassungsgericht.

Die zeitliche Begrenzung fehlt

Dennoch: War die am Montag mit der Stimmenmehrheit der Regierungspartei Fidesz vollzogene Selbstausschaltung des Parlaments nötig? Mag sein, dass die bisherige 15-Tage-Frist für den Notstand (in Ungarn „Gefahrensituation“ genannt) viel zu kurz angesetzt war, aber muss darum jede Befristung fehlen? Wenn das Parlament der Regierung die Möglichkeit einräumt, auf der Basis von Dekreten, ja sogar wider bestehende Gesetze zu agieren, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen, hätte man dieser Ermächtigung nicht irgendeine zeitliche Grenze setzen können? Und wenn die Regierung fürchtet, das Parlament könnte aufgrund der Epidemie seine Beschluss- und Handlungsfähigkeit verlieren, hätte man dann nicht wenigstens eine rudimentäre parlamentarische Kontrolle organisieren können?

Souverän ist nicht, wer Kritiker mundtot macht

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Fragen wirft auch die Androhung mehrjähriger Haftstrafen für die Verbreitung von Fakenews auf: Sicher, Desinformation kann Menschen in Gefahr bringen. Doch wenn kritische Journalisten und Oppositionspolitiker sich unter dem Damoklesschwert der Verhaftung äußern müssen, ist die Meinungsfreiheit in Gefahr. Regierungen sind nie und nirgendwo unfehlbar – Widerworte müssen darum erlaubt bleiben. Souverän ist nicht, wer Kritiker mundtot macht, sondern zu intelligentem Widerspruch einlädt. Orbán weiß, dass die Ungarn freiheitsliebend sind. Wenn er die Zügel jetzt zu fest anzieht, werden sie sie ihm nach dem Ende des Notstands aus der Hand reißen.

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Stephan Baier Meinungsfreiheit Viktor Orbán

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